Aus Angst vor einer weiteren Großen Koalition wandten sich viele der FDP zu. Die Experten sagen, der Wähler hat gesunden Menschenverstand.
Berlin/Hamburg. Eine erstaunliche Erkenntnis der Meinungsforscher nach der Bundestagswahl zeigt: Der Wähler kann zwei und zwei zusammenzählen. Und er hat gesunden Menschenverstand, wenn ihm Wahlkämpfer das Blaue vom Himmel versprechen. Die SPD hatte keine Machtoption und keine mobilisierenden Themen und stürzte deshalb ab, meinte Forsa-Chef Manfred Güllner in seiner Expertise. Die CDU hielt sich – trotz Kratzern aus der Großen Koalition – mit vagem Wohlfühlwahlkampf noch einigermaßen, während die CSU mit unrealistischen Versprechen unterging. So erklärte es der Chef der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung. Und die FDP hatte mit Steuern und Wirtschaft genau das richtige Thema – das unterstrich Richard Hilmer von Infratest Dimap.
Die Angst vor einer Neuauflage der Großen Koalition, die Enttäuschung von SPD-Wählern und ein gutes Image von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben Meinungsforscher als wichtige Gründe für den Sieg von Union und FDP genannt. Die SPD sehen die Experten nach dem schlechtesten Ergebnis der Nachkriegsgeschichte in einer ernsten Krise. Die FDP hat den Analysen großer Meinungsforschungsinstitute zufolge vor allem davon profitiert, dass zahlreiche Unionsanhänger eine Mehrheit für Schwarz-Gelb sichern wollten und deshalb ihre Stimmen den Freidemokraten gaben.
Am Sonntag wurden die Nichtwähler erstmals zur größten „Partei“. Bei einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung von 70,8 Prozent verweigerten 18,1 Millionen Wahlberechtigte die Stimmabgabe. CDU und CSU kamen zusammen nur auf 14,6 Millionen Wähler. Die SPD konnte lediglich knapp 10 Millionen überzeugen. Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach sagte, allein in den letzten zwei bis drei Tagen vor der Wahl habe die Union noch ein Prozent ihrer Wähler an die FDP verloren.
Die Menschen wählten zunehmend taktisch, sagte Richard Hilmer von Infratest dimap. Die Entscheidungen würden immer kurzfristiger getroffen, auch die Bindung an eine bestimmte Partei nehme ab. Außerdem sei die Union in den vergangenen Jahren wieder stärker in die Mitte gerückt, sagte Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen.
Union und SPD haben die überwiegende Zahl ihrer Stimmen laut Hilmer von älteren Wählern bekommen. Die Union habe im Westen durchweg verloren, im Osten dagegen überall leicht zugelegt. Auch von den weiblichen Wählern bekam die Union mehr Zuspruch, zahlreiche Männer wanderten dagegen zur FDP ab. Die kleineren Parteien konnten vor allem bei den Jungwählern punkten.
Die CSU habe die Erfahrung gemacht, sich wie andere Parteien auch die Macht teilen zu müssen, sagte Hilmer. Köcher meinte, die große Gefahr für die CSU sei nun, dass der „Wähