Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen sind die Liberalen verunsichert. Die Grünen sehen sich schon als die wahre Erbin des Liberalismus.
Köln. Eine Partei fühlt sich unverstanden. Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist die FDP in einen nachdenklichen Zustand verfallen. Beim Bundesparteitag in Köln hat sie volle zwei Tage lang nach der Antwort auf die Frage gesucht, warum sie bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nur fünf bis acht Prozent erwarten kann.
Gefunden hat sie die Antwort nicht. "Wir haben doch unsere Wahlversprechen von der Bundestagswahl gehalten", sagen mehrere Spitzenliberale frustriert. Selbst Gesundheitsminister Philipp Rösler, der sich in Köln eigentlich nur zur Gesundheitspolitik äußern will, zeigt sich offen irritiert. "Es sind nicht die Werte, die wir verdienen", sagt er über die Umfragen. Und Niedersachsens Vize-Regierungschef Jörg Bode sagte dem Abendblatt: "Die Partei ist im Umbruch. Wir sind noch nicht zurück bei 100 Prozent. Wir stehen erst bei 80 Prozent."
Eine Partei, die nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte ist, ist schwer zu motivieren. Parteichef Guido Westerwelle spürt das, als er vor den 600 Delegierten ans Rednerpult tritt. Also hält er eine Art Jetzt-erst-recht-Rede, in der er eine geistig-politische Wende einmal mehr beschwört und zum Politikwechsel aufruft. Es sei doch völlig klar, dass es Widerstände und Attacken der Opposition gebe, sagt er. Westerwelle begründet das so: "Wir sind denen zu erfolgreich geworden." Er erinnert an die Kindergelderhöhung Anfang des Jahres und wundert sich, warum die Opposition darüber schimpft. "Wie kommen die darauf, uns irgendwelche sozialen Vorhaltungen zu machen?", fragt Westerwelle entrüstet. "Ja, es gab Anfangsschwierigkeiten. Aber wir haben Tritt gefasst", sagt er. Doch von Fehlern will er nicht sprechen. Das gefällt den Zuhörern. Wie man in kürzester Zeit das Wahlziel in Nordrhein-Westfalen von 10 Prozent plus x noch erreichen und damit die schwarz-gelbe Koalition retten will, kann ihnen allerdings auch der Parteichef nicht sagen.
Allein die Frage, wer eigentlich die Nummer zwei in der FDP hinter Westerwelle ist, scheint beantwortet. Obwohl der junge Gesundheitsminister Rösler energisch um seine Reformvorhaben wirbt, kann der sonst so agile Menschenfänger bei seinen Parteifreunden kaum Begeisterung wecken. Es ist das sperrige Thema, das Rösler ausbremst. Christian Lindner hat es da leichter. Der nun mit fast 96 Prozent der Delegierten offiziell ins Amt des Generalssekretärs gewählte 31-Jährige erinnert in Gestik und Rhetorik verblüffend an Westerwelle. Lindners Auftreten wirkt so, als ob es ihn schon ewig in der FDP gegeben habe. Und inhaltlich geht der Generalsekretär genauso vor, wie Westerwelle es sich nur wünschen kann: Mit Verve verteidigt er die nun offiziell abgesegneten und abgeschwächten Steuerpläne der FDP als die Einhaltung des Wahlversprechens. Er nennt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Finanzphilosophen, und er ruft: "Der Staat ist nicht arm." Dafür klopft ihm der Parteichef gönnerhaft auf die Schulter. Westerwelle kann beruhigt sein. Lindner darf sich von nun an als die unangefochtene Wunderwaffe der Westerwelle-FDP fühlen.
