Der Große Zapfenstreich der Bundeswehr lief anders als zuvor geplant. Die Verabschiedung des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff wurde von Vuvuzelas gestört.
Berlin. Es erinnerte ein wenig an die Fußball-WM in Südafrika 2010. Das vertraute summen, als ob ein Schwarm wilder Bienen durch den Fernseher fliegt, war wieder da. Einige hundert Demonstranten haben zur Verabschiedung des Bundespräsidenten Christian Wulff in ihrer Fan-Ausrüstungskiste gekramt und sie wieder hervorgeholt, die Vuvuzelas. Die Tröten waren während der gesamten ehrenvollen Zeremonie zu hören. Doch Christian Wulff ließ es über sich ergehen. Mit durchgedrücktem Rücken stand er auf einem kleinen roten Podium und lauschte dem Musikkorps der Bundeswehr, die seine vier Titel beim Großen Zapfenstreich für ihn spielten. Als die Zeremonie vorbei war, verschwand Wulff hinter der schützenden Mauer von Schloss Bellevue. Vorher drehte sich der zurückgetretene Bundespräsident auf halbem Wege aber noch einmal um.
Der Spielmannszug und das Musikkorps der Bundeswehr haben es nicht vermocht, gegen den Lärm der einigen Hundert Protestierenden draußen anzuspielen. Während der ganzen Zeit waren sie im großen Garten hinter dem Schloss zu hören, die Vuvuzela-Tröten, die Trillerpfeifen, "Schande"-Rufe durch das Megafon. Wulff musste das aushalten. Und jetzt, als es vorbei ist und er der Politik, dem Amt und den Kritikern den Rücken zukehrt und geht, hält er noch einmal kurz inne. Spontaner Applaus ist eben unter den rund 200 Gästen aufgebrandet. Kein kräftiger, aber ein höflicher und respektvoller Applaus. Wulff und seine Ehefrau Bettina lächeln und winken. Für wenige Sekunden ist das eine Rückkehr in alte Routine. Die Wulffs sind wieder das Präsidentenpaar. Ein stimmungsvolles Bild vor dem festlich angestrahlten Schloss und den vielen Fackeln. Als wäre nichts gewesen. Wulff bleibt sich treu. Auch in den Abendstunden dieses Donnerstags, in denen der endgültige Abschied des Bundespräsidenten a. D. ganz anders geraten ist, als er es sich eigentlich gewünscht hatte.
Schon als es noch hell war, haben sich die ersten Demonstranten um das Schloss Bellevue versammelt. Wegen einer Polizeiabsperrung kommen sie nicht direkt an die Zäune heran. Der Schall aber schafft es unablässig - erst recht bei Wulffs Wunschlied "Somewhere Over The Rainbow", einem ruhigen Stück, bei dem die leisen Passagen in den Protesten ertrinken. Die heftige Auseinandersetzung um seinen Rücktritt, seine Verabschiedung und den künftigen Ehrensold verfolgen ihn bis hier. Anmerken lässt sich der 52-Jährige allerdings nichts. Bedrückt ihn der Moment? Genießt er die Zeremonie? Mit ernstem, schmaler gewordenen Gesicht lauscht er Musik und Lärm. Er ist ganz der Amtsträger und nur wenig Mensch, wie er da zwischen Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) steht. Nur noch einmal lächelt er, als er von der Soldatin Wencke Sarrach seine Entlassungsurkunde bekommt. Es ist das erste Mal, dass eine Frau diese Aufgabe übernommen hat.
+++ Vuvuzelas zur Verabschiedung des Bundespräsidenten? +++
+++ Lob und Tadel für Christian Wulff +++
Unverbindlich bleibt er auch bei seiner Abschiedsrede vor den Gästen im Schloss, noch bevor draußen der offizielle Teil beginnt. "Diesen Anlass hatte ich mir für das Jahr 2015 vorstellen können", sagte er zu Beginn. Dann folgt ein kurzes "Bedauern", dass seine Amtszeit schon nach einem Jahr zu Ende geht. Ansonsten geht er auf die Debatte über seine Person und den Vorwurf, privaten Nutzen aus seinem Amt als niedersächsischer Ministerpräsident gezogen zu haben, nicht ein. Im Gegenteil: Wulff gibt sich präsidial. Er betont sein Engagement für den kulturellen Dialog, für Offenheit und Europa.
