Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki will Reiche belasten. Merkel mahnt die Koalition, am Sparpaket nicht zu rütteln.
Hamburg/Berlin. Für die Liberalen gelten Steuererhöhungen grundsätzlich als Tabu . Doch nun ist der erste führende FDP-Politiker nach den Sparbeschlüssen der Bundesregierung aus der Parteilinie ausgeschert und hat offen für eine Erhöhung der Reichensteuer geworben, die bislang ab einem Jahresgehalt von 250 000 Euro mit einem Satz von 45 Prozent greift. Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki plädiert dafür, diesen Steuersatz auf 47,5 Prozent zu erhöhen, um so die mittleren Einkommen zu entlasten. "Sollten wir keine grundlegende Steuerreform bekommen, muss mindestens dieses Problem angegangen werden", begründete er seinen Vorstoß gegenüber dem Abendblatt. "Die Mittel müssen im System bleiben", stellte der FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag zugleich klar. Kubicki betonte: "Jede Entlastung hilft - gerade jenen, die die Hauptlast zu tragen haben. Und das ist die Mittelschicht."
Kubickis Parteifreund Jörg Bode, Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident in Niedersachsen, lehnte dagegen jegliche Einkommenssteuererhöhungen ab. Er sagte dem Abendblatt: "Angesichts der aufgeheizten Stimmung halte ich es zurzeit für wenig sinnvoll, stündlich neue Vorschläge zum Sparpaket zu machen und so den Blick auf das große Ziel der Koalition zu verbauen." Die Bundesregierung habe mit dem Sparpaket ein deutliches Signal gegeben, "dass sie willens und in der Lage ist, die Staatsfinanzen für unsere Kinder und Enkel zu sanieren", sagte Bode weiter. In den kommenden Jahren stünden den Deutschen "noch mehr Reformen und Prioritätensetzungen" bevor, gab der Minister zu bedenken.
Dass Spitzenverdiener stärker für die Sanierung des Bundeshaushalts herangezogen werden, hatten zuvor auch CDU-Politiker wie Bundestagspräsident Norbert Lammert, Saarlands Ministerpräsident Peter Müller und Vertreter des Arbeitnehmerflügels der Partei gefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnte die Vorschläge gestern unmissverständlich ab. Über das Sparpaket der Koalition sagte sie: "Es geht darum, dass wir das jetzt Realität werden lassen." Sonst könnten die Bürger kein Vertrauen in die Politik haben. Sie halte das Programm für ausgewogen und richtig. Gleichwohl räumte sie "schmerzliche Entscheidungen" wie beim Elterngeld und "Kritik von allen Seiten" ein.
Auch in der CSU zeigte man sich irritiert über die Forderungen nach einem Beitrag von Besser- und Spitzenverdienern. Deren Sozialexperte Max Straubinger warnte vor Steuererhöhungen: "Ich halte das Sparpaket für gut ausbalanciert und sozial ausgewogen. Die Einsparungen sind auch nicht so scharf wie behauptet", sagte er dem Abendblatt. "Was wir jetzt auf dem Tisch haben, ist erst einmal ein Eckpunkte-Papier." Sicher werde man da im Laufe der Beratungen noch auf manche Bereiche kritisch draufschauen müssen. "Wer aber fordert, für ein sozial gerechteres Sparen müsse man die Steuerzahler stärker belasten, sollte bedenken, dass die Steuerzahler überhaupt erst die Grundlage dafür liefern, dass der Staat soziale Leistungen zahlen kann", betonte Straubinger.
Auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) stellte sich in der Debatte demonstrativ hinter Merkel. "Programme dieser Art sind zu loben und nicht zu zerreden", sagte Koch gestern. Er erteilte einer Anhebung der Einkommenssteuersätze ebenfalls eine Absage: "An der Stelle haben wir keinen nennenswerten Spielraum nach oben." Der Ministerpräsident warnte zugleich, die Schuldenbremse zu umgehen. "Die Staatsverschuldung ist eine Seuche." Wenn die Schuldenbremse eingehalten werde, sei die Seuche kontrollierbar. Der bisherige Schritt zum Sparen reicht aus Kochs Sicht aber nicht. "Er wird am Ende eines politischen Weges, den sich auch die Christliche Demokratische Union überlegen muss, nicht ausreichen." So müssten Verkehrswege dauerhaft mit mehr privatem Kapital finanziert werden.
Während der Steuerstreit die Debatte um das Sparpaket der Koalition dominierte, forderte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine Entscheidung über seinen umstrittenen Vorstoß für ein Aussetzen der Wehrpflicht bis zum Herbst. In dieser Frage hatte die Regierung in ihrer Sparklausur noch keine Lösung angestrebt - offenbar gegen den Willen des Verteidigungsministers. Gestern ging er in die Offensive: "Wir müssen diese Diskussion offen führen und nicht irgendwo in irgendwelchen Hinterzimmern", sagte Guttenberg. Bis Anfang September solle "ohne Scheuklappen" darüber debattiert werden. Es gehe aber darum, "dann auch zu Entscheidungen zu kommen". Er forderte zugleich: "Wir brauchen eine möglichst flexible, eine möglichst gut aufgestellte, eine möglichst gut ausgerüstete Armee der Zukunft." Sie müsse aber bezahlbar sein. "Das geht nicht, ohne dass man beim Personal ansetzen müsste." Die Wehrpflicht sei zwar ein "Kernbestandteil unseres Denkens", die Frage nach der Aussetzung müsse aber gestellt werden.