In Russland nähern sich die Waldbrände der Wiederaufbereitungsanlage Majak. Greenpeace warnt vor schweren Folgen durch radioaktiven Staub.
Moskau. Russische Behörden in der Ural-Stadt Osersk wollen am Dienstag bei einer Krisensitzung beraten, wie sich ein Übergreifen der schweren Waldbrände auf das Atommüllaufbereitungs- und Lagerungszentrum Majak verhindern lässt. Für Osersk gilt wegen der nahen Brände der Ausnahmezustand. Bürgermeister Viktor Trofimtschuk will nun zusätzliche Schritte ergreifen, um die Gefahr abzuwenden. Das berichtete der Radiosender Echo Moskwy am Dienstag. Das Feuer sei etwa 80 Kilometer von Majak entfernt. Deshalb sei die große Wiederaufbereitungsanlage nicht bedroht, sagte Rosatom-Vertreter Sergej Nowikow. „Es gibt derzeit keine Gefahr für die Stadt oder die Anlage.“ Bürgermeister Trofimtschuk hatte auch Picknicks in den Stadtparks und umliegenden Wäldern verboten.
Immer wieder nähert sich das Feuer bedrohlich den Atomanlagen des Landes. Experten befürchten, dass die Waldbrände radioaktiv verseuchte Böden aufwirbeln und das Strahlengift in andere Regionen tragen.
Nach Angaben des Zivilschutzes wurde ein Feuer am Kernforschungszentrum Sneschinsk nahe Tscheljabinsk im Ural gelöscht. Die Einsatzkräfte blieben in der Region, um die Lage zu überwachen, teilte die Behörden der Agentur Interfax mit.
Vergangene Woche hatte in der Nähe der Atomwaffenschmiede Sarow der Wald gebrannt. Am Sonntag näherte sich das Großfeuer dem Kernforschungszentrum Sneschinsk nahe Tscheljabinsk im Ural. Die Feuer wurden gelöscht.
Auch im Gebiet Brjansk , wo die Böden seit der bisher schlimmsten Atomkatastrophe 1986 in Tschernobyl (Ukraine) besonders radioaktiv belastet sind, gab es zunächst Entwarnung. Die Flammen seien erstickt, die Messwerte in der Luft hätten keine erhöhte Radioaktivität ergeben, teilten die Behörden mit.
Russische Löschtrupps kämpfen gegen radioaktive Gefahr
Der Direktor des Instituts für sichere Atomenergie, Leonid Boloschow, warnte vor Panikmache. Die Atommülldeponien im Land seien durch einen mehrschichtigen Mantel aus Beton und Metall geschützt, so dass Feuer sie kaum beschädigen könne, sagte er.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace äußerte sich jedoch besorgt über die immer neuen Nachrichten, dass das Feuer auch auf Atomanlagen übergreifen könnte. Die Brände könnten schwere Folgen haben, warnte Greenpeace-Atomexperte Christop von Lieven in der „Neuen Presse“ am Dienstag.
Von Lieven: "Es liegt viel radioaktives Material in der Umgebung, viel Material wurde damals einfach in einem See versenkt. Wenn die Brände auf die Region übergreifen, könnte das radioaktive Material mitverbrennen: Das sind Partikel und Kleinstmaterialien, die bisher im Boden, im Torf, in den Pflanzen gebunden sind“. Wenn das freigesetzt werde, könnte es beim Löschen mit ins Grundwasser gespült oder bei Bränden mit dem Rauch hochgetrieben werden. Zwar untersuche Greenpeace regelmäßig mutmaßlich stark kontaminierte Orte. „Aber bei dieser Häufung von Bränden, die jetzt in und um Moskau, im Süden und im Ural sind, können wir gar nicht überall sein", sagte er.
Tschernobyl-Altlasten bedrohen Deutschland nicht
Majak war am 29. September 1957 Schauplatz der größten Atomkatastrophe vor Tschernobyl im Jahr 1986. Doch die Welt erfuhr erst Jahrzehnte später davon. Ein unterirdischer Betontank mit flüssigen, hoch radioaktiven Abfällen explodierte. Nach offiziellen Angaben starben 200 Menschen. Schätzungen zufolge kamen jedoch etwa 150.000 Menschen an den Folgen ums Leben. Die radioaktive Strahlung verseuchte ein Gebiet von etwa 100 Quadratkilometern. Zwar wurden bei dem Unfall nur einige Prozent der Strahlungsmenge der Katastrophe von Tschernobyl freigesetzt. Da die radioaktiven Stoffe aber auf einem viel kleineren Gebiet niedergingen, waren die Folgen ähnlich verheerend.
Das Unglück blieb lange geheim. Erst 1976 veröffentlichte der von der Sowjetunion ausgebürgerte Biochemiker und Dissident, Schores Medwedew, in London einen Aufsatz, in dem er Hinweise auf die Katastrophe zusammentrug. 1979 veröffentlichte er das Buch „Bericht und Analyse der bisher geheim gehaltenen Atomkatastrophen in der Sowjetunion“. Erst zehn Jahre später bestätigte die Sowjetführung den Vorfall in Majak.
In ganz Russland wüten seit Wochen die schwersten Waldbrände in der Geschichte des Landes. Medien zufolge starben am Montag zwei Einsatzkräfte, als sie von umstürzenden Bäumen in einem Wald erschlagen wurden. Damit stieg die Gesamtzahl der Toten bei den Bränden nach offiziellen Angaben auf 54. Hilfsorganisationen gehen jedoch von deutlich mehr Toten aus.