Christian Wulff verweigert die im TV-Interview angekündigte Herausgabe des Schriftverkehrs zwischen seinen Anwälten und Dritten.
Berlin. Der Bundespräsident macht einen Rückzieher: Christian Wulffs Anwalt Gernot Lehr teilte mit, das deutsche Staatsoberhaupt verweigere die von ihm zugesagte Herausgabe seiner detaillierten Anworten auf Hunderte von Fragen zu seiner Kredit- und Mendienaffäre. Lehr hatte die Fragen für Wulff beantwortet. Der dazu geführte Schriftverkehr zwischen Anwälten und Dritten falle unter die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, sagte Lehr dem Berliner „Tagesspiegel“. Wulff hatte zuvor in seinem Interview mit ARD und ZDF gesagt: "Ich geb' ihnen gern die 400 Fragen, 400 Antworten. Man müsse die Transparenz weitertreiben, was auch neue Maßstäbe setze. „Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger, jedes Detail zu den Abläufen sehen (...).“ Derweil schwindet die Zustimmung der Bundesbürger für Bundespräsident Christian Wulff.
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Aus dem Grund der Verschwiegenheit sowie "aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit für alle Beteiligten" sei allerdings eine zusammenfassende Stellungnahme erfolgt, sagte der Rechtsanwalt. Wulffs Anwalt wies erneut die Darstellung der „Bild“-Zeitung zurück, der Präsident habe die Berichterstattung über die Affäre verhindern wollen. Mit seinem Anruf beim Chefredakteur des Blattes habe Wulff lediglich versucht, die Berichterstattung zu verschieben, versicherte Lehr. Ob der Wortlaut von Wulffs Mailbox-Nachricht veröffentlicht werde, sei Sache der Medien, meinte Lehr.
„Bild“ hatte Wulffs Zustimmung dazu erbeten, diese aber nicht erhalten. „Es ist nicht richtig, dass hier eine große Angst besteht vor einer Veröffentlichung, aber es ist Angelegenheit der „Bild“-Zeitung, diesen Tabubruch zu begehen“, sagte der Anwalt. Dagegen sagte der stellvertretende „Bild“-Chefredakteur Nikolaus Blome am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Günther Jauch“, Wulff habe den Artikel „eindeutig“ verhindern wollen. „Der Bundespräsident hat vielleicht das Verschieben als Etappe gesehen, das Verhindern ganz eindeutig als Ziel.“ Wulff sei ein enormes politisches Risiko eingegangen, indem er sich auf der Mailbox verewigt habe. „Der Präsident ist aufs Ganze gegangen mit einem politischen Risiko, weil er das Ganze wollte, nämlich diesen Bericht zu verhindern.“
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Einer am Dienstag veröffentlichten Blitzumfrage für die ARD-Sendung „Hart Aber Fair“ zufolge sprachen sich 46 Prozent der Deutschen gegen und ebenso viele Bürger für einen Rücktritt von Wulff aus. Damit sank Wulffs Rückhalt in der Bevölkerung im Vergleich zu Donnerstag vergangener Woche um zehn Prozentpunkte. Sollte Wulff zurückträten, wären 58 Prozent für den Bürgerrechtler Joachim Gauck als Präsidentschaftskandidat. Gauck war Wulff 2010 unterlegen. Für Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wären 35 Prozent. Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) kam auf 32 Prozent.
Bettina Wulff: "Ernste Atmosphäre"
Beim Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts am Montag sprach Wulffs Ehefrau Bettina von einer "ernsten Atmosphäre", stellte aber klar, dass sie und ihr Mann sich nicht ablenken lassen wollen: "Mein Mann und ich gehen konzentriert unseren Aufgaben und Pflichten nach. Ich werde mich weiter um meine Schirmherrschaften und Projekte kümmern", sagte Frau Wulff. 75 Minuten blieb sie beim Empfang, dann ging es wieder mit dem Zug zurück nach Berlin.
