Guido Westerwelle über die Doppelbelastung als Außenminister und FDP-Chef, das Ende der Wehrpflicht und die Hamburger Schulreform.
Berlin. Zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause skizziert FDP-Chef Guido Westerwelle im Interview mit dem Hamburger Abendblatt, wie die schwarz-gelbe Regierungskoalition die Weichen stellen soll.
Hamburger Abendblatt:
Herr Westerwelle, wie geht es Ihnen?
Guido Westerwelle:
Mir geht es gut, danke der Nachfrage.
Sie halten sich seit Wochen sehr zurück. Ihr norddeutscher Parteifreund Kubicki sagt, Westerwelle finde überhaupt nicht statt. Was treibt Sie um?
Zum Beispiel die Frage, wie wir nach der Euro-Krise dafür sorgen können, dass uns so etwas nicht wieder passiert. Das findet nicht auf großer öffentlicher Bühne statt, ist aber dringend notwendig.
Der Eindruck, Sie suchten eine neue Rolle, täuscht?
Das ist so eine journalistische Konstruktion ...
... genau genommen ist es die Vermutung Ihres Parteifreunds.
Ich mache meine Arbeit, lerne hoffentlich jeden Tag dazu. Wenn man elf Jahre in der Opposition war und dann regiert, lernt man, sehr viele Fragen von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten.
Haben Sie sich die Aufgabe so schwer vorgestellt?
Ich habe sie mir schwer vorgestellt. Aber dann kamen Monate mit unglaublichen Herausforderungen und Gefahren. Die Griechenland-Krise, das Sparpaket, die Gesundheitsreform - das sind große Baustellen, auf denen unsere ganze Kraft gefordert war.
Sie sind Außenminister , Sie sind FDP-Vorsitzender - an welcher Aufgabe hängen Sie mehr?
Die Bundeskanzlerin ist aus guten Gründen CDU-Vorsitzende, der bayerische Ministerpräsident CSU-Vorsitzender, und auch das Gewicht der FDP in der Koalition wird durch diese Kombination gestärkt.
Welche Aufgabe liegt Ihnen mehr?
Ich mache die Außenpolitik mit Freude und mit heißem Herzen, und ich bin seit mehr als neun Jahren mit Leib und Seele Vorsitzender der einzigen liberalen Partei in Deutschland.
Dann lassen Sie uns mit dem Außenminister beginnen. Wie lange führen deutsche Soldaten in Afghanistan noch Krieg?
Es gibt nichts zu beschönigen: Wir haben große Sorgen in Afghanistan. Wir müssen aber verhindern, dass die Taliban wieder die Macht übernehmen, denn das würde große Gefahren für die Sicherheit nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Europa und Deutschland bedeuten. Jeder von uns ist bestürzt über die vielen Toten, die es unter der afghanischen Zivilbevölkerung und bei den internationalen Truppen gibt. Das macht die Dringlichkeit der Aufgabe nur noch deutlicher ...
... die wann erledigt sein wird?
Wir wollen 2011 die Verantwortung für die ersten Regionen in afghanische Hände übergeben und das Bundeswehrkontingent erstmals reduzieren. In der nächsten Woche werde ich an der ersten internationalen Afghanistan-Konferenz teilnehmen, die im Land selbst stattfindet. Sie kann eine Wegmarke sein. Wir haben das Ziel, die Sicherheitsverantwortung 2014 vollständig der afghanischen Regierung zu übertragen.
Kommen weitere Auslandseinsätze auf die Bundeswehr zu?
Wir haben das Engagement der Bundeswehr in vielen Regionen reduziert, etwa auf dem westlichen Balkan. Wir haben die Obergrenzen etwa für das Kfor-Mandat im Kosovo von 3500 auf 2500 und für das Unifil-Mandat in Libanon von 800 auf 300 gesenkt und das OEF-Mandat zur Terrorismusbekämpfung vor dem Horn von Afrika ganz beendet. Auf diese verantwortlichen Reduzierungen lege ich als Außenminister großen Wert. Über neue Missionen will ich nicht spekulieren. Niemand wünscht sich das.
Wäre eine Berufsarmee für Auslandseinsätze besser geeignet?
Ich bin davon überzeugt, dass wir aus der Bundeswehr eine Freiwilligenarmee machen sollten. Ich diskutiere das allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt der Auslandseinsätze oder der Sparnotwendigkeit. Mir geht es um die Wehrgerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass nur noch 16 Prozent eines Jahrgangs ihren Wehrdienst ableisten, während viele andere zur selben Zeit ihre beruflichen Chancen verbessern können. Das berührt den Gleichheitsgrundsatz in unserer Verfassung.
