Die Grünen bejubeln ihren Erfolg und stehen vor dem Wirklichkeitstest. Die SPD gibt sich tapfer, der Linken droht eine neue Krise
Berlin. Es gibt einen Lieblingssatz, den die Grünen seit Monaten immer wieder sagen, wenn es um die guten Umfragewerte geht: "Man muss auf dem Teppich bleiben, auch wenn er fliegt." In der Berliner Parteizentrale ist am Wahlabend nur noch wenig von diesem Credo übrig geblieben. Obwohl eine feuchtwarme Dunstglocke über den vielen Hundert aneinandergedrängten Parteifreunden hängt, gibt es kein Halten mehr, als die Prognosen um 18 Uhr über die Bildschirme flackern.
Die Grünen hüpfen, klatschen, jubeln, prosten sich mit Bio-Bier zu. Minutenlang. "Das ist eine grün-rote Zeitenwende", ruft Parteichefin Claudia Roth in den überfüllten Saal. Man hat es geschafft: In Rheinland-Pfalz machen die Grünen den Sprung von der außerparlamentarischen Opposition in den Landtag, in Baden-Württemberg können sie wohl sogar den Ministerpräsidenten stellen. Zwar sieht die Parteispitze das Ergebnis offiziell mit der guten Arbeit der Kollegen im Südwesten begründet - jedoch ist allen klar, dass die Anti-Atom-Stimmung im Land mindestens ein paar Prozentpunkte extra gebracht haben dürfte.
Das gute Abschneiden birgt aber auch Herausforderungen: Die Grünen müssen sich an der Wirklichkeit messen lassen und beweisen, dass sie mehr sind als eine "Wohlfühl-Partei" für das ökologische Gewissen der Besserverdienenden, wie es ihnen Union und FDP gern vorwerfen. Dazu gehört, auch mal unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen. Und die Grünen müssen sich all jenen Gegenwinden stellen, die einem als Regierungspartei ins Gesicht wehen. Was das bedeutet, weiß die Hamburger GAL nur zu gut.
In Berlin wird man deshalb genau hinschauen, wie sich die Partei im Südwesten machen wird. Mit der jetzigen Ausgangslage ist eine Regierungsbeteiligung auch im Bund 2013 eine mögliche bis wahrscheinliche Option - notfalls auch ohne die SPD. "Ich habe immer dafür gekämpft, dass wir uns mental öffnen", sagt Fraktionschefin Renate Künast kurz nach den ersten Hochrechnungen. Sie grinst. "Grün-Schwarz ist nicht vom Tisch." Deutlich weniger Selbstbewusstsein ziehen die Sozialdemokraten im Berliner Willy-Brandt-Haus aus ihren Wahlergebnissen. Zwar ist die SPD in Rheinland-Pfalz weiterhin stärkste Kraft, hat aber deutlich verloren. Und in Baden-Württemberg reicht es wohl für eine Regierungsbeteiligung, aber nur als Junior-Partner der Grünen. Die SPD könnte jetzt zum ersten Mal Kellner statt Koch in einem Bündnis mit der Öko-Partei werden. Ein Steigbügelhalter. Daran - und an die historisch schlechten Ergebnisse - muss man sich auch in Berlin erst einmal gewöhnen.
Generalsekretärin Andrea Nahles gibt sich tapfer: Es sei "kein Beinbruch" sollte es zu dieser neuen Konstellation kommen. Für Parteichef Sigmar Gabriel haben beide Wahlen eine klare bundespolitische Dimension: "Heute ist die endgültige Entscheidung über das Aus für die Atomenergie in Deutschland getroffen worden." Was die Ergebnisse für die SPD im Bund bedeuten, dazu sagt Sigmar Gabriel an diesem Abend lieber nichts. Aber man hat hier auch noch Olaf Scholz' Traumergebnis aus Hamburg im Hinterkopf - das schützt davor, schon jetzt den Status als Volkspartei infrage stellen zu müssen. Trotzdem gibt es Klärungsbedarf. Weder hat die SPD von der Unzufriedenheit der Wähler mit Schwarz-Gelb profitieren können, noch konnte sie durch eigene Themen punkten. Für die Genossen dürfte das einige Signalwirkung haben.
Frust herrscht auf der Berliner Wahlparty der Linkspartei. Sie hat den Einzug in beide Landtage verpasst. Bei der Etablierung im Westen ist das ein herber Rückschlag. "Wir werten es nicht als Katastrophe, wir werten es als Weitermachen", sagt Parteichef Klaus Ernst im ZDF. Ohne die Atomkatastrophe in Japan wäre das Ergebnis für die Linke sicher besser gewesen, ist er überzeugt. Aber auch Querelen um die Parteiführung und um die Ausrichtung haben die Wähler wohl abgeschreckt. Vor allem die von Co-Parteichefin Gesine Lötzsch zum Jahresanfang angezettelte Kommunismus-Debatte dürfte im Südwesten Wählerstimmen gekostet haben. Ein erneutes Aufflammen der Parteikrise scheint programmiert.