Umweltminister Röttgen sieht einen großen Tag für Deutschland. Atomkraft wird beendet, erneuerbare Energien werden ausgebaut.
Hamburg. Es war die Stunde des Norbert Röttgen: Noch vor einem Jahr war der Bundesumweltminister in seiner eigenen Unionsfraktion mit der Forderung gescheitert, möglichst schnell aus der Kernkraftnutzung auszusteigen. Dessen nicht genug, verlängerte Schwarz-Gelb die Laufzeiten im Herbst 2010 sogar noch. Doch an diesem Freitagmittag erlebte Röttgen im Bundesrat mit, wie die Schmach von damals endgültig getilgt wurde: Die Länderkammer billigte das Energiewende-Paket der Bundesregierung.
Vier Monate nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima ist damit für Deutschland der stufenweise Atomausstieg bis 2022 beschlossene Sache. Beschlossen ist auch das sofortige Aus für acht ältere, beziehungsweise pannenanfälligere Atomkraftwerke, darunter der schleswig-holsteinische Meiler Krümmel. Bis September soll nun die Bundesnetzagentur entscheiden, ob eines dieser acht stillgelegten AKW für den Fall von Stromengpässen bis 2013 in Bereitschaft bleibt. Die stillgelegten Meiler sollen zurückgebaut werden. Der Bundestag hatte dem Paket zur Energiewende bereits zugestimmt.
Die Länder billigten auch den Plan der Regierung, Gorleben als Atommüll-Endlager weiter zu erkunden. Zugleich soll die Regierung bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf für eine Endlagersuche vorlegen, bei der auch Lageroptionen in allen anderen Bundesländern geprüft werden können.
Bis zuletzt hatte Röttgen um die Zustimmung der Länder für das Maßnahmenbündel geworben. Bundesrat, Bund und Länder träfen gemeinsam "eine wirklich grundsätzliche positive Weichenstellung" in der Energiepolitik, sagte Röttgen. Wenn Deutschland als großes Industrieland die Wende hin zu einer Versorgung mit erneuerbaren Energien schaffe, habe dies eine große internationale Strahlkraft, betonte der Minister. Sein Kollege, Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), sagte, die Wende sei solide durchgeplant und werde die Versorgungssicherheit garantieren. Neben dem Ausbau der Ökoenergien seien bis 2020 Kraftwerksbauten mit einer Kapazität von 23 Gigawatt geplant. "Neue Kraftwerke werden in der Tat auch fossile Kraftwerke sein", kündigte Rösler an. Eine große Herausforderung sei der notwendige Netzausbau, der durch ein eigenes Gesetz nun beschleunigt werden soll.
Schon vor der Abstimmung gab sich Röttgen angesichts der breiten Zustimmung zum Atomausstieg zuversichtlich: "Dies ist ein guter Tag", sagte der CDU-Politiker. "Anstelle von Streit tritt Konsens." Ein komplettes Scheitern in der Länderkammer musste der Minister nicht mehr fürchten: Sieben der insgesamt acht Gesetze bedurften nicht der Zustimmung des Bundesrats. Dennoch hätten die Landesvertreter das Energiepaket verzögern können, indem sie es in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zurückverwiesen hätten. Dafür hatte kurz zuvor Eveline Lemke, die grüne Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, plädiert. Die geplanten Maßnahmen rund um den Atomausstieg seien unzureichend für die gewollte Energiewende, kritisierte Lemke.
Doch die Länder verzichteten auf weitere Verhandlungsrunden. Sie ließen alle Gesetze passieren - bis auf eine Ausnahme. Sie stoppten vorerst ein Gesetz, das eine erleichterte Abschreibung von Kosten für energetische Gebäudesanierungen ermöglichen sollte. Die Länder befürchten, dass ihnen dadurch Steuerausfälle in Höhe von bis zu 1,5 Milliarden Euro über mehrere Jahre entstehen könnten. Nun muss sich voraussichtlich der Vermittlungsausschuss um eine Lösung bemühen.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz begrüßte den beschlossenen Atomausstieg. Allerdings halte er die Energiewende-Gesetze der Bundesregierung für nicht ausreichend und wünsche sich Nachbesserungen. "Ich hätte mir schon jetzt weitere Fortschritte gewünscht", sagte Scholz. So müsse für die energetische Gebäudesanierung mindestens ein Betrag von rund zwei Milliarden Euro pro Jahr bereitgestellt werden, wie es zu Zeiten der Großen Koalition bereits der Fall gewesen sei. Scholz forderte, dass die Kostenbelastung für Industriebetriebe nicht in die Höhe getrieben werden dürften.
Genau das fürchtet jedoch der Industrieverband Hamburg (IVH), der mit deutlich höheren Stromkosten durch den Atomausstieg rechnet. "Wir erwarten für den Großteil der Industrieunternehmen und für die privaten Haushalte einen Preisanstieg von fünf Cent je Kilowattstunde", sagte der IVH-Vorsitzende Hans-Theodor Kutsch am Freitag. Für ein durchschnittliches Industrieunternehmen mit einem Jahresverbrauch von 500 Megawattstunden bedeute dies Mehrkosten in Höhe von 2,5 Millionen Euro. "Ohne Kompensation dieses Preisanstiegs droht eine Verdrängung der Industrie an unserem Standort", sagte Kutsch.
Der Präsident des Bundesverbandes der Erneuerbaren Energien, Dietmar Schütz, sagte dem Abendblatt, das Energiewende-Paket sei "ein wesentlicher Schritt" für den Umbau der Energieversorgung. "Für eine echte Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien reicht es allerdings nicht aus." Wichtige Verbesserungsvorschläge der Bundesländer - wie eine bessere Vergütungsstruktur für die Windenergie im Binnenland oder passende Vermarktungsmöglichkeiten für Ökostrom - seien nicht mehr in die Gesetze aufgenommen worden. "Die notwendigen Anpassungen müssen jetzt zügig angegangen werden, damit Privatleute, Unternehmen und die öffentliche Hand noch stärker in erneuerbare Energien investieren", forderte Schütz.