Nach dem Zapfenstreich von Christian Wulff sollte die große Empörung ein Ende haben
Man kann es schon fast mit dem Ende einer unglücklichen Beziehung vergleichen. Einer Beziehung, in der die Partner trotz guten Willens nie so richtig zueinander gefunden haben und das Ende lang und anstrengend an den Nerven zehrt. Mit Christian Wulff und den Deutschen ist es so ähnlich. Unter welchen Umständen seine Amtszeit endete, ist beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Ruf ist ruiniert. Immer neue, riesige Empörungswellen schwappen über das Land. Manche wundern sich kopfschüttelnd, viele haben sich bereits angewidert abgewandt. Und dann gibt es diejenigen, die noch immer sehr, sehr wütend sind.
Zum Beispiel darüber, dass Wulff nach 20 Monaten im Amt mit einem Ehrensold von 199 000 Euro jährlich bedacht wird - einer Summe, von der der Durchschnittsbürger nur träumen kann. Denn auch wenn Wulff das Geld per Gesetz zusteht, nährt dieser Vorgang bei vielen das subjektive Gefühl einer fundamentalen Ungerechtigkeit. Einige treibt die Frage um, ob dieser Zapfenstreich als letzte Ehrung wirklich angemessen ist. Dieser letzte Akt im Präsidenten-Drama bot manchen Kritikern noch mal eine Bühne, ihre Wut über Wulff abzulassen.
So war das in den vergangenen Wochen immer wieder. Nach dem Rücktritt fand der öffentliche Ärger über Gratis-Urlaube, günstige Kredite und Kungelei einen nahtlosen Übergang zur Aufregung über die moralisch höchst fragwürdigen Bezüge nach der Amtsaufgabe, über Büros, Mitarbeiter und einen Dienstwagen. Da ist einer, der den Hals nicht voll kriegen kann - so lässt sich der Eindruck zusammenfassen, den die Deutschen von Christian Wulff zum Schluss gewinnen mussten. einer, dem das nötige Fingerspitzengefühl dafür fehlt, was angemessen ist und was nicht.
Diese Auseinandersetzung mit verletztem Gerechtigkeitsempfinden ist richtig und wichtig - auch weil sie eine reinigende Wirkung haben kann und die Chance besteht, ein bisschen klüger aus der Episode hervorzugehen, als man hineingegangen ist.
Und doch ist der Zapfenstreich ein geeigneter und gebotener Anlass, jetzt wieder in einen Normalmodus zurückzukehren. Die Debatte, die Aufregung, ja, die Hysterie sollten nun ihr Ende finden. Denn neben der berechtigten Wut über Wulffs Fehlverhalten gab es auch eine ganze Reihe an Kritik, die am Ende schon fast groteske Züge angenommen hat.
Vor allem die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke haben jede noch so kleine Angriffsfläche gesucht und es genüsslich zelebriert, sich täglich daran abzuarbeiten. Das ist genau so wenig konstruktiv wie jene Äußerungen des Jazzpianisten Paul Kuhn, der sich - seine Künste in allen Ehren - über die Musikwünsche Wulffs zu seinem Zapfenstreich mokiert und sie als "naiv" abgekanzelt hat. Damit ist niemandem geholfen, und klüger macht es uns nicht. Doch auch die Medien müssen sich diesen Schuh anziehen und Selbstkritik zulassen. Das ganze Spiel würde nicht ohne diejenigen funktionieren, die diesen Stimmen Gehör verschaffen.
Mit dem Großen Zapfenstreich hat sich Deutschland nun offiziell von seinem Bundespräsidenten getrennt. Es täte dem Land und der Stimmung gut, wenn es eine Trennung in Würde wird. Eine Trennung mit aufrechtem Gang, die trotz allem einen respektvollen Umgang miteinander möglich macht. Ohne Absurditäten. Es wurde viel Porzellan zerschlagen. Jetzt muss es ans Aufräumen gehen. Diese Chance sollten wir nutzen.