SPD, Grüne und Linke fordern Neuwahlen - Massenproteste gegen das Sparpaket
Berlin/Hamburg. Die Bundesregierung stürzt immer tiefer in die Krise. Trotz eines Machtworts von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekämpfen sich führende Koalitionspolitiker aufs Schärfste. Knapp acht Monate nach ihrem Start zeigt Schwarz-Gelb Auflösungserscheinungen. Die populärste Figur im Kabinett, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), soll seinen Rücktritt erwogen haben, weil er sich in der sogenannten Kundus-Affäre vom Kanzleramt hintergangen fühlt.
Der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn warnte vor dem Koalitionsbruch. "Entweder wir kriegen in Berlin die Kurve oder es ist bald Schluss mit der Koalition", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) rief die Koalition zur Ordnung: "Wer glaubt, dass irgendjemand in Deutschland bereit ist, eine bürgerliche Koalition attraktiv zu finden, die ein bürgerliches Gewirr ist, der irrt sich."
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte die Kanzlerin auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. "Angesichts der heftigen Widersprüche in der schwarz-gelben Koalition ist fraglich, ob Frau Merkel für ihre Politik noch eine Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hinter sich hat. Sie sollte daher die Schlussabstimmung über das Sparpaket mit der Vertrauensfrage verbinden", sagte Trittin dem Abendblatt. Führende Oppositionspolitiker plädierten für Neuwahlen. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Das Wort Neuwahl ist im Kopf und im Herzen von jedem, der jetzt politisch verantwortlich denkt." SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nannte in der "Bild"-Zeitung eine vorgezogene Wahl den "saubersten Weg". SPD-Vize Olaf Scholz sagte: Wenn es so weitergehe, werde "der Ruf nach Neuwahlen immer lauter werden". Linke-Chef Klaus Ernst sprach sich für eine Auflösung des Bundestages aus. "Wir sind für Neuwahlen, wenn dadurch die schwarz-gelbe Sozialkürzungsorgie und die Kopfpauschale verhindert werden", sagte er dem Abendblatt. "Merkel und Westerwelle haben die Wähler betrogen." Weder Sozialabbau noch Steuererhöhungen seien vor der Wahl angekündigt worden. "Die schwarz-gelbe Mehrheit ruht auf einer riesigen Wahllüge", so Ernst.
Immer weniger Bürger glauben, dass die Koalition die volle vierjährige Wahlperiode hält. Einer Emnid-Umfrage zufolge erwarten 55 Prozent ein vorzeitiges Ende, nur 37 Prozent glauben an den Bestand des Bündnisses bis 2013.
Die Kanzlerin forderte die Koalition auf, sich zu disziplinieren. "Wir müssen den Menschen in einer schwierigen Zeit Verlässlichkeit bieten", sagte sie der "Bild am Sonntag". Zugleich verteidigte die CDU-Chefin das Sparpaket der Koalition als ausgewogen. Führende CDU-Politiker hatten sich für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes ausgesprochen, um bei der Haushaltskonsolidierung die soziale Balance zu wahren. In der FDP stoßen Belastungen für Besserverdienende weiter auf Ablehnung. "Im Präsidium haben wir noch nie über einen höheren Spitzensteuersatz diskutiert. Und wir sind auch nicht bereit, darüber zu diskutieren", sagte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler dem Abendblatt. "Höhere Steuern sind für uns kein Thema."
Aus Protest gegen die Einsparmaßnahmen, die auch Arbeitslose betreffen sollen, gingen am Wochenende Zehntausende in Berlin und Stuttgart auf die Straße.