Datenbank, Abwehrzentrum, Untersuchungsausschuss: Die Politik setzt auf viele Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus. Die Ergebnisse sind spärlich.
Hamburg/Berlin. Jörg Ziercke hat eine Menge Zahlen parat. Nicht zu konkreten Ermittlungsergebnissen, dazu können die Behörden aufgrund laufender Verfahren noch immer nichts sagen. Dafür aber zu dem Datenwust, durch den sich die Beamten bei der Aufklärung der rechtsextremen Mordserie gerade kämpfen müssen. Und so zählt der BKA-Chef auf: 5000 potenzielle Beweismittel seien in den vergangenen Wochen sichergestellt worden, davon 23 Festplatten mit einem riesigen Datenvolumen von neun Terabyte. 840 Hinweisen aus der Bevölkerung gehe man nach. Und es seien jeden Tag 400 BKA-Beamte im Einsatz. "Die Ermittlungen", sagt Ziercke schließlich, "laufen auf Hochtouren." Viele Zahlen, bisher wenig Ergebnisse.
Dass das Bundeskabinett nach dem Streit von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch den Weg frei gemacht hat für die neue Neonazi-Datei , passt Ziercke deshalb sehr gut. Nach der Mordserie durch die Zwickauer Terrorzelle soll es nach dem Vorbild der Anti-Terror-Datei über gefährliche Islamisten eine Sammlung über Rechtsextreme geben. Das Abendblatt dokumentiert die wichtigsten Maßnahmen, die für den Kampf gegen die rechte Gewalt in den letzten Wochen ins Leben gerufen wurden:
Nazi-Datei und Abwehrzentrum
Rund 10.000 Namen werden wohl in die neue Datei aufgenommen - vor allem rechtsextreme Gewalttäter sowie deren Anstifter, Hintermänner und Drahtzieher. Anders als bei der Islamistendatei sollen die Ermittler die Möglichkeit zu einer verknüpften Recherche erhalten. Das heißt, sie können sich etwa die rechtsextreme Musikszene in einer Region anschauen oder Rechtsextremisten mit Waffenkenntnissen abfragen. Es soll jedoch keine Gesinnungsdatei entstehen: Wer rechtsextreme Gewalttaten gutheißt, ohne selbst gewalttätig zu sein, wird nicht erfasst.
Die Datei gilt nun als der zentrale Informationskern für das Abwehrzentrum von Bund und Ländern gegen Rechtsextremismus, das im Dezember gegründet wurde und seine Arbeit bereits aufgenommen hat. Es startet mit 140 Mitarbeitern, soll aber wachsen. Vor allem geht es um eine bessere Kooperation der Polizeibehörden und Verfassungsschutzämter. Hier wird bei der Aufklärung der rechtsextremen Mordserie von schweren Ermittlungspannen ausgegangen, womöglich sogar von Verstrickungen der Behörden.
"Die Neonazi-Verbunddatei ist wenig neu", kritisierte der Chef der Polizeigewerkschaft GdP, Bernhard Witthaut. "Wir haben bereits eine effektive Gewalttäter-Datei für Rechtsextreme." In die Neonazi-Datei hätten auch geistige Brandstifter miteinbezogen werden müssen, wie es Friedrich gefordert hatte. "Dieses Versäumnis wird uns in Zukunft noch auf die Füße fallen." Ähnlich äußerte sich Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie fordert, auch rechtsextreme Geldgeber in die Datei aufzunehmen: "Geldgeber sind oft selbst nicht gewalttätig, machen Gewalt aber durch Organisation von Ausbildungslagern möglich", sagte Kahane. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte: "Wenn Sicherheitsbehörden keinerlei Anhaltspunkte sehen, dass eine Mordserie rechtsextremistisch motiviert ist, hilft auch die neue Datei nicht weiter."
Ausschuss und Kommission
Seit dem Herbst wurden immer wieder peinliche Details zu den Ermittlungen gegen die Rechtsterror-Zelle NSU bekannt: Gerade erst sickerte durch, dass der rechtsextreme "Thüringer Heimatschutz" parallel gleich von mehreren V-Leuten und mehreren Behörden ausgeforscht wurde. Also nicht nur von einem V-Mann, wie man bisher annahm. Ein Untersuchungsausschuss soll Fehler, Pannen, aber auch mögliche Verstrickungen der Sicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzes aufklären. Die parlamentarischen Geschäftsführer aller Bundestagsfraktionen sprachen sich zudem für eine Bund-Länder-Expertenkommission aus, um die Versäumnisse aufzuarbeiten. Auch im Thüringer Landtag soll sich ein Untersuchungsausschuss mit den Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle befassen.
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Aus Sicht von Polizeigewerkschafter Witthaut reicht das nicht aus. Er fordert einen gemeinsamen Untersuchungsausschuss aus Bund und Ländern, um die Versäumnisse aufzuklären. "Die Aufarbeitung ist nicht nur Sache des Bundes und der Länder Thüringen, Sachsen und Niedersachsen. Es müssen alle Behörden der Länder offensiv an der Aufklärung beteiligt werden", so Witthaut im Abendblatt.
Grüne und Linkspartei kritisierten die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses. Derzeit sind elf Mitglieder vorgesehen. Beide Parteien haben je ein Mitglied und damit zusammen weniger als 25 Prozent. Ihnen ist damit kein eigenes Recht auf einen Beweisantrag gewährt - zum Beispiel, um Zeugen zu benennen, die dem Ausschuss noch nicht bekannt sind. Union, FDP und SPD könnten so gemeinsam bestimmte Fragen verhindern.
NPD-Verbotsverfahren
Ob es einen neuen Anlauf für ein Verbot der NPD geben wird, ist offen - denn die Hürden sind hoch. Knackpunkt sind vor allem die V-Leute: Solange sie in den oberen Rängen der Partei aktiv sind, um den Sicherheitsbehörden Informationen zu liefern, wäre ein erneutes Scheitern programmiert. 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht deshalb das damalige NPD-Verbotsverfahren eingestellt und einen Abzug der V-Leute zur Voraussetzung erklärt. Die Innenminister von Bund und Ländern prüfen jetzt die Chancen für einen neuen Verbotsantrag. Für Friedrich ist klar: Ein Verbot wird dann deutlich leichter, wenn nachweisbar ist, dass das Zwickauer Terror-Trio unmittelbar mit der NPD zusammengearbeitet hat und sozusagen als ihr illegaler Arm fungierte.
Dieser Beweis muss allerdings erst einmal erbracht werden. Die Gefahr ist groß, dass ein gescheitertes Verbotsverfahren die Partei sogar stärken würde. Schon deshalb mahnen alle Befürworter zu größter Sorgfalt.