SPD-Vize Manuela Schwesig spricht über ein Verbot der rechtsextremen Partei NPD und die politischen Fehler bei der Kinderbetreuung.
Berlin. Die Ansage aus der Parteispitze ist eindeutig: Nicht Personen, sondern Inhalte sollen beim am Sonntag beginnenden SPD-Bundesparteitag in Berlin im Vordergrund stehen. Doch neben programmatischen Neujustierungen kommt die Partei an dem fokussierten Blick auf ihr Personal nicht vorbei. Die Frage der Kanzlerkandidatur bleibt spannend, auch die Wahlen zur neuen Parteispitze tun ihr Übriges. Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig will erneut zur stellvertretenden SPD-Vorsitzenden gewählt werden. Im Interview greift sie vor allem Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) an.
Hamburger Abendblatt: Frau Ministerin, bei Ihrer Bewerbungsrede zur SPD-Vizevorsitzenden haben Sie auf dem Dresdner Parteitag 2009 gesagt, Politiker müssten sich auch Fehler eingestehen. Welche haben Sie seitdem gemacht?
Manuela Schwesig: Ich will nicht behaupten, dass ich fehlerlos bin. Für meine ersten zwei Jahre als Parteivize ziehe ich allerdings eine positive Bilanz. Durch viele Begegnungen vor Ort habe ich Deutschland und meine Partei viel besser kennengelernt. Dabei habe ich erfahren, dass die Themen, die mich in Mecklenburg-Vorpommern als Ministerin beschäftigen, auch das ganze Land bewegen.
Hat Ihre Familie immer Freude an Ihrem Amt?
Schwesig: Ja, mein Mann unterstützt mich und ist immer bei den Parteitagen dabei. Meinem Sohn ist es schnuppe, welche Ämter ich innehabe. Ihm ist wichtig, dass ich für ihn als Mutter da bin.
Wie schwierig ist es, als Familienpolitikerin der eigenen Familie gerecht zu werden?
Schwesig: Ich mache den gleichen Spagat wie andere berufstätige Mütter auch. Mein Mann und ich müssen unseren Alltag gut organisieren. Ich habe sicher weniger Zeit für meine Familie als andere, die einen regulären Job machen. In meiner Freizeit bin ich aber konsequent und nur in Notfällen erreichbar.
Sie werden beim kommenden Parteitag in Berlin den Leitantrag "Familienland Deutschland" einbringen. Welcher Aspekt ist Ihnen besonders wichtig?
Schwesig: Unser Schwerpunkt liegt auf guter Bildung und Betreuung. Bis 2020 wollen wir stufenweise Ganztagskitas und -schulen flächendeckend ausbauen. Darüber hinaus orientieren wir unsere Angebote an den unterschiedlichen Lebenssituationen von Familien: alleinerziehende, Paare und selbst Singles, die pflegebedürftige Eltern haben.
Sie wollen auch das Kindergeld reformieren. Sind 184 Euro pro Kind nicht genug?
Schwesig: 184 Euro pro Kind sind gut und werden auch benötigt. Aber wer wie ich ein gutes Einkommen hat, bekommt heute nicht nur 184 Euro Kindergeld, sondern mehr. Spitzenverdiener erhalten über den Steuerfreibetrag bis zu 100 Euro mehr im Monat für ihr Kind. Das ist ungerecht. Wir wollen die Kinder gleichstellen. Alle sollen 184 Euro bekommen, aber Geringverdienerpaare mit bis zu 3000 Euro Bruttoeinkommen sollen zusätzlich unterstützt werden.
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Heißt konkret?
Schwesig: Geringverdiener bekommen einen Aufschlag auf das Kindergeld von bis zu 140 Euro. Das ist der heutige Kinderzuschlag, den es schon gibt, aber viele Eltern nicht erreicht, weil das Verfahren zu bürokratisch ist.
2013 sollen Eltern einen Rechtsanspruch auf die Betreuung ihrer ein- bis dreijährigen Kinder bekommen. Wird der Staat sein Versprechen halten?
Schwesig: Er muss. Ohne den Rechtsanspruch würde gar nichts geschehen. Nur die Rechnung der Bundesregierung, 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren ab 2013 einen Krippenplatz zur Verfügung zu stellen, geht jetzt schon nicht auf. Der Bedarf ist höher. Allein in Mecklenburg-Vorpommern gehen bereits 60 bis 70 Prozent der Kinder im Alter von zwei und drei Jahren in eine Krippe.
