RTL-Fußballreporter Uli Potofski über das Europacup-Finale 1985, bei dem in Brüssel wegen einer Massenpanik 39 Menschen starben
FC Liverpool gegen Juventus Turin war ein Traumfinale. Die Übertragung war für 20 Uhr vorgesehen, doch ich saß schon eine Stunde früher als gewöhnlich auf meinem Reporterplatz. Auf meinem Monitor liefen Stadionbilder. Etwa gegen 19:40 Uhr begannen die Tifosi, die Liverpooler Fans mit Steinen zu bewerfen und mit Feuerwerkskörpern zu beschießen. Die Engländer antworteten mit Schmähgesängen. Als zwei Juve-Anhänger auf den Rasen rannten, stürmten plötzlich mehrere Hundert Hooligans über einen ausgeleierten Maschendrahtzaun in den benachbarten Block Z. Polizei? - Fehlanzeige. Später wurde bekannt, dass die Italiener die Eintrittskarten für diesen "neutralen" Block von einem Reisebüro erhalten hatten, das die Karten wiederum von einem korrupten Uefa-Offiziellen bezogen hatte. Jetzt flüchteten sie in panischer Angst vor den prügelnden Hooligans. Das Unwirkliche war, dass die übrigen Zuschauer im Stadion gar nicht merkten, dass plötzlich mehrere Hundert Menschen an eine Mauer gequetscht wurden. Minutenlang versuchten sie, sich zu befreien, doch von hinten wurden sie immer stärker gegen das Hindernis gedrückt. Diese Gesichter in Todesangst werde ich nie vergessen. Ich starrte wie gelähmt auf den Monitor. Plötzlich stürzte die Mauer ein, und ich sah Dutzende von Menschen von der Tribüne hinunterstürzen und übereinander purzeln, mit seltsam verdrehten Gliedmaßen. "Ja, wie liegen die denn da?", fragte ich mich, bis ich begriff: Diese Menschen sind ja tot! Erst jetzt wurde es auch langsam den Zuschauern im Stadion bewusst, dass etwas Unvorhergesehenes passiert war. Etwas Unvorhergesehenes, denn die Tragödie wurde erst sichtbar, als die Rettungskräfte versuchten, Verletzte wiederzubeleben und Leichname zudeckten - RTL blieb auf Sendung.
90 Minuten später entschloss sich auch die Uefa, das Spiel anzupfeifen, gegen den Willen der Spieler. Doch man befürchtete weitere Ausschreitungen. Der Innenraum des Stadions, eben noch Lazarett des Todes, war plötzlich leer. Irgendwann verwandelte Michel Platini einen Elfmeter zum Sieg für Juve. Ich habe keinen einzigen Kommentar zum Spiel abgegeben. Ich dachte nur: Fußball ist eine Scheinwelt. Fans freuen sich auf ein Fest, und nicht mal eine Stunde später sind sie tot. Wenn dieses Spiel vorbei ist, sagte ich mir, wirst du nie wieder ein Stadion betreten - so wie vor der Katastrophe.