Was geschieht mit unseren Daten im Internet? Fernseh-Moderator Günther Jauch befeuert eine der wichtigsten Debatten der Gegenwart.
Hamburg. Es sind bohrende Fragen, die Moderator Günther Jauch in seinen TV-Sendungen stellt. Wer Millionär werden will oder bei "Stern-TV" neben ihm sitzt, muss schon einiges wissen und vieles von sich preisgeben. Wenn es jedoch um ihn selbst geht, ist Jauch äußerst zurückhaltend. Sein Privatleben soll privat bleiben.
Umso peinlicher, oder wie er selbst sagt "oberpeinlich", ist es ihm, wenn er davon ausgerechnet etwas im Internet findet. In der ARD-Talksendung "Beckmann", die heute Abend ausgestrahlt wird, gesteht er außergewöhnlich offen, dass er einmal beim Internetversandhandel Amazon etwas Erotisches ("Nicht für mich!") bestellt habe. "Seitdem, wenn ich die Seite öffne, kommt da im Grunde eine Pornonummer nach der nächsten: ,Wenn Ihnen das gefällt, dann gefällt Ihnen sicherlich auch das'", erzählt Jauch. "Es ärgert mich, dass die ein Bild von mir haben und mich dann bombardieren."
Ein Bild hat Amazon nicht nur von Günther Jauch. Er ist in großer Gesellschaft von 16,7 Millionen Amazon-Kunden, die, sobald sie ein Angebot anklicken, mit genau der gleichen "Dann-wollen-Sie-doch-vielleicht-auch-das"-Mail rechnen müssen. Was für den einen ein attraktiver Kundenservice ist, wird dem anderen schnell lästig - oder, wie eben Jauch, sehr unheimlich.
Was weiß das Netz noch über mich? Wer hat Zugriff auf die Daten der 42 Millionen deutschen Internetnutzer? Und: Gibt es eine Stelle, an der das vielleicht alles zusammenläuft und der gläserne Mensch schon Wirklichkeit ist? "Wenn jemand weiß, was für E-Mails wir schreiben, welche Seiten wir abrufen, wo wir uns im Netz tummeln, wie lange wir eine Seite betrachten - der weiß mehr über uns als die eigene Frau und die eigenen Kinder", sagt Jauch entsetzt. Frank Schirrmacher, Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen" und Bestseller-Autor, malt ebenfalls in der "Beckmann"-Sendung ein orwellsches Horrorszenario über die allumfassende Suchmaschine Google: "Theoretisch, also wirklich theoretisch können sowohl Google als auch unsere Handybetreiber, die unglaubliche Informationen über uns haben, mit dieser entanonymisierten Macht Profile aufstellen. Die reichen von der Frage, wann verlassen Sie morgens das Haus, welche Schiebetüren mit elektronischer Karte haben Sie geöffnet, wie oft sind Sie krank, was für E-Mails schreiben Sie, was ist der Inhalt dieser E-Mails?"
Es ist die mühsame Arbeit der Datenschützer, genau dies zu verhindern. Dabei stehen ihnen immer mehr Bürgerrechtler zur Seite. "Es gibt eine schnell wachsende, international vernetzte Datenschutzgemeinde, die viele
amtliche und betriebliche Datenschützer, aber auch immer mehr Bürgerrechtler umfasst", sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. "Das muss so sein, weil Datenschutz eines der ganz großen Themen der Informationsgesellschaft ist, mit hohen Wachstumsraten."
Gingen in den 80er-Jahren noch Zehntausende auf die Straße, um gegen die anonyme Erhebung von Informationen für die Volkszählung zu protestieren, lässt die Verbreitung von weitaus mehr und persönlicheren Daten die Mehrheit noch unbekümmert. Immerhin: Gegen die Vorratsdatenspeicherung mobilisierte die Arbeitsgemeinschaft Vorratsdatenspeicherung 15 000 für eine Demonstration und mehr als 30 000 für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. In diesem Fall will der Staat zur Abwehr von Terrorgefahr und schwerwiegender Straftaten Zugriff auf alle technische Verbindungsdaten über Handy und Internet für sechs Monate haben. So lange werden die privaten Internet-Anbieter deshalb zur Speicherung der Daten verpflichtet.