Der Bund hat seinerzeit vier Milliarden Euro für Länder und Kommunen versprochen, um das Betreuungsziel zu erreichen. Ist das zu wenig Geld?
Schwesig: Was vom Bund kommt, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Geld des Bundes macht in Mecklenburg-Vorpommern nicht einmal fünf Prozent der Gesamtkosten aus, die wir für dieses System schultern müssen. Bundesfamilienministerin Schröder wird seit einem Jahr von den Familienministern der Länder aufgefordert, einen neuen Krippengipfel einzuberufen. Frau Schröder muss endlich handeln. Sie muss eigene Anstrengungen liefern und Bund, Länder und Kommunen an einen Tisch holen.
Wer trägt Schuld daran, dass der Ausbau vielerorts schleppend verläuft?
Schwesig: Schuldzuweisungen à la Schröder helfen nicht weiter. Alle müssen etwas tun. Der Bund hätte zum Beispiel längst eine Ausbildungsinitiative für den Erzieherberuf starten müssen. Es gibt auch Länder wie Hessen, aus dem die Familienministerin kommt und wo viel zu wenig getan wird. Frau Schröders eigener Wahlkreis hat erst eine Betreuungsquote von 21 Prozent. Wir haben in Ostdeutschland den Vorteil, dass wir in DDR-Zeiten eine Kita-Struktur hatten, auf die wir gut aufbauen konnten.
Fällt dieses Thema unter die Rubrik: Es war doch nicht alles schlecht in der DDR?
Schwesig: Bei der Kinderbetreuung im Osten waren wir ein Stück weiter. In der DDR gab es Verständnis dafür, wenn Frauen wieder arbeiten gehen wollten und ihre Kinder in die Kita gaben. Diese Mentalität ist im Osten und in unseren europäischen Nachbarländern selbstverständlich und hat sich langsam nach Westdeutschland übertragen. Ich selbst bin mit neun Monaten in die Krippe gegeben worden. Ich glaube, es hat mir nicht geschadet.
Was halten Sie von Eltern, die ihr Kind zu Hause betreuen wollen?
Schwesig: Ich kann das nachvollziehen. Wir haben doch alle den Wunsch, viel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen. Viele haben aber auch gar nicht die Wahl, weil sie auf das Einkommen beider Elternteile angewiesen sind. Außerdem sind Kitas ein tolles Bildungsangebot für die Kinder. Deshalb ist es unverantwortlich, bestimmte Eltern per Betreuungsgeld dafür zu belohnen, ihre Kinder von der Kita fernzuhalten. Das Betreuungsgeld könnte eine fatale Wirkung bei Eltern entfalten, die jetzt schon mit ihrer Erziehungsverantwortung überfordert sind. Die zwei Milliarden Euro, die Schwarz-Gelb nun für das Betreuungsgeld plant, müssten zu 100 Prozent in den Krippenausbau gesteckt werden.
Frau Schwesig, in keinem anderen Bundesland ist die NPD so erfolgreich wie in Ihrem. Was machen die SPD und die anderen Parteien falsch?
Schwesig: Die NPD ist kein spezifisches Problem unseres Landes, aber wir haben leider weiße Flächen auf der Landkarte. Dort sind keine demokratischen Parteien mehr, auch keine Kirchen, keine Gewerkschaften, keine lokalen Medien. Ich bin dafür, parteiübergreifende Bürgerbüros in den dünn besiedelten Landstrichen einzurichten.
Wären mit einem NPD-Verbot alle Probleme gelöst?
Schwesig: Die NPD liefert das Gedankengut des Rechtsterrorismus. Diese Partei wird auch von Steuergeldern bezahlt. Wir senden ein völlig falsches Signal in die Gesellschaft, wenn wir diese NPD weiter legitimieren. Braunes Gedankengut muss allerdings vielfältig bekämpft werden.
Welche Schritte erwarten Sie?
Schwesig: Die Strukturen der Partei dürfen nicht mehr aus Steuergeldern bezahlt werden. Eine NPD-Fraktion in einem Landtag erhält eine Menge Geld und überschreitet dabei ständig die Grenzen der Demokratie. Das NPD-Verbot würde endlich auch dafür sorgen, dass die Nazis nicht ständig unter Polizeischutz durch die Straßen marschieren dürfen. Im Kampf gegen Rechtsextremismus ist das Verbotsverfahren eines der wichtigsten politischen Projekte für 2012.