Wenn Ärzte Geschenke von Pharmafirmen erhalten, ist das keine Korruption, entschied der Bundesgerichtshof. Jetzt muss ein neues Gesetz her
Hamburg/Karlsruhe. Dr. B. hatte sich von der Firma Ratiopharm eine neue Software auf den Praxiscomputer spielen lassen. Das Programm schaute bei jedem Rezept, das der Hamburger Allgemeinmediziner verschrieb, zuerst nach, ob es da nicht etwas Sinnvolles von Ratiopharm gibt. Davon ahnten seine Patienten nichts. Noch weniger ahnten sie, dass B. für dieses Entgegenkommen von der Ulmer Firma 10 641 Euro bekommen hatte, ausgehändigt in mehreren Schecks von der Pharmareferentin R. Dr. B. beteuerte, immer nur die für seine Patienten passenden Pillen verschrieben zu haben. Das sei seine Pflicht als Arzt. Und das sah das Hamburger Landgericht im Dezember 2010 anders. Es verurteilte B. wegen "Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr" zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 300 Euro.
Dieses Urteil hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) kassiert. In einem für das Gesundheitswesen, die Strafverfolger und die Politik spektakulären Spruch erklärten die Karlsruher Richter nun: Wenn Kassenärzte für die Verordnung von Arzneimitteln Geschenke entgegennehmen, machen sie sich nach geltendem Recht nicht wegen Bestechlichkeit strafbar (Az.: GSSt 2/11). Auch die Mitarbeiter der Pharmafirmen können nicht wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr belangt werden.
Die Entscheidung hatte auch beim Bundesgerichtshof für lange Diskussionen zwischen den höchsten Richtern gesorgt. Der Hintergrund ist für die Richter nun klar: Der niedergelassene Arzt handelt nicht als "Amtsträger" und auch nicht als "Beauftragter" der gesetzlichen Krankenkassen. Von ihnen bekommt er zwar sein Geld, einen Großteil seines Honorars. Er ist jedoch Freiberufler und bestenfalls Beauftragter des Patienten, stellten die Richter fest. "Er wird aufgrund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig", heißt es in der Begründung. Zwischen Patient und Arzt herrsche Vertrauen und eine "Gestaltungsfreiheit", in die sich die Krankenkassen nicht einmischen dürften.
Das Urteil nahm der Vorsitzende der Vertreterversammlung in der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, Michael Späth, mit Genugtuung auf: "Wir Ärzte sind Freiberufler, wir tragen das volle Risiko. Wenn man eine volle Unabhängigkeit wie bei Richtern wollte, müsste man den Ärzten Beamtenpensionen zahlen und dürfte sie nicht so gängeln." Schon heute sei es so, dass Hausärzte in Regress genommen würden, wenn sie dem Patienten zu teure Medikamente verschrieben. Späth warnte auch vor den Auswüchsen von Hausarztverträgen. "Da schaltet sich die Krankenkasse auf die Software des Arztes und überprüft die Verordnungen. Da hat der Arzt keine Freiheit mehr."
Der Bundesgerichtshof machte aber auch deutlich, dass er nur darüber befand, "ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist". Jetzt müsse der Gesetzgeber entscheiden, ob und wie man Bestechung im Gesundheitswesen regelt. Das mahnt auch der Anwalt Otmar Kury an, der die Pharmareferentin in dem Hamburger Fall vertreten hat. Es gebe derzeit Dutzende Verfahren gegen Ärzte alleine in Hamburg, die nun eingestellt werden müssten, sagte Kury dem Abendblatt. "Trotzdem fände ich es richtig, wenn der Gesetzgeber jetzt eine Neuregelung findet."
Das meint auch der Vorstand im Krankenkassenverband GKV, Gernot Kiefer: "Der Beschluss ist kein Freifahrtschein für niedergelassene Ärzte und Pharmareferenten, sondern ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen." Die Gesundheitsexpertin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, ist der Meinung: "Es darf nicht sein, dass einzelne Ärzte aus Profitinteressen bestimmte Leistungen verordnen, die medizinisch nicht sinnvoll sind. Dies ist zum Schutz der Patientinnen und Patienten und zur Wahrung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten unabdingbar."
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil: Der Ärztetag habe gerade auf die Gefahren hingewiesen, dass Ärzte "zu Erfüllungsgehilfen und Beauftragten der Krankenkassen" würden. Ärzte dürften nicht "bei jedem Rezept, jeder Therapieentscheidung, jeder Arbeitsunfähigkeit und jeder Überweisung die Interessen der Patienten gegenüber denen der Krankenkassen abwägen".