Der neue FDP-Vorsitzende und Vizekanzler Philipp Rösler über Steuersenkungen gegen jeden Widerstand und den Reformkurs der Griechen.

Berlin. Die Schonfrist fällt aus. Nach sechs Wochen an der Spitze der Liberalen und des Wirtschaftsministeriums will Philipp Rösler beweisen, dass sich die Neuaufstellung der FDP gelohnt hat. Noch verharrt die Partei im Umfragekeller. Und für das Vorhaben, die Steuern zu senken, bekommt der 38-jährige Vizekanzler massiv Gegenwind aus den Ländern. Rösler lässt sich davon nicht beirren. Im Abendblatt-Interview gibt er Leitlinien für das Regierungshandeln vor.

Hamburger Abendblatt: Herr Rösler, was ist neu an der neuen FDP - außer dass manche jetzt einen anderen Job machen?

Philipp Rösler: Wir liefern.

Und zwar einen Ladenhüter, mit dem schon die alte FDP gescheitert ist.

Rösler: Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode erste Steuerentlastungen durchgesetzt. Jetzt setzen wir diesen Kurs fort. Die Wachstumszahlen und Steuereinnahmen sind hervorragend. Wir dürfen den richtigen Zeitpunkt für Entlastungen nicht verpassen. Gerade die ganz normalen Menschen und Steuerzahler, die uns den Aufschwung ermöglicht haben, müssen jetzt davon auch profitieren.

Nämlich wie?

Rösler: Ludwig Erhard hat Wohlstand für alle gefordert. Ich sage: Wir brauchen Aufschwung für alle. Gerade die unteren und mittleren Einkommen müssen die positive Konjunkturentwicklung spüren, müssen im Aufschwung entlastet werden. Die aktuellen Tarifabschlüsse der IG Metall haben gezeigt: Von Gehaltserhöhungen erhält das meiste der Staat. Das muss sich dringend ändern.

Konkret?

Rösler: Die Koalition ist sich einig und arbeitet daran, dass die kalte Progression bei der Einkommenssteuer noch in dieser Wahlperiode abgemildert wird. Wir können die Schuldenbremse einhalten und gleichzeitig die Bürger entlasten. Über das Volumen entscheiden wir, sobald wir die genauen Rahmenbedingungen kennen.

Wann kommt die große Steuerreform, von der Sie immer gesprochen haben?

Rösler: Man sollte die steuerlichen Entlastungen, die jetzt geplant werden, nicht kleinreden.

Wie wollen Sie dafür eine Mehrheit im Bundesrat bekommen?

Rösler: Die guten Wachstumszahlen wird jeder zur Kenntnis nehmen müssen. Die Ministerpräsidenten können nicht ignorieren, wer diesen Aufschwung erwirtschaftet hat. Das ist der Facharbeiter, das ist die Krankenschwester, das ist der Techniker. Sie sind das Rückgrat von Wachstum und Wohlstand in diesem Land. Ich lasse auch die SPD-geführten Länder hier nicht aus der Verantwortung. Die Sozialdemokraten müssen Farbe bekennen im Bundesrat, ob sie von der Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen nur reden - oder ob sie tatsächlich dazu bereit sind. Wenn sich die SPD verweigert, verrät sie ihre Kernwählerschaft.

Für eine Senkung oder Abschaffung des Solidaritätszuschlags, wie sie FDP-Fraktionschef Brüderle fordert, bräuchten Sie den Bundesrat nicht ...

Rösler: Jetzt geht es gerade aus Gründen der Gerechtigkeit um die kalte Progression.

Was wird aus der Mehrwertsteuer?

Rösler: Im Vordergrund stehen jetzt Entlastungen bei den Einkommen.

Sind Steuersenkungen zu verantworten, wenn immer neue Milliarden für Griechenland bereitgestellt werden?

Rösler: Bisher ist kein einziger Cent nach Griechenland geflossen. Es sind erhebliche Bürgschaften, keine Frage. Aber gerade mit Steuersenkungen sichern wir unser Wachstum ab - und schaffen die Voraussetzungen, um anderen helfen zu können.

Warum lassen Sie Griechenland nicht einfach pleitegehen?

Rösler: Wir haben eine gerade für uns auch sehr nutzbringende Währungsunion. Eine Staatspleite hätte schwerwiegende Konsequenzen für alle Länder der Euro-Zone.

Was erwarten Sie von den Griechen?

Rösler: Athen muss strikt an seinem Reformkurs festhalten. Die Sozialsysteme brauchen ein stabileres Fundament, genauso wie der griechische Staatshaushalt. Entscheidend wird sein, Staatsunternehmen in einem hohen Maß zu privatisieren. Auf diesem Feld muss noch mehr passieren. Das steigert die Wettbewerbsfähigkeit.

Müssen die Griechen mehr arbeiten, wie die Kanzlerin meint?

Rösler: Ich bin mit der Bundeskanzlerin einig, dass die Griechen schon hart arbeiten. Sie nehmen enorme Lasten auf sich, um aus der Krise zu finden.

Neu an der neuen FDP ist zweifellos, dass sie die Industrie gegen sich aufbringt ...

Rösler: Wie bitte?

