Vorwurf Trickserei: Die SPD glaubt, der neue Regelsatz von Hartz IV sei künstlich gesenkt worden. Brisanter Bericht zur Klagewelle gegen Hartz.
Berlin/Hamburg. Die Union rechnet trotz Kritik der SPD an der Neuregelung von Hartz IV damit, dass das Konzept der Regierung im Bundesrat eine Mehrheit bekommen wird. Er sehe eine gute Chance, am Ende auch die Länderkammer zu überzeugen, sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU). Für die SPD gehe es jetzt um die Frage, ob sie wieder „Regierungsfähigkeit“ erlange oder dem „populistischen Verlangen“ nachgebe, sagte Altmaier mit Blick auf die Ankündigung der Sozialdemokraten, dem Gesetzesvorhaben im Bundesrat nicht zuzustimmen.
Altmaier hielt der SPD vor, in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung nie den Versuch unternommen zu haben, die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen oder transparenter zu machen. Es gebe jetzt keinen Anlass, über Kompromisse mit der SPD nachzudenken. In diesem Zusammenhang äußerte sich Altmaier skeptisch zu einer Anrufung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag. Dafür hätten die SPD-geführten Länder keine Mehrheit in der Länderkammer, drohte er. Für die Hartz-IV-Reform ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.
SPD-Parteichchef Sigmar Gabriel hat die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den Hartz-IV-Plänen der Bundesregierung von Verhandlungen über Mindestlöhne abhängig gemacht. Die neuen Hartz-IV-Regelsätze und Mindestlöhne müssten gemeinsam im Bundesrat verhandelt werden, sagte Gabriel. „Das gehört zusammen.“
Die Hartz-IV-Sätze dürften nicht künstlich niedrig gehalten werden , um das Lohnabstandsgebot zu berücksichtigen, kritisierte Gabriel. Auch großzügigere Freibetragsregelungen bei den Hinzuverdiensten für Hartz-IV-Empfänger führten zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors.
Die SPD bleibt bei dem Vorwurf an Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die neuen Hartz-IV-Leistungen zur Existenzsicherung „nach Kassenlage“ entschieden zu haben. „Wir haben nach wie vor große Zweifel, dass Ursula von der Leyen das umgesetzt hat, was das Bundesverfassungsgericht ihr ins Stammbuch geschrieben hat“, sagte SPD-Vizefraktionschef Hubertus Heil. Die SPD in Bund und Ländern werde „einer offensichtlich verfassungswidrigen Lösung nicht die Hand reichen“.
Am Montag hatte von der Leyen die Berechnungsgrundlagen der neuen Hartz-Sätze vorgestellt. Danach steigt der Regelsatz für alleinstehende Langzeitarbeitslose um 5 auf 364 Euro. Die Sätze für Kinder bleiben unverändert. Bedürftige Kinder sollen aber über ein Bildungspaket im Volumen von 620 Millionen Euro zusätzlich gefördert werden.
Heil kündigte eine penible Überprüfung der Neuberechnung an. Er habe ernst zu nehmende Hinweise, nach denen es im Arbeitsministerium eine Alternativberechnung mit einem höheren Regelsatz gegeben habe. Diese sei aber verworfen und der Wert „statistisch heruntergerechnet“ worden, weil im Haushalt zu wenig Geld eingestellt worden sei. Diese Alternativrechnung müsse „auf den Tisch“.
Unterdessen berichtet das ZDF-Magazin Frontal 21 (Sendung: Dienstag, 21 Uhr), dass die Zahl der Gerichtsverfahren beim Arbeitslosengeld II (Hartz IV) ständig steige . Die Kosten für den Steuerzahler erreichen immer neue Höchststände. Auch die Bundesagentur für Arbeit habe eingeräumt, dass die Gerichtskosten der Arbeitsagenturen (Argen) sich in den vergangenen Jahren vervierfacht hätten: von 7,43 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 30,59 Millionen Euro im Jahr 2009. Bis zum 23. August 2010 seien 24,17 Millionen Euro an Anwälte und Gerichte geflossen. Die BA rechnet zum Jahresende mit einem Ausgabenrekord. Dazu kommen Personalkosten bei den Argen. So mussten viele der bundesweit 340 Arbeitsgemeinschaften deutlich mehr Mitarbeiter in den Widerspruchsstellen beschäftigen.