Schwarz-Gelb in der Sackgasse: In der CDU denkt man wieder über Schwarz-Grün nach. FDP-Chef Westerwelle kämpft um sein Überleben
Berlin. In den Gesichtern der CDU-Anhänger im Konrad-Adenauer-Haus lässt sich kaum etwas ablesen. So muss Ratlosigkeit aussehen. Als die ersten Hochrechnungen aus Baden-Württemberg bekannt werden, herrscht Stille. Ein Parteigänger murmelt: "Lauter Fragezeichen." Damit ist schon viel gesagt an einem Abend in Berlin, an dem CDU und FDP in zwei Ländern ohne Erfolg dastehen. An die Hoffnung, dass mögliche Überhangmandate doch noch einen Zittersieg hervorbringen können, will sich von Anfang an kaum jemand klammern. Für Schwarz-Gelb ist es ein Abend, an dem die Antworten auf das Ergebnis rar sind. Die Fragen dominieren, vor allem die eine: Was geschieht nun in einer Koalition, die nicht einmal mehr in ihrem prosperierenden Stammland gewinnen kann?
Manche in der CDU, die nicht ganz so schwarzsehen wollen, geben immerhin zu bedenken: Das Ergebnis in Baden-Württemberg hätte noch schlimmer ausfallen können. Und in Rheinland-Pfalz habe man sich ja achtbar geschlagen. Andere sagen offen: Schwarz-Gelb, die sichere Bank im Südwesten, kann man aber nicht bewahren, wenn man als CDU unter 40 Prozent segelt. "Die Zeiten haben sich geändert", sagt ein CDU-Mitglied in der Parteizentrale, "auch in Baden-Württemberg." Und er sagt, von 40 Prozent plus X müsse sich die Partei auch in den Ländern nun wohl verabschieden.
Der veränderten Zeit die Schuld zu geben, kommt dann manchen in der CDU zu kleinlich vor. Nein, das Ergebnis bedürfe einer ehrlichen Analyse. So spricht man in der CDU-Zentrale über die schlechten Umfragewerte von Stefan Mappus, die wohl zum Ergebnis beigetragen hätten. Man spricht über die aufgeheizte Atom-Debatte, von der die Grünen so sehr profitiert hätten. Über das Personal in Berlin, über die turbulenten Wochen vor dem Wahltag, und über die ruckartigen Politikwenden der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel will man lieber nicht sprechen. Die Schuld liegt bitte schön dort, wo die Wahl verhauen wurde. Und natürlich liegt sie auch in Japan. Was dort passiert sei, habe "alles überlagert", meint ein matter CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Die Zeit sei offenkundig zu kurz gewesen, um den Menschen zu zeigen, dass das Atom-Moratorium nicht dem Wahlkampf geschuldet sei.
Gröhe deutet damit an, wie es in der Partei rumort. Die Konservativen fühlen sich schon lange übergangen. Und Merkels 180-Grad-Drehung in der Atompolitik konnte die Union bislang kaum verdauen. Genauso wenig wie die Enthaltung der Regierung beim Libyen-Mandat der Uno. In Parteikreisen ist man sich daher sicher, am heutigen Montag werde es in der Aussprache der Spitzengremien zur Sache gehen. Nur die Folgen will noch kaum jemand beschreiben. Eine Ausnahme ist Johann Wadephul. Beim Blick auf die Ergebnisse empfiehlt der frühere CDU-Landeschef von Schleswig-Holstein und heutige Bundestagsabgeordnete seiner Partei einen koalitionstaktischen Kurswechsel hin zu den Grünen. "Wenn viele bürgerlich Denkende grün wählen, dann weiß ich nicht, warum die CDU nicht mit den Grünen koalieren kann." Nicht jeder Wähler der Grünen sei links. "Das könnten alles auch CDU-Wähler sein", meint Wadephul.
Es wäre die nächste Merkel-Wende. Erst im vergangenen November hatte sie Schwarz-Grün zum Hirngespinst erklärt. Denkbar ist, dass Merkel andere Konsequenzen zieht. In ihrem Umfeld wird zwar ausgeschlossen, dass die Kanzlerin vorzeitig den CDU-Vorsitz zur Verfügung stellt. Aber die Partei könnte einen Bußgang, wie auch immer er ausfallen mag, zur Bedingung machen, um Merkel weiter zu folgen. Doch personell hat Merkel kaum Spielräume. Das Kabinett erneut umzubauen scheint nach dem Guttenberg-Abgang kaum vorstellbar.
In der FDP-Zentrale dreht sich am Sonntagabend die Frage nach Konsequenzen dafür umso mehr um den Parteichef persönlich. Flankiert vom Parteipräsidium tritt Guido Westerwelle um 19.13 Uhr endlich vor die Medien. So sieht wohl ein demonstrativer Schulterschluss aus. Wie lange er hält, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Westerwelle sagt, dieses Wahlergebnis gehe an niemandem spurlos vorbei. Er selbst ist dafür das beste Beispiel. Der Parteivorsitzende ist leichenblass. Man werde, sagt er, nun "geordnet" und "genau" beraten, was zu tun sei. Immerhin habe man gerade eine Abstimmung über die Zukunft der Kernenergie erlebt. "Wir haben das genau verstanden", sagt Westerwelle. Und: "Wir strengen uns an!" Außerdem sagt er noch, dass man jetzt selbstverständlich zusammenstehe. Das bezieht Westerwelle auf die liberalen Führungsspitzen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Aber wer Westerwelle kennt, weiß, dass der 49-Jährige gerade per Subtext eine Nachricht an die Parteifreunde aussendet, die mit seiner Arbeit und mit seinem Führungsstil schon lange nicht mehr einverstanden sind. Sechs Minuten dauert der Auftritt. Fragen sind nicht zugelassen.
Westerwelle ist lange genug in der Politik, um zu wissen, dass die FDP gerade ein schweres Beben erlebt hat. Die beiden Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, Rainer Brüderle und Birgit Homburger, haben bereits nach dem Motto Rette-sich-wer-kann agiert. Beide wollen von Rücktritten noch nichts wissen. Homburger hat mit hochrotem Kopf vor den Kameras gestanden, und von einem "emotionalisierten" Wahlkampf gesprochen, Brüderle, der in den letzten Wahlkampftagen mit den Worten zitiert wurde, das Atom-Moratorium der Bundesregierung sei dem Wahlkampf geschuldet gewesen, und der deshalb Mitverantwortung für die krachende Niederlage trägt, hat matt erklärt, dass es nun darauf ankomme, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen.
Während diese drei ums Überleben kämpfen - für Homburger geht es auch um den Bundestagsfraktionsvorsitz, für Brüderle um das Ministeramt, und für Westerwelle könnte der 11. April zum Tag der Entscheidung werden, denn dann wollen Parteipräsidium und Landesvorsitzende über das künftige Führungsteam beraten -, wirken drei andere sichtlich entspannt. Kein Wunder. Sollte Westerwelle tatsächlich abdanken, käme es zu einer großen Rochade. FDP-Gesundheitsminister Rösler wird für den Fall X entweder als Parteivorsitzender oder als neuer Bundeswirtschaftsminister gehandelt, Daniel Bahr würde neuer Bundesgesundheitsminister, und Generalsekretär Christian Lindner ist seit Monaten für höhere Aufgaben vorgesehen. Eines zumindest scheint sicher: Für die FDP hat eine neue Zeit begonnen.