Die stellvertretende Parteichefin Aydan Özoguz über die Kanzler-Frage, Thilo Sarrazin und warum es einer neuen Debatte über das Kopftuch bedarf.
Berlin. Die Karriere der Hamburger SPD-Politikerin Aydan Özoguz hat vor einem Monat einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion mit türkischen Wurzeln wurde zur Stellvertreterin von Parteichef Sigmar Gabriel befördert. Ginge es nach ihr, könnte auch bald eine Frau SPD-Kanzlerkandidatin werden, wie sie im Interview mit dem Abendblatt sagt. Und sie erklärt, warum sie Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin in der SPD halten möchte.
Hamburger Abendblatt: Frau Özoguz, hat das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin Ihnen zum Aufstieg zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gratuliert?
Aydan Özoguz: Nein, er hat mir nicht gratuliert. Aber das ist auch völlig in Ordnung so.
Werden Sie jetzt in Ihrem neuen Amt das Gespräch mit ihm suchen?
Özoguz: Ich sage es mal so: Es ist nicht mein größter Wunsch, mit Thilo Sarrazin zu sprechen. Ich würde mich dem aber auch nicht verweigern, wenn er mich um ein Gespräch bittet.
Ist es gut, dass der Ex-Bundesbanker in der SPD bleiben darf?
Özoguz: Damit sind nicht alle in der SPD zufrieden. Aber wir mussten abwägen. Ein Ausschlussverfahren hätte einen monatelangen Prozess bedeutet, es hätte immer wieder Debatten gegeben. Mir ist es auch lieber, wenn es nicht ständig um Sarrazin geht und wir zur Sachpolitik zurückkehren.
Hält sich Sarrazin an die Grundsätze der Partei, wenn er weiter seine umstrittenen Integrationsthesen verbreitet?
Özoguz: Natürlich laufen seine Thesen der SPD zuwider. Aber Thilo Sarrazin ist ein freier Mann und kann alles sagen, was er will. Das wird er auch weiterhin tun. Wir wollen ihn nicht dadurch interessanter machen, dass ihn die SPD rauswirft. Das muss die Partei aushalten können.
Wie erklären Sie es sich, dass er auf so große Resonanz in der Bevölkerung gestoßen ist?
Özoguz: Die Menschen denken sehr vielschichtig, aber es gibt eben auch Frustration in der Bevölkerung. Wer eine Gruppe wie die Muslime für alles verantwortlich macht und sich selbst nicht hinterfragt, kommt dieser Frustration leicht entgegen. Damit ist aber niemandem geholfen.
Sind manche Deutsche zu ungeduldig mit den Zuwanderern?
Özoguz: Ich würde mir mehr Ungeduld wünschen. Wir irren bei der Integration seit Jahren ziellos umher. Wir müssen den Finger in die Wunde legen und das, was uns auch ärgert, angehen und ändern. Das bedeutet etwa, dass wir nicht nur über Bildung reden, sondern das klare Ziel formulieren, dass jeder einen Schul- und Berufsabschluss macht.
Müssen Zuwanderer Deutsch sprechen, um in Deutschland bleiben zu dürfen?
Özoguz: Deutsch ist fundamental wichtig. Aber Deutsch ist auch eine schwere Sprache. Wer seine Heimat bei uns finden möchte, muss natürlich Deutsch können. Wir sollten aber auch Interesse daran haben, Begeisterung für unser Land und unsere Kultur zu entfachen.
Macht die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, einen guten Job?
Özoguz: Maria Böhmer ist eine freundliche Frau, die nicht den bösartigen Zungenschlag verfolgt, den es oft bei dem Thema Integration gibt. Allerdings ist sie oft nicht mutig genug, sich auch mal gegen die eigene Parteilinie zu stellen. Es muss mehr ums Thema gehen und nicht so sehr darum, Rückhalt in der eigenen Partei zu suchen.
Sie sind mit Hamburgs Innensenator Michael Neumann verheiratet - einem Katholiken. Wie gehen Sie zu Hause mit dem Thema Religion um?
Özoguz: Es wäre übertrieben zu sagen, dass wir ständig über Religion reden. Aber unsere Religionen sind durchaus präsent. Wir begehen muslimische und christliche Feiertage. Das machen wir allein schon im Interesse unserer Tochter.
Worüber würden Sie sich eher erschrecken - wenn Ihre Tochter eines Tages mit einem Nasenpiercing oder mit einem Kopftuch nach Hause kommt?
Özoguz: Beides würde mich nicht erschrecken. Wir schreiben unserer Tochter nichts vor. Mein Mann sagt immer: Die größte Katastrophe wäre es, wenn sie eines Tages in die FDP eintreten würde. (lacht)
Sind Kopftücher ein religiöses Bekenntnis?
Özoguz: Viele Frauen tragen das Kopftuch aufgrund ihrer Frömmigkeit. Ob das jetzt im Koran vorgeschrieben ist oder nicht, halte ich für eine eigenartige Diskussion. Religion ist privat. Die Entscheidung für ein Kopftuch ist eine Privatsache, an der ich mich nicht störe. Politisch wird das Kopftuch erst, wenn etwa Lehrerinnen in Klassenzimmern das Kopftuch tragen. Ich persönlich habe mit Kopftuch tragenden Frauen kein Problem.
Herrschen zu viele Vorurteile über Kopftücher?
Özoguz: Ich glaube, dass wir die Debatte über den Sinn von Kopftüchern führen müssen. Es gibt viele Vorbehalte in der Bevölkerung gegen das Kopftuch. Diese Vorbehalte müssen ausgesprochen werden. Ich habe den Eindruck, dass einer Kopftuch tragenden Frau per se viel Unwahres unterstellt wird. Nicht jedes Bekenntnis zum Kopftuch ist mit einem Missionsgedanken erfüllt.
Es hat 150 Jahre gedauert, bis die SPD reif war für ihre erste stellvertretende Parteivorsitzende mit türkischen Wurzeln. Wann ist sie reif für eine Bundeskanzlerin?
Özoguz: Die SPD ist längst reif für eine Kanzlerin. Weibliches Personal, das begeistern kann, hat die SPD genug. Man schaue sich allein die Ergebnisse der Stellvertreter bei den Wahlen der SPD-Spitze an. Hannelore Kraft hat ein hervorragendes Ergebnis als Vize-Parteichefin erhalten. Die Begeisterung für Frauen ist da in der SPD.
Hilft es der Partei, dass die Entscheidung allein zwischen Steinmeier, Steinbrück und Gabriel fallen soll?
Özoguz: Es steht noch gar nicht fest, ob die Entscheidung zwischen Gabriel, Steinmeier und Steinbrück fallen wird. Der Parteivorsitzende wird einen Vorschlag machen, und der Parteitag wird entscheiden. Das ist das Einzige, das feststeht.
Welche Chancen räumen Sie ihrem Hamburger Parteifreund Peer Steinbrück für 2013 ein?
Özoguz: Darüber spekuliere ich nicht. Ich halte Peer Steinbrück für einen unserer fähigsten Finanzpolitiker. Frank-Walter Steinmeier hat uns als Fraktionsvorsitzender deutlich vorangebracht. Sigmar Gabriel ist ein Parteivorsitzender, der die Partei wieder auf die Beine gebracht hat. Wir haben mit Hannelore Kraft eine tolle Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen. Und wir haben mit Olaf Scholz einen sehr überzeugenden Ersten Bürgermeister in Hamburg. Wir haben genug fähiges Personal und wir haben noch ein ganzes Jahr bis zur Entscheidung.
DGB-Chef Sommer sagt, der Kandidat sollte schon eine Wahl gewonnen haben.
Özoguz: Das Argument finde ich merkwürdig. Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, hatte sie vorher auch noch keine Wahl gewonnen.