Energiekonzerne klagen gegen Ihre Energiepolitik ...

Rösler: Die Industrie besteht nicht nur aus Energieversorgern. Die Industrie war in der Ethikkommission vertreten, die ihre Empfehlungen zum Umstieg in der Energieversorgung einstimmig beschlossen hat. An diesen Empfehlungen hat sich die Regierungskoalition orientiert.

Die Energiewende - Atomausstieg in vorgeschriebenen Stufen bis 2022 - trägt planwirtschaftliche Züge. Was bedeutet das für den Markenkern der FDP?

Rösler: Unser Vorgehen ist strategisch weitsichtig, verantwortungsvoll und ausgewogen. Mit solchen Impulsen können Deutschland und seine mittelständische Wirtschaft Vorreiter werden bei der Gebäudesanierung oder bei energiesparenden Produkten.

Wie wollen Sie die Belastungen für die Bürger erträglich halten?

Rösler: Berechnungen seriöser Institute zeigen: Der Haushalt einer vierköpfigen Familie muss sich mit dem Abschied vom Atomstrom auf Zusatzbelastungen zwischen 35 und 40 Euro im Jahr einstellen.

Als Anwältin des Industriestandorts profiliert sich die SPD - und nicht die FDP ...

Rösler: Moment! Auf die neue Gabriel-Masche fällt niemand herein. Wir waren es, die Strompreisentlastungen für den Mittelstand und für energieintensive Unternehmen beschlossen haben - und nicht die SPD. Die Sozialdemokraten haben in den Beratungen einmal mehr bewiesen, dass ihnen jede Wirtschaftskompetenz fehlt.

Wie wichtig ist Ihnen die Zustimmung der Grünen zum schwarz-gelben Atomausstieg?

Rösler: Immer dafür und jetzt, wenn's ernst wird, kneifen - so taktieren sich die Grünen ins Abseits. Die müssen jetzt Farbe bekennen. Die Zwickmühle steht so: Endlich mal ernst genommen werden oder den realistischen Teil der Anhänger verlieren. Ich sehe das mit Interesse.

Die Umfragen der neuen FDP sind wie die der alten - mal über, mal unter fünf Prozent ...

Rösler: Die FDP ist in einer schwierigen Phase. Mit seriöser, solider Arbeit wird es gelingen, das Tief zu überwinden, wenn auch nicht von heute auf morgen.

Sie wollen sich mit Merkel und Seehofer zu einem Friedensgipfel treffen. Der wievielte Neustartversuch dieser Koalition ist das eigentlich?

Rösler: Es handelt sich um ein Arbeitstreffen. Wir wollen die anstehenden Themen besprechen und werden zu gemeinsamen Entscheidungen kommen.

Was soll auf die Tagesordnung?

Rösler: Aufschwung für alle - das muss zum Leitgedanken dieser Regierung werden. Das beschränkt sich nicht auf Steuersenkungen. Dazu gehört auch, die Linderung des Fachkräftemangels auf die Agenda zu stellen. Die Stabilisierung unserer Währung, die Sicherung der Rohstoffversorgung und die Erschließung neuer Märkte im Ausland für unseren Mittelstand sind weitere Faktoren, die das Wirtschaftswachstum verstetigen können.

Kanzlerin Merkel scheint sich schon auf den nächsten Koalitionspartner einzustellen - die Grünen ...

Rösler: Den Eindruck habe ich nicht. Die Erfahrungen von Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sollten der Union eine Lehre sein. Wer auf Schwarz-Grün schielt, findet sich immer in der Opposition wieder. Die meisten Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Union und FDP. Wir müssen jeden Tag aufs Neue beweisen, dass wir eine gute Regierung für Deutschland sind.

Vermissen Sie in den Kabinettssitzungen eigentlich Karl-Theodor zu Guttenberg?

Rösler: Wir haben uns kennengelernt, lange bevor wir wichtige politische Ämter bekleidet haben. Wir sind eine Generation und haben eine gewisse Nähe. Insofern fehlt er mir schon.

Jetzt ist auch der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin der Doktortitel aberkannt worden. Ein zweiter Fall Guttenberg?

Rösler: So etwas kann erst beantwortet werden, wenn die formelle Begründung der Universität Heidelberg für diesen Schritt vorliegt. Sie ist ihr noch gar nicht zugegangen.

Ist es vertretbar, dass Koch-Mehrin ihr Mandat im Europaparlament behält - und ausgerechnet Forschungspolitikerin wird?

Rösler: Es ist ein laufendes Verfahren. Das gilt es abzuwarten.

Ein weiterer Europapolitiker der FDP - Jorgo Chatzimarkakis - ist unter Plagiatsverdacht geraten. Empfinden Sie das als Treibjagd?

Rösler: Ich konzentriere mich auf meine Arbeit als Parteivorsitzender, Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Wenn sich jemand mit den Doktorarbeiten anderer befassen möchte, ist das in einem freien Land wie Deutschland möglich.

Holen Sie sich als FDP-Chef und Vizekanzler gelegentlich Rat bei Ihrem Vorgänger Guido Westerwelle?

Rösler: Er ist als Außenminister selbstverständlich Teil unseres Teams. Nicht nur deswegen beraten wir uns regelmäßig.