Russland kämpft verzweifelt gegen brennende Wälder. Bisher starben 40 Menschen. Das Feuer ereicht unterdessen die Vororte Moskaus.
Hamburg/Moskau. "Ich will noch heute erfahren, wie der Wiederaufbau organisiert wird. Ich will Pläne für jede Region, jeden Ort, jedes Haus", erteilte Russlands Regierungschef Wladimir Putin gestern wieder gewohnt schneidig seine Anweisungen an die von der zurzeit wütenden Brandkatastrophe betroffenen Gouverneure.
Zu seinem autoritären Stil musste er allerdings erst wieder zurückfinden. Zuvor war er ungewohnt offen für seine bisher laxe Haltung in der größten Brandkatastrophe seit Jahrzehnten kritisiert worden. Bei einem Besuch in Nischni Nowgorod wurde Putin von Brandopfern mit wütenden Tiraden empfangen. Und die oppositionelle Zeitung "Nowaja Gasjeta" hatte geschrieben: "Die Regierung hat gezeigt, dass sie auf die Bekämpfung der Feuer nicht vorbereitet war. Die örtlichen Behörden konnten mit ihren begrenzten Mitteln auch nicht damit fertigwerden."
Den Behörden war in den vergangenen Tagen Schlamperei vorgeworfen worden. Unter anderem sollen Brandschutzgräben nicht rechtzeitig angelegt worden sein. Da in dem riesigen Land die Infrastruktur oft schlecht oder gar nicht vorhanden ist, müssen jetzt erst bei Moskau und Nischni Nowgorod Soldaten mit der Verlegung von Rohrleitungen beginnen, um Wasser in die Brandherde zu pumpen.
Russland wird in diesem Sommer von der schwersten Hitzewelle seit Beginn der Aufzeichnungen heimgesucht. Die dadurch ausgelösten Brände zerstörten den Behörden zufolge bisher 1875 Häuser und 128 000 Hektar Land. Bisher sind offiziellen Angaben zufolge 40 Menschen ums Leben gekommen, viele werden aber noch vermisst. Hunderte wurden verletzt, Tausende verloren ihr Hab und Gut. Dörfer sind in Schutt und Asche gelegt. Sogar Satellitenbilder zeigten die Rauchschwaden im europäischen Teil des Landes. 18 Löschflugzeuge sind mittlerweile im Einsatz. Hunderttausende zivile Helfer und ganze Regimenter der Armee kämpfen gegen die Flammen.
Auch über der russischen Hauptstadt stand wieder dichter Smog, ausgelöst durch Hunderte Brände in den umliegenden Torfmooren. Und eine Abkühlung ist nicht in Sicht. Meteorologen erwarten in den kommenden Tagen weiter Temperaturen zwischen 35 und 42 Grad in Moskau und Zentralrussland - und keinen Regen.
Doch die Regierung versichert, mittlerweile habe sie die Lage im Griff. Präsident Dimitri Medwedew verhängte den Notstand über die sieben am meisten betroffenen Regionen um Wladimir, Woronesch, Moskau, Nischni Nowgorod, Mordwinien, Mari El und Rijasan. Die Zahl der Feuer sei tendenziell rückläufig, sagte der Chef des Nationalen Krisenzentrums, Wladimir Stepanow. Im Schnitt brächen zwar jeden Tag 300 neue Feuer aus, 90 Prozent davon bekämen die Helfer binnen 24 Stunden unter Kontrolle. Nach Darstellung von Stepanow brennen derzeit rund 500 000 Hektar, das ist die doppelte Fläche von Luxemburg. Auch Biosphärenreservate wie in Rjasan rund 200 Kilometer südöstlich von Moskau seien ein Raub der Flammen geworden.
Katastrophenschutzminister Sergej Schoigu machte die wütende Bevölkerung selbst für die Brände verantwortlich, da sie in ihrer Freizeit im Freien Grillfeste und Lagerfeuer veranstalteten. "Die Menschen müssen die Regeln begreifen, wenn sie in den Wald gehen. Unsere bevorstehende Arbeitswoche hängt davon ab, wie die Menschen ihre Freizeit verbringen."
Die Behörden meldeten erste Festnahmen von Brandstiftern und Plünderern, die versucht hatten, sich an der Katastrophe zu bereichern. In zerstörten Dörfern seien Männer festgesetzt worden, bei denen man Säcke mit gestohlenem Buntmetall gefunden habe, sagte ein Polizeisprecher. Zudem hätten zahlreiche Brandopfer versucht, die staatliche Einmalentschädigung mehrfach abzuholen. Wer durch die Brandkatastrophe obdachlos wurde, soll von der Regierung eine Entschädigung von 200 000 Rubeln (5000 Euro) erhalten.
Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill hat die Gläubigen aufgerufen, um Regen zu bitten. Statt Hilfe von oben hat SPD-Chef Sigmar Gabriel Unterstützung aus Deutschland gefordert. Die Bundesregierung müsse Russland "offensiver als bisher" Hilfe anbieten. "Wir erleben dort eine menschliche und ökologische Katastrophe - ähnlich wie vor Jahren in Griechenland". Deshalb müsse Berlin jede nur erdenkliche technische Unterstützung anbieten.