Einen merkwürdigeren Zapfenstreich hat es in der bundesdeutschen Geschichte wohl noch nie gegeben - nicht nur wegen der lärmenden Proteste, sondern auch wegen der Diskussionen im Vorfeld. 369 Gäste waren eigentlich eingeladen, das hat die "Bild"-Zeitung schon am Morgen enthüllt. Mindestens 160 Absagen soll es gegeben haben - dass die vier noch lebenden Ex-Bundespräsidenten nicht kommen würden, war bereits in den Vortagen durchgesickert. Immerhin: Ein Großteil des Kabinetts ist da. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzen in der ersten Reihe etwa auch Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), Familienministerin Kristina Schröder (CDU) und Vizekanzler Philipp Rösler (FDP). Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist gekommen - und Peter Hintze, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und standhaftester Fürsprecher Wulffs in sämtlichen Talkrunden der Republik. Alle sind in dicke Mäntel eingepackt. Es ist so kalt geworden, dass man seinen Atem in der Luft sehen kann.
Der große Zapfenstreich ist eigentlich ein altes militärisches Zeremoniell preußischer Schule, Takt für Takt präzise festgelegt. Das Exerzieren der Soldaten, die Fackeln und sauberen Uniformen verkörpern für sich genommen vor allem eine Botschaft: Anerkennung und Respekt. Genau das wollten in den Tagen vor dem Zapfenstreich jedoch nur wenige dem Bundespräsidenten a. D. erweisen. Die lärmende Geräuschkulisse führt das an diesem Abend ad absurdum. Auch die versammelten Gäste sehen ein bisschen verloren aus. Angestrengt versuchen sie zu plaudern, bevor es losgeht. Keiner dreht sich aber um oder reckt den Kopf, um zu sehen, wo genau das Getröte herkommt. Man ist diskret, gibt sich professionell. Nicht anders eben als Wulff.
Und dann sind da natürlich das Wachbataillon der Bundeswehr und das Stabsmusikkorps, das mit seinen Stahlhelmen und eisenbesetzten Stiefeln aufmarschiert, trommelt und trompetet. Gerade mal ein Jahr ist es her, dass die Bundeswehrsoldaten ihren damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach seiner Plagiatsaffäre mit dem Großen Zapfenstreich verabschiedet hatten. Am 10. März war das, vor dem Bendlerblock, gar nicht weit vom Schloss Bellevue entfernt.
Und jetzt wieder. Mit Thomas de Maizière haben die Männer und Frauen in Uniform zwar einen neuen Chef im Verteidigungsministerium, dafür aber keine Wehrpflicht mehr und eine beispiellose Schrumpfkur hinter sich. Es hat sich viel geändert in diesem letzten Jahr in Deutschland. Die Ereignisdichte war ungewöhnlich hoch. Fukushima, Energiewende, Euro-Krise, Griechenland - und jetzt die Causa Wulff. Man weiß nicht, ob Merkel auch daran denkt, als sie auf ihrem Stuhl sitzt und die Zeremonie verfolgt.
Und so bleiben am Ende dieses bisweilen sogar bizarren Abends viele Fragen offen. Zum Beispiel auch jene, was Wulff denn mit dem Rest seines Berufslebens eigentlich anfangen will. Freunde in der Politik hat er nur wenige. Und nur 15 Prozent der Deutschen können sich ein politisches Comeback vorstellen. Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel empfahl ihm "gemeinnützige Arbeit". Wulff selbst hat sich jedenfalls noch nicht dazu geäußert, was er in Zukunft plant, ob er in seinem Haus in Großburgwedel wohnen bleibt oder es ihn ins Ausland zieht. Letzteren Weg hatte auch Karl-Theodor zu Guttenberg gewählt. Aber immerhin: "Ich gehe mit dem Gefühl der Neugier und der Vorfreude auf das, was kommt", hat Wulff am Nachmittag vor seinen Gästen gesagt.
In jedem Fall gilt, dass sich Wulff weiterhin den Ermittlungen stellen muss. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen ihn wegen des Anfangsverdachts der Vorteilsannahme. Etwa ein halbes Jahr wird es aber dauern, bis ein erstes Zwischenergebnis der Ermittlungen vorliegt, lautet die Einschätzung der Ermittler.
Erst gestern hat die Niedersächsische Staatskanzlei die letzten Akten an die Staatsanwälte übergeben - mehrere Tausend Seiten Papier, die jetzt gelesen werden müssen. Wulff hat während der ganzen Zeit beteuert, rechtlich korrekt gehandelt zu haben. Es ist noch nicht klar, was für ihn jetzt die größere Herausforderung werden wird: die juristische Aufarbeitung - oder die Rückkehr des nun amtslosen Menschen Wulff in ein ganz "normales" Leben.