Während sich die FDP in der Messehalle auf der rechten Seite des Rheins vor allem Mut zuredet, wissen die Grünen in der Vulkanhalle auf der linken Rheinseite gar nicht wohin mit all ihrem Selbstbewusstsein. Sie haben die Liberalen mächtig geärgert mit ihrer Entscheidung, zeitgleich in Köln einen Parteitag abzuhalten, wenn auch eine Nummer kleiner. Bei der FDP sprach man im Vorfeld unverblümt von einer Sauerei und einem Verstoß gegen die Gepflogenheiten. Gegenveranstaltungen einer anderen Partei seien doch sehr unüblich, hieß es bei den Liberalen. Und eine Gegenveranstaltung ist der Grünen-Parteitag, der sich diesmal Länderrat nennt, in jedem Fall. Die Halle für das Parteitreffen ist höchstens ein Viertel so groß wie die monströse Messehalle der FDP. Und den Grünen reichen rund 150 Delegierte, um sich so groß zu fühlen, wie sie derzeit sind. In den Umfragen stehen sie stabil bei elf Prozent und darüber. Sie sind in einer strategischen Position angekommen, die früher der FDP vorbehalten war.
Die Grünen wissen, dass sie darüber entscheiden können, ob es nach dem 9. Mai ein schwarz-grünes Bündnis oder ein rot-rot-grünes Bündnis gibt. Beide Varianten wären bahnbrechend. Und die Grünen wollen regieren: Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann gibt sich forsch. Sie spricht von Siegeszuversicht, davon, drittstärkste Kraft im Land zu werden, und davon, dass man "in zwei Wochen ordentlich was zu feiern" habe. Es sind Sätze, die die Liberalen sich im Moment nicht trauen würden.
Aber die Grünen können so reden, sie haben die Wahl. Es fällt auf, wie intensiv sich die Partei bereits mit NRW-Regierungschef Jürgen Rüttgers beschäftigt. Löhrmann stellt Bedingungen an die CDU: Den Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem und den Atomausstieg will sie zugesichert bekommen, bevor sie mit Rüttgers regiert.
Für die FDP haben die Grünen nur noch böse Worte übrig. Parteichefin Claudia Roth will beim FDP-Parteitag einen "österreichischen Zungenschlag" herausgehört haben, und Fraktionschef Jürgen Trittin wähnt die FDP in den Fußstapfen Jörg Haiders. Und eine Delegierte der Grünen Jugend sagt trotzig: "Die Grünen sind die neuen Liberalen." Für SPD-Chef Sigmar Gabriel sind sie das schon längst, wie er neulich betonte. Parteichef Cem Özdemir ist geschmeichelt: "Liberale Politik ist ein Bestandteil der Grünen", sagt er und zählt auf: "Wir sind die Partei der Bürgerrechte, des Datenschutzes, der Internetsicherheit." Auch in Wirtschaftsfragen sieht er seine Partei vorne. "Die FDP kümmert sich nicht um die Wirtschaft an sich, sondern nur um einzelne Branchen. Wir Grüne sind intensiv im Gespräch mit der Wirtschaft." Dann berichtet er von einer Handwerksmesse in München, bei der er mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zusammen aufgetreten ist. "Das wäre früher ein Auswärtsspiel für einen Grünen gewesen. Jetzt gab es da mehr Applaus für mich als Grünen-Vorsitzenden als für den FDP-Wirtschaftsminister Brüderle."
Bei den Liberalen werden solche Äußerungen staunend zur Kenntnis genommen. Den Grünen trauen sie in der Wirtschaftspolitik ganz und gar nicht über den Weg. "Die Grünen sind die Partei des guten, ökologischen Gewissens. Sie sind die Partei der Gutmenschen und Besserwisser, die den technologischen Fortschritt am Ende bremsen wollen", stellt Niedersachsens Wirtschaftsminister Bode klar.
In diesem "diametralen Gegensatz" will er erkannt haben, warum es einfach nicht funktioniert zwischen den echten Liberalen und den angeblich neuen Liberalen im grünen Gewand. Andere in der FDP sagen, dass es menschlich mit Grünen-Politikern einfach so laufe. Eine prominente Grüne sagt: "Es gibt keinerlei Gesprächskontakt zur FDP."
Man war einander mal näher. Die gegenseitige Abneigung sorgt zumindest in NRW für gewisse Klarheit. Es wird weder zu einer Ampel-Koalition, noch zu einem Jamaika-Bündnis kommen. FDP und Grüne sind entschlossen, ihr Nicht-Verhältnis weiter zu pflegen.