„Ich bin sehr überrascht, dass Frau Wulff heute hier ist. Das zeugt von Souveränität“, sagte der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. Der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Ole von Beust (CDU), sagte: „Unabhängig von der politischen Bewertung wünsche ich ihr menschlich viel Glück. Es sind harte Zeiten für das Ehepaar.“
Nach vier Wochen Dauerstreit über Bundespräsident Christian Wulff hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern einen Schlusspunkt setzen wollen. Merkel sehe keinen Anlass, sich über Rücktritt und mögliche Nachfolger Gedanken zu machen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Es gebe auch „keine wie immer geartete Absprache“ der Koalitionspartner über mögliche Kandidaten im Falle eines Wulff-Rücktritts. SPD und Grüne sprechen dennoch offen über potenzielle Nachfolger des wegen seiner Kredit- und Medienaffäre unter Druck stehenden Staatsoberhaupts.
Der Regierungssprecher dementierte Berichte vom Wochenende, wonach sich die Koalitionsspitzen bereits für einen parteiübergreifenden Konsens-Kandidaten ausgesprochen hätten, falls Wulff nicht mehr zu halten sein sollte. Ein für diese Woche vorgesehenes Treffen zwischen Wulff und Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) sei reine Routine und lange geplant, sagte Seibert. Die Kanzlerin trifft Wulff am Donnerstag beim Neujahrsempfang im Schloss Bellevue. „Sie freut sich auf das Wiedersehen mit dem Bundespräsidenten bei dieser Gelegenheit“, sagte ihr Sprecher.
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bezeichnete die Debatte über den angeschlagenen Bundespräsidenten als „bizarres Spektakel“. Im Radiosender Bayern 2 sagte sie am Montag: „Wir erleben eine Bundeskanzlerin, die so tut, als sei das eine Privatangelegenheit von Herrn Wulff, ob und wie er mit der Wahrheit umgeht.“ Falls es zu einer Neuwahl des Präsidenten komme, erwartet Roth, dass Merkel „auf die Opposition zugeht und dass man gemeinsam nach einer Persönlichkeit sucht“.Mehrere SPD-Politiker sprachen sich für eine erneute Kandidatur von Joachim Gauck aus, der 2010 in der Bundesversammlung gegen Wulff knapp unterlegen war. Es gebe keinen Grund für einen anderen Kandidaten, sagte der SPD-Bundestagabgeordnete Hans-Peter Bartels der „Welt“. Sein Kollege Michael Roth sagte, Gauck wäre ein Präsident, „der weder sich noch das Land blamiert“.
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), hält die Debatte über das Verhalten Wulffs für gerechtfertigt. Er sagte in der SWR-Talkshow „2+Leif“, die öffentliche Kritik sei ein ganz normaler demokratischer Prozess. „Das muss man abkönnen. Die Presse ist in unserem Land frei. Wenn es Vorwürfe gibt, dann bestimmt nicht die Politik und nicht der Parlamentarier, wie lange darüber diskutiert wird, dann bestimmt die Presse, wie lange darüber diskutiert wird.“ Er habe aber „das Gefühl, dass die Debatte etwas ruhiger wird, weil es in den letzten 24 Stunden wenig neue Fragen und Vorwürfe gegeben hat“. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im Bundestag, sagte, Wulff habe seine Glaubwürdigkeit verspielt. Einen Rücktritt forderte Gysi aber nicht. Alle zwei Jahre einen neuen Bundespräsidenten zu wählen, hätte „deutlich staatskrisenhafte Züge“. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Volker Bouffier fordert dagegen ein Ende der Debatte um Wulff. „Ich glaube, dazu ist alles gesagt“, sagte der hessische Ministerpräsident
Für mehr als die Hälfte der Deutschen ist es durchaus in Ordnung, dass Bundespräsident Wulff freundschaftliche Gefälligkeiten angenommen hat. 52 Prozent teilen die Auffassung Wulffs, dass man sich von Freunden ohne Probleme Geld leihen können müsse. Gut repräsentiert fühlen sich die Menschen in Deutschland von ihrem Staatsoberhaupt aber nicht mehr, ergab eine am Montag veröffentlichte YouGov-Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa. Nur 28 Prozent bejahten die Frage, ob sie sich von Wulff gut repräsentiert fühlten. 55 Prozent antworteten mit Nein.
Mit Material von dpa/dapd/rtr