Olaf Scholz spricht im Abendblatt-Interview über Status quo und Zukunft der SPD - und die Rolle der Linkspartei.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Scholz, wird der 27. September 2009 in die Parteiengeschichte eingehen als der Tag, an dem die SPD aufgehört hat, eine Volkspartei zu sein?

Olaf Scholz:

Nein. Die SPD ist Volkspartei, auch wenn sie jetzt ein ganz schlechtes Ergebnis erzielt hat. Volkspartei zu sein ist eine politische Einstellung. Genauso wie die CDU ist die SPD für das ganze Volk da und nicht nur für einzelne Interessengruppen.

Abendblatt:

Markiert der Tag nicht eine Zäsur für die deutsche Sozialdemokratie?

Scholz:

Das ist mir zu markig, aber der 27. September ist ohne Zweifel ein bedeutsamer Tag. So schlecht waren die Wahlresultate für die SPD seit 60 Jahren nicht. Es wird all unser Talent und all unsere Kraft erfordern, die Entwicklung zu drehen.

Abendblatt:

Frank-Walter Steinmeier, Franz Müntefering, Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine - wer trägt die größte Verantwortung für den Niedergang der SPD?

Scholz:

Nach so einem Wahlergebnis wäre es zu einfach zu behaupten, es gäbe eine Person, die die Verantwortung dafür trägt. Am Ende waren wir es immer alle miteinander. Die SPD hat es mit der Reformpolitik der letzten Jahre geschafft, die Grundlagen des deutschen Sozialstaats zu sichern. Aber die Reformen waren - wenn die Bürger ihr eigenes Leben betrachten - nicht immer gut. Das aufzuarbeiten wird unsere Aufgabe sein.

Abendblatt:

Welche Fehler haben Sie gemacht?

Scholz:

Ich habe mich als Arbeitsminister bemüht, dazu beizutragen, dass die Menschen die SPD wieder verstanden haben. Und ich habe z. B. mit der Förderung der Kurzarbeit eine sozialdemokratische Antwort auf die Wirtschaftskrise gefunden.

Abendblatt:

Also keine Fehler.

Scholz:

Ich könnte Ihnen ganz viele Fehler auflisten. Aber das spare ich mir für eine eventuelle Autobiografie auf.

Abendblatt:

Welche Zukunft hat Franz Müntefering in der SPD? Ehrenvorsitzender?

Scholz:

Franz Müntefering ist ein großer Sozialdemokrat, und das wird er immer bleiben. Er hat gesagt, dass er mithelfen will, jetzt eine Neuaufstellung der Parteiführung hinzukriegen. Das kann man wörtlich nehmen.

Abendblatt:

Haben Sie Mitgefühl mit Müntefering?

Scholz:

Die Zuschreibung von eben hat Respekt und Bewunderung ausgedrückt. Das ist das, was in mir vorgeht.

Abendblatt:

Steinmeier ist der SPD-Kanzlerkandidat mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1949. Kann er die Sozialdemokraten in die Zukunft führen?

Scholz:

Frank-Walter Steinmeier ist gestern mit überzeugender Mehrheit zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Das ist eine völlig logische Entscheidung. Er war bis eben unser Kanzlerkandidat, wir haben ihm zugetraut, dass er das Land führen kann. Die Fraktion führen kann er auch.

Abendblatt:

Wer kann die Partei führen?

Scholz:

Die SPD muss sich jetzt als Team aufstellen. Zum Team gehört, dass man miteinander redet und nicht übereinander. Das machen wir gerade ganz intensiv.

Abendblatt:

Welche Rolle spielen Sie in Berlin?

Scholz:

Ich bin bereit, in der Führung der SPD mitzuarbeiten. Das werde ich sowohl in der Fraktion als auch in der Partei tun. Viele andere ermuntern mich dazu.

Abendblatt:

Stellvertretender Partei- und Fraktionschef wäre Ihnen genug?

Scholz:

Ach. Warten Sie es mal ab.

Abendblatt:

Sie haben sich entschlossen, die Hamburger SPD zu führen. Warum kehren Sie zurück zu Ihren Wurzeln?

Scholz:

Hamburg ist mir nicht egal, die Hamburger SPD auch nicht. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen und dort mit 17 Jahren Sozialdemokrat geworden. Deswegen ist das auch eine Herzensangelegenheit. In einer so schwierigen Situation fällt es einem schwer, sich nicht der Verantwortung zu stellen, wenn einen alle bitten.

Abendblatt:

Die Parteilinken Andrea Nahles und Klaus Wowereit sagen: Es kann kein Weiter-so geben. Wie sieht die inhaltliche Erneuerung der SPD aus?

Scholz:

Das Wahlergebnis ist schon herbe. Und der Kater kommt noch. Mir geht es so, dass ich von Stunde zu Stunde mehr merke, wie schlecht dieses Wahlergebnis ausgefallen ist. Die Erneuerung beginnt damit, dass wir dieser Wirklichkeit schonungslos in die Augen blicken.

Abendblatt:

Das wird nicht reichen.

Scholz:

Wir dürfen die Errungenschaften der vergangenen Jahre nicht schlechtreden, Stichwort: Mindestlöhne. Aber wir haben auch Anlass zur Selbstkritik. Wir haben es nicht geschafft, eine entscheidende Frage zu beantworten: Wie kann jeder Bürger, der sich Mühe gibt, ein gutes Leben führen? Das muss uns jetzt gelingen. Wie zum Beispiel kommt eine vierköpfige Familie zurecht? Oder ein Rentnerpaar? Oder eine alleinerziehende Mutter? Oder ein Leiharbeiter?

Abendblatt:

Welche Politik leitet sich daraus ab?

Scholz:

Wir müssen ein politisches Konzept für die Zukunft unseres Landes entwickeln, bei dem der Maßstab der Bürger Grundlage für die Vorschläge ist, die wir machen. Hektik wäre jetzt völlig unangebracht.

Abendblatt:

Ändert sich der Umgang mit der Linkspartei?

Scholz:

Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, uns von anderen abzugrenzen und mitzuteilen: Mit denen geht es nicht. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir politisch wollen. In diesem Wahlkampf hat fast jede Partei einen Beschluss gefasst, mit wem sie nicht regieren will. Das geht nicht so weiter. Sonst bekommen wir eine große Demokratiekrise in Deutschland.

Abendblatt:

Der Weg für Rot-Rot im Bund ist frei?

Scholz:

Nein, keineswegs. Aber Koalitionen mit den Parteien, die im Deutschen Bundestag sitzen, sind nicht prinzipiell ausgeschlossen.

Abendblatt:

Lafontaine ist kein Hindernis?

Scholz:

Wer ist schon Lafontaine?

Abendblatt:

Sie werden den Vorsitzenden der Linkspartei nicht ignorieren können.

Scholz:

Ich will ihn auch nicht ignorieren. Aber Sie fragen so, als ob Lafontaine das große Problem wäre.

Abendblatt:

Ist er das nicht?

Scholz:

Nein. Ich bin Politiker. Ich arbeite ständig mit Leuten zusammen, die ich schätze - und gelegentlich auch mit anderen. Es sind die politischen Konzepte der Partei Die Linke, die sich verändern müssen. Die jetzigen Positionen schließen eine Verantwortung in der Bundesregierung aus.

Abendblatt:

Hat Müntefering recht: Opposition ist Mist?

Scholz:

Ja. Wir haben schon die Heugabeln bestellt.