Die Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate ist also eine Übergangslösung.
Es ist ein Fortschritt. Ich begrüße, dass sich auch der Verteidigungsminister ganz unvoreingenommen mit der Frage einer Freiwilligenarmee beschäftigt.
Kommt das Ende der Wehrpflicht schon in dieser Wahlperiode?
Ich halte das für möglich. Es wäre die richtige Entscheidung, die Dienstpflicht so bald wie möglich auszusetzen.
Deutschland nimmt zwei Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo auf. Ist das wirklich unsere Aufgabe?
Ja, es ist notwendig.
Warum werden den Amerikanern dann nur zwei Gefangene abgenommen?
Der Innenminister hat hierzu eine kluge Erklärung abgegeben. Er hat auf Bündnisfragen und Sicherheitsfragen hingewiesen.
Warum können freigelassene Häftlinge, die als ungefährlich gelten, nicht in den USA leben?
Natürlich liegt die Verantwortung zunächst einmal bei denen, die Guantánamo eröffnet haben. Aber die USA haben ihre Partner um Mithilfe bei der Auflösung des Lagers gebeten. Ich stimme mit dem Innenminister überein, dass es richtig ist, diese sehr begrenzte Unterstützung zu gewähren, ohne unsere eigene Sicherheit zu gefährden, und die beiden Männer in Deutschland aufzunehmen.
Sehen Sie Hamburg in einer besonderen Verantwortung?
Die Entscheidung ist in Absprache mit den Bundesländern Hamburg und Rheinland-Pfalz getroffen worden.
In der Union wird offen über den Führungsstil der Bundeskanzlerin diskutiert. Gibt es dazu Anlass?
Die Politik ist gut beraten, sich weniger mit sich selbst und mehr mit den Problemen der Bürger zu beschäftigen. Das ist eine wesentliche Erkenntnis, die wir aus den ersten Monaten in Regierungsverantwortung gewonnen haben sollten.
Hat sich Ihr Verhältnis zu Angela Merkel in diesen Monaten verändert?
Wir arbeiten sehr eng zusammen, auch wenn wir nicht alles identisch sehen. Wir haben die Entscheidungen zum Schutz unserer Währung und das Sparpaket gemeinsam geschultert. Und anders als früher hat die Opposition sich der Verantwortung für die Rettung des Euro entzogen.
Ist die Zusammenarbeit mit der Kanzlerin vertrauensvoller geworden?
Sie ist immer vertrauensvoll gewesen. Wir haben jetzt die dritte Bundespräsidentenwahl erfolgreich gemeistert.
Union und FDP haben mit der Bundesversammlung die Hoffnung auf einen Neustart verbunden ...
... von mir haben Sie das nicht gehört. Was zählt, ist das Ergebnis. Wir haben einen hervorragenden Bundespräsidenten, der mit seiner Familie die Frische einer neuen Generation ausstrahlt. Christian Wulff tut unserem Land gut. Ich will Ihnen einen sehr persönlichen Eindruck geben, der hoffentlich nicht missverstanden wird.
Nur zu.
Deutschland hat sich in den Wochen der Fußball-WM in einer so fröhlichen, optimistischen und lebensbejahenden Weise gezeigt. Und Deutschland war auf ganz sympathische Weise patriotisch. Mancher in der Welt wird überrascht gewesen sein von dieser neuen Generation. Und auf der Tribüne in Südafrika saß der jüngste Bundespräsident, den wir je hatten, und komplettierte diesen Eindruck. Unser Land hat ein großartiges Bild abgegeben, nicht allein die Mannschaft auf dem Rasen.
Sie wollen sagen, Christian Wulff und Jogi Löw haben der Regierung den Neustart beschert.
Sie wollen es missverstehen. Es ist einfach viel Gutes zusammengekommen. Vor fünf Jahren hatten wir eine Regierung, da wären einige am liebsten sitzen geblieben, wenn die Nationalhymne gespielt wurde.
Sie sprechen von Rot-Grün, von Schröder und Fischer.
Manche von denen haben sich erst einmal innerlich geschüttelt, wenn sie eine schwarz-rot-goldene Fahne gesehen haben. Sie haben das für Nationalchauvinismus gehalten. Mir ist dieser neue fröhliche Patriotismus der Deutschen sehr sympathisch - und der Welt übrigens auch.
Sie wollen den Atomausstieg, den die Schröder-Regierung beschlossen hat, rückgängig machen. Dafür fehlt Ihnen allerdings die Mehrheit im Bundesrat ...
