Nach Meinung der Opposition verstrickt sich der Verteidigungsminister in Widersprüche, sie fordert deshalb eine Regierungserklärung.
Berlin. Neben Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gerät auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zunehmend in den Strudel der Kundus-Affäre. Die Bundeswehr soll beim Luftangriff in Afghanistan am 4. September nicht nur - wie bisher behauptet - die Zerstörung zweier entführter Tankwagen zum Ziel gehabt haben, sondern vor allem die Tötung von Taliban-Führern. Das Bombardement mit vielen zivilen Opfern soll das Ergebnis einer verschärften Einsatzstrategie sein, in die das Kanzleramt involviert gewesen sein soll. Zudem wird im Umfeld des entlassenen Ministeriums-Spitzenpersonals kolportiert, Guttenberg sei entgegen eigener Darstellung über mehrere Berichte zum Angriff informiert gewesen.
Die Opposition sieht einen Verstoß gegen das Bundestagsmandat und fordert eine Regierungserklärung. Die Grünen bezichtigten Guttenberg der Lüge. SPD-Chef Sigmar Gabriel legte ihm für diesen Fall den Rücktritt nahe. Der Minister und Merkels Sprecher Ulrich Wilhelm wiesen die Vorwürfe zurück. Guttenberg forderte „realistische“ Vorgaben für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
Bei dem vom deutschen Kundus-Kommandeur Georg Klein angeforderten US-Luftangriff waren laut NATO-Untersuchungsbericht bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden, darunter 30 bis 40 Zivilisten. Die Vorgänge und die anschließende Informationspolitik sollen in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden, der sich an diesem Mittwoch konstituiert.
Im ISAF-Untersuchungsbericht für die NATO heißt es laut „Süddeutscher Zeitung“: „Er (Kommandeur Klein) hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge.“ Klein selbst schrieb am Tag nach dem Angriff laut „Spiegel“, er habe die „Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents -Aufständische) ... vernichten“ wollen. Die Regierung hatte immer erklärt, die Tankwagen seien angegriffen worden, weil sie als rollende Bomben hätten eingesetzt werden können. Auf Basis des NATO-Berichts hatte Guttenberg den Angriff zunächst als „militärisch angemessen“ eingestuft und sich später korrigiert. In der „Bild am Sonntag" sagt er nun: „Wir brauchen künftig eine realistische Einschätzung der Situation und müssen die Einsätze daran ausrichten.“
“Der Spiegel“ und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichteten zudem, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert hätten ihn über vier weitere Berichte neben dem der NATO informiert, darunter eine Untersuchung der deutschen Feldjäger. Das Magazin beruft sich auf das Umfeld der beiden, die Zeitung nennt keine Quelle. Vor dem Bundestag hatte Guttenberg ihre Entlassung mit dem Verschweigen unter anderem des Feldjäger-Berichts erklärt. In der „BamS“ bekräftigte er: Es „ist Tatsache, dass mir relevante Dokumente vorenthalten wurden“.
Außerdem sollen das Kanzleramt sowie für die Geheimdienste zuständige Regierungsvertreter vor und nach dem Angriff in eine neue Eskalationsstufe in Afghanistan einbezogen gewesen sein, wie die „Leipziger Volkszeitung“ berichtet. Dabei sei es auch um gezielte Tötungen gegangen. Klein habe sich deshalb nach Angaben aus der Bundeswehr „ermutigt gefühlt“, „kräftig durchzugreifen“. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm entgegnete: „Das Kanzleramt hat stets großen Wert darauf gelegt, dass die Einsätze der Bundeswehr immer im Rahmen des vom Bundestag erteilten Mandats erfolgen.“
Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sagte der „Bild“-Zeitung jedoch: „Mit dem Geist der Bundestagsmandate für Afghanistan wären gezielte Tötungen absolut nicht vereinbar.“ Ähnlich äußerte sich der Obmann der Linken, Peter Schäfer, in einem dpa-Gespräch.
SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Sonntag, wenn Guttenberg die bekanntgewordenen Details gekannt, aber nicht die Öffentlichkeit informiert habe, „gilt für ihn die gleiche Messlatte“ wie für den zurückgetretenen Minister Franz-Josef Jung (CDU). Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Guttenberg in der ARD vor, „wissentlich die Unwahrheit“ gesagt zu haben.
In dem NATO-Bericht gibt es laut „Spiegel“ zudem Hinweise darauf, dass die Bundeswehr vor dem Bombardement wusste, dass einer der beiden einheimischen Tankwagen-Fahrer noch lebte. In diesem Falle hätte Klein zumindest den Tod eines Unschuldigen in Kauf genommen. Zudem soll die Mission hauptsächlich von jener geheimen Einheit Taskforce-47 „initiiert“ worden sei, die Klein beriet.