Aber einen Weg, zu ermitteln, wer in wie vielen Datenbanken gespeichert ist, können nicht einmal Datenschützer aufzeigen. Es gibt keine Registrierung personenbezogener Datenbanken in Deutschland. Und wie viele gibt es überhaupt? Jeder Bürger hat allerdings das Recht, von einem Unternehmen oder einer Behörde schriftlich Auskunft über seine dort gespeicherten Daten zu erfragen. Ein mühsamer Weg. Auch Google hat nach massiver Kritik jetzt ein "Dashboard" gestartet, eine Übersichtsseite, über die jeder Nutzer abrufen kann, welche Daten der Konzern über ihn speichert. Dafür muss allerdings wieder ein Google-Benutzerkonto eingerichtet werden. Google wird als ein Krake empfunden, die alles ansaugt, was der Einzelne im Internet offenbart. Die Suchmaschine lernt mit dem Surfverhalten der Nutzer, sie beobachtet, welche Seiten angesehen werden, und platziert danach die Werbung. Aus dem fragenden Nutzer wird schnell ein Umworbener, ein Durchleuchteter. Schirrmacher beschreibt das so: "Es ist ganz wichtig zu verstehen: Wir glauben, wir geben in den Computer eine Frage ein, und jetzt hilft uns eine Suchmaschine. Was man immer dazu sagen muss: Wir geben auch eine Antwort ein. Wir geben etwas über uns ein, was auch nicht mehr verschwindet, sondern mit unzähligen, mit mittlerweile Milliarden anderen Informationen in Beziehung gesetzt wird."
Gesetze helfen dagegen nur teilweise. Das neue Datenschutzgesetz soll die Kunden vor dem Schlimmsten bewahren und verlangt von Unternehmen überwiegend eine Einwilligung für die Weitergabe der Daten. Online-Firmen haben bisher einen lukrativen Handel damit betrieben. Wer seine Daten aber wirklich schützen will, so predigen es immer wieder die Datenschützer, muss sie vor allem selbst zurückhalten. Auch Google kann einen Nutzer nur dann persönlich ermitteln, wenn dieser eines der zahlreichen Angebote wie etwa Google Mail oder das Fotoprogramm Picasa für ein Online-Album nutzt. Dafür müssen persönliche Daten angegeben werden.
Das gilt auch für Online-Anbieter, bei denen man etwas kaufen will, für Internet-Seiten mit Urlaubsfotos, für Gewinnspiele mit ominösen Versprechungen. Wer die Tricks der Verkäufer unterschätzt und das Kleingedruckte nicht liest, dessen Name, Anschrift, Telefonnummer und Mail-Adresse können schnell weltweit durch das Netz gepustet werden. Wer Fotos von feucht-fröhlichen Partys ins Netz stellt, muss sich nicht wundern, wenn er bei einem Vorstellungsgespräch auf sein Trinkverhalten angesprochen wird. "Alle unsere Abgründe, alles, was wir da irgendwo mal machen, ist für alle Zeiten gespeichert", warnt Jauch. "Es gibt kein Vergessen, kein Verzeihen, das ist für immer da."
Doch was für einige wie ein Fluch wirkt, empfinden andere als Segen. In seinem Bestseller "Was würde Google tun?" merkt der 55 Jahre alte US-Medienprofessor Jeff Jarvis über die schöne neue Google-Welt an: "Die Ethik der Privatsphäre hat sich für die Generation G radikal verändert. Leute in meinem Alter oder älter regen sich auf über all die Informationen, die junge Leute über sich selbst veröffentlichen. Ich versuche immer zu erklären, dass es eine soziale Geste ist, andere an persönlichen Dingen teilhaben zu lassen. Es ist die Basis der Verbindungen, die durch Google möglich werden." Und auch Jauch muss eingestehen: "Ich möchte auf die ganzen Informationen nicht verzichten. Wenn Sie mir meinen Computer und mein Handy wegnehmen, machen Sie mich unglücklich."