Ich gehe davon aus, dass wir für die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken den Bundesrat nicht brauchen. Die Verkürzung der Laufzeiten durch Rot-Grün war auch ohne die Länderkammer möglich.
Wie lange wollen Sie deutsche Atomkraftwerke am Netz halten?
Wir arbeiten in der Bundesregierung an einem umfassenden Energiekonzept. Eine maßvolle Laufzeitverlängerung ist ökologisch, ökonomisch und sozial notwendig, weil wir auch an die Bezahlbarkeit von Energie denken müssen.
Die SPD droht bereits mit dem Gang nach Karlsruhe.
Die SPD wird in jedem Fall alles ablehnen - ganz gleich, was wir beschließen. Wir müssen das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Aber wir brauchen Brückentechnologien, die uns in dieses Zeitalter helfen, ohne dass in Deutschland die Lichter ausgehen.
Die FDP ist mit dem Versprechen angetreten, die Bürger massiv zu entlasten. Jetzt haben Sie alle Mühe, Steuererhöhungen zu verhindern. Lassen Sie sich in der Koalition den Schneid abkaufen?
Wir haben zu Jahresbeginn die Bürger um mehr als 20 Milliarden Euro entlastet. Damit haben wir die Voraussetzungen für neues Wachstum geschaffen. Und die sehr gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat auch etwas mit dem Wachstumsgesetz der Koalition zu tun. Jetzt zwingt uns die Währungskrise zu besonderen Sparanstrengungen. Aber wir geben unsere steuerpolitischen Anstrengungen nicht auf. Sie sind nur zeitlich gestreckt. Gerade die Mittelschicht muss unverändert entlastet werden. Sie ist die Basis des deutschen Wohlstandes und muss wachsen.
Das Sparpaket wird als sozial ungerecht empfunden, auch in den Reihen der Union. Wenn die FDP sich weiter sperrt, Gutverdiener stärker zu belasten, droht es zu scheitern ...
Die Spitzensteuer greift doch schon bei etwa 52 000 Euro. Damit würden wir Handwerker, Freiberufler und Gewerbetreibende treffen, die das Gros der Arbeitsplätze schaffen. Übrigens auch viele Facharbeiter.
Stellt sich die Koalitionsfrage, wenn die Union auf einem höheren Spitzensteuersatz beharrt?
Ich lasse mich prinzipiell nicht zu Drohungen verführen.
Bei Neuwahlen müsste die FDP ja auch um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen ...
Gewiss nicht. In dieser Woche ist deutlich geworden, was SPD und Grüne vorbereiten. Es geht ihnen um eine Regierung mit der Linkspartei. Die Schuldenkoalition in Düsseldorf aus SPD und Grünen, getragen von der Linkspartei, soll der Probelauf für Berlin sein. Weil die Bürger sehen, was das für Deutschland bedeuten würde, haben wir auch bei der nächsten Bundestagswahl beste Chancen, wieder eine Mehrheit von Union und FDP zu schaffen.
SPD und Grüne müssten sich weder in Nordrhein-Westfalen noch im Bund auf die Linkspartei verlassen, wenn die FDP gesprächsbereit wäre ...
SPD und Grüne wollen die Einheitsschule. Das ist mit der Haltung der Liberalen nicht vereinbar. Wir wollen ein maßgeschneidertes Bildungssystem. SPD und Grüne machen sich auf Kosten der Bürger hübsch für eine sehr hässliche Braut: die Linkspartei.
Welche Machtperspektive sehen Sie für die Liberalen in Hamburg?
Ich glaube, dass die FDP vor allem in der Bildungspolitik die Mehrheit der bürgerlichen Wähler in der Hansestadt auf ihrer Seite hat. Wer keine Einheitsschule will, hat nur noch die Liberalen.
Erwarten Sie das Ende von Schwarz-Grün, wenn die Schulreform an den Bürgern scheitert?
Darüber spekuliere ich nicht. Ich bin selbst erst auf der Realschule gewesen und habe die Vorzüge eines gegliederten Schulsystems mit maßgeschneiderter Förderung erlebt. Es ist doch bekannt, dass manche Kinder praktischer und andere theoretischer veranlagt sind. Manche sind Frühstarter, andere Spätzünder. Ich finde es empörend, wenn alle über einen Kamm geschoren werden, weil es die Ideologie so verlangt.
Wäre die Hamburger FDP auf Neuwahlen vorbereitet?
Die FDP ist jederzeit in der Lage, sich der Verantwortung zu stellen.