CDU-General hält nach der Wulff-Wahl mehr Teamgeist für das Gebot der Stunde. Die Opposition freut sich über den Koalitions-Streit.

Berlin. "Et hätt ja noch mal jut jejange", pflegt man im Rheinland zu sagen, wenn eine Sache um Haaresbreite daneben gegangen wäre. Die Sache Wulff - die Wahl des Niedersachsen zum Bundespräsidenten - hat zwar im dritten Anlauf geklappt, in der schwarz-gelben Koalition aber zu Verstörungen geführt. Wie hat CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gestern gemeint? "Es ist in der Führung in der Tat mehr Teamgeist erforderlich." Das Mannschaftsspiel müsse besser werden.

Damit blieb Gröhe bei den Fußballmetaphern, die Angela Merkel vor dem dritten Wahlgang bemüht hatte. "Wir haben jetzt das Serbien-Spiel gehabt", hatte die Kanzlerin erregt im Sitzungssaal der Unionsfraktion gesagt, "jetzt kommt das England-Spiel." Tatsächlich hat Merkel vor, heute zum Viertelfinalspiel der deutschen Nationalmannschaft nach Kapstadt zu fliegen.

Die CDU-Vorsitzende hat sich zur Wulff-Wahl gestern übrigens nicht mehr öffentlich geäußert. Sie überließ das Scherbenzusammenfegen und die Geschlossenheitsappelle bewusst ihren Parteifreunden, um die Debatte um den Zustand der von ihr geführten Koalition und ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit nicht zusätzlich anzufachen. Am Wahlabend selbst hatte Merkel nur erklärt, dass es jetzt darauf ankomme, "dass die Regierung ihre Arbeit macht". Auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan äußerte sich ähnlich. Schavan sagte gestern im Deutschlandfunk: "Dieser Tag sitzt uns in den Knochen. Wir hätten uns das klare Ergebnis schon früher am Tag gewünscht, aber nun gilt es, nach vorne zu schauen."

Auch Schavan plädierte für eine bessere Zusammenarbeit in der schwarz-gelben Koalition. "Teamspiel ist das beste Spiel." Die CDU-Politikerin plädierte dafür, sich jetzt auf die Sache zu konzentrieren und über Zukunftsthemen zu reden. "Es ist jetzt Zeit für überzeugende Politik."

Denn Schavan weiß: Nach der Zitterpartie bei der Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten ist die Führungskraft der Koalitionsspitze infrage gestellt worden. Kein Wunder, dass der bayerische CSU-Fraktionschef Georg Schmid die schwarz-gelbe Koalition im Bund ebenfalls aufforderte, "weniger ständig von Neustart zu reden und einfach gut zu arbeiten". Dass so viele aus FDP und Union die Präsidentenwahl als Ventil benutzt hätten, habe überrascht, sagte er. Die Koalition dürfe ihren Wahlsieg und die Chancen für eine christlich-liberale Politik der Mitte jetzt nicht verspielen, warnte Schmid. Da war er sich zur Abwechslung sogar mit dem schleswig-holsteinischen FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki einig.

Der hatte im "Handelsblatt" kritisiert: "Es war ein Trugschluss der Koalitionsspitzen, dass die Bundespräsidentenwahl für einen Neustart von Schwarz-Gelb geeignet sein könnte." Offenbar hätten da "einige der Kanzlerin einen Denkzettel verpassen" wollen. Später erklärte Kubicki, er habe es "schon immer" für falsch gehalten, die Bundespräsidentenwahl als eine Art Neustart oder Neubesinnung der Koalition zu bezeichnen.

Die Union wies Vorwürfe von FDP-Generalsekretär Christian Lindner zurück, die Dutzende Abweichler seien vorwiegend aus dem CDU/CSU-Lager gekommen. Es bringe nichts, sich nun gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Und der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle selbst ging sogar soweit, den Wahlkrimi als "Sternstunde der Demokratie" zu bezeichnen. In der Tatsache, dass es drei Wahlgänge gegeben habe, könne er keinerlei Belastungen erkennen. Am Ende habe es für Christian Wulff eine "sehr klare" Mehrheit gegeben. An diesem Strohhalm hatte sich am Abend zuvor auch schon Angela Merkel festgeklammert. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht sagte dem Hamburger Abendblatt gestern: "Man kann nicht die Freiheit des Mandats fordern, und wenn diese Freiheit genutzt worden ist, ein Problem daraus machen."

Dennoch ging die Suche nach denen, die da in der Wahlkabine ohne Rücksicht auf Wulff und andere Verluste an Merkel ihr Mütchen gekühlt hatten, weiter. Waren es die Baden-Württemberger um den konservativen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, die der Kanzlerin einen Warnschuss verpassen wollten? Waren es Horst Seehofers Bayern, die Merkel mit dieser Aktion schwächen wollten? Zuzutrauen wäre das den Christsozialen, hieß es bei einigen FDPlern hinter vorgehaltener Hand.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt warnte unterdessen im Bayerischen Rundfunk, es sei jetzt nicht sinnvoll, nach den Abweichlern in den eigenen Reihen zu suchen. Jetzt müsse wieder zur Arbeit zurückgekehrt werden. Es gebe noch "große Dinge in diesem Land zu erledigen", etwa die Bekämpfung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise und die Konsolidierung der Haushalte. "Da erwarten die Menschen ja auch zu Recht Antworten, und das heißt halt jetzt arbeiten, arbeiten, arbeiten", sagte Dobrindt. Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Barbara Stamm hat die Kanzlerin gestern nachdrücklich in Schutz genommen und die schwarz-gelbe Koalition in Berlin gestern zu weiteren Reformen aufgefordert. "Ich kann nur wünschen, dass die Sachpolitik für alle im Mittelpunkt steht", sagte die bayerische Landtagspräsidentin. "Alles auf die Kanzlerin zu schieben, ist nicht gerechtfertigt", fügte Stamm hinzu.

+++ Dehm vergleicht Gauck und Wulff indirekt mit Hitler und Stalin +++

Mit der Wahl des Bundespräsidenten ist eine Farbmischung der deutschen Politik in weite Ferne gerückt. Nicht nur die Kanzlerin erlebte in den drei Wahlgängen einen herben Rückschlag, sondern auch die Befürworter eines rot-rot-grünen Bündnisses. Merkel wurde die Geschlossenheit von ihren Wahlleuten verwehrt. Doch auch bei der Opposition links von der schwarz-gelben Regierung gab es sie nicht, die Geschlossenheit. Im Gegenteil: Am Tag danach streiten, sticheln und zanken sich Sozialdemokraten und Grüne mit der Linkspartei.

Hätten die Linken Gauck gestern mitgewählt und auf die eigene chancenlose Kandidatin Luc Jochimsen verzichtet, hätte Gauck gute Chancen auf das Amt des Präsidenten gehabt. Doch die Linken verwehrten dem ehemaligen Beauftragten für die Stasiakten Gauck die Stimme - auch im dritten Wahlgang, als Jochimsen ihre Kandidatur zurückzog, enthielten sich die meisten der linken Wahlleute.

"Die Linkspartei ist schuld, dass Herr Gauck nicht im ersten Wahlgang gewählt worden ist", sagte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. "In der Bundesversammlung hat ausgerechnet unter der Führung von Oskar Lafontaine noch einmal die alte SED-Nachfolgepartei entschieden", so Gabriel. Die Reformer der Linkspartei müssten jetzt endlich den Kampf aufnehmen. "Sie dürfen nicht länger zulassen, dass Lafontaine und Wagenknecht mit ihrer Mischung aus Machiavellismus und Beton-Kommunismus das Zepter schwingen." Und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck spricht von einer "politischen Ausweichposition" der Linken, die nicht die Kraft habe zu einem personellen Neuanfang. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Manuela Schwesig, bezeichnete die Linke als "massiv gespaltene" Partei, die viele "ewig Gestrige" unter sich habe.

Es ist eine Welle an Vorwürfen, die von den Sozialdemokraten auf die Linkspartei zurollt. Und auch die Spitzen der Grünen stimmten in den Kanon gegen die Linkspartei ein und griffen die Enthaltung der Partei scharf an. Parteichef Cem Özdemir sagte, die Linken hätten "offensichtlich Schiffbruch erlitten" beim Versuch, in der Bundesrepublik anzukommen. Die Linkspartei habe sich nicht "von ihrem alten SED- und Stasi-Erbe" befreien können - das ist der Tenor von Rot-Grün am Tag nach der Niederlage von Gauck.

Doch diese wies die Vorwürfe zurück - und ging ihrerseits in die Offensive. Der Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, warf der SPD vor, sie sei nicht in der Opposition angekommen. "Schwarz-Gelb schwächelt. Aber es gibt auch keinen wirklichen Oppositionsführer", sagte Ernst dem Hamburger Abendblatt. Die SPD sei zudem nicht im Fünf-Parteien-System angekommen. Anstatt an parteipolitische Spielchen müsse die SPD in der Opposition mehr an das Land denken. Ernst griff die Spitzen der Sozialdemokraten scharf an. "Steinmeier ist blass und unglaubwürdig. Sigmar Gabriel ist ein unberechenbarer Krawallmacher und wird der Rolle als Oppositionsführer nicht gerecht. Er spaltet", sagte er. "Ohne Gabriels Eskapaden wäre die Bundespräsidentenwahl vielleicht anders gelaufen." Gauck sei für die Partei nicht wählbar gewesen, wegen dessen Positionen zum Afghanistankrieg und Fragen der sozialen Gerechtigkeit, heißt es bei den Linken.

Wulffs Wahl hinterlässt Wunden - im Regierungslager, doch genauso auch in der Opposition. Wunden, die nun vor möglichen Bündnissen erst einmal verheilen müssen. Vor allem die Grünen sehen nach dem Streit um Gauck kaum noch Chancen für Rot-Rot-Grün. Es werde zwar auch weiter Gespräche mit der Linkspartei geben, doch die Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen sei vertan, erklärte Parteichefin Roth. Was rot-rot-grüne Bündnisse betreffe, habe sich die Linke davon zahlreiche Meilen weiter entfernt, sagte Fraktionschefin Renate Künast.

Die Linken wollen dagegen weiter auf Bündnisse mit SPD und Grünen setzen. Rot-Rot-Grün könne es aber nur geben, wenn es inhaltliche Voraussetzungen und den Willen gebe, "gleichberechtigt vernünftig über Inhalte zu sprechen und für gemeinsame Ziele", sagte Parteichefin Gesine Lötzsch im Deutschlandfunk. Im Streit um die Präsidentenwahl habe sich allerdings gezeigt, dass Gauck beim Afghanistaneinsatz, in der Frage von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ganz andere Positionen vertrete als die Linken.

Viele Sozialdemokraten verbuchen es als taktischen Erfolg, dass sie mit dem Kandidaten Gauck nicht nur Unfrieden in der Koalition geschürt, sondern auch die Linkspartei gezwungen haben, sich von SPD und Grünen zu distanzieren. Geschlossenheit mit der Linkspartei war bei vielen Sozialdemokraten nie gewünscht. Doch zusehends verblasst das von der Union als Schreckgespenst an die Wand gemalte Bündnis Rot-Rot-Grün. Dies wiederum passt zum Streben der SPD, sich Machtoptionen offenzuhalten. In Nordrhein-Westfalen wollen die Sozialdemokraten in Kürze die Rückkehr an die Macht feiern, wenn auch nur mit einer rot-grünen Minderheitsregierung. Auch dort will sich die SPD Mehrheiten unabhängig von den Linken suchen. Sie schielt zur FDP. Auch wenn man sich mit ihr nicht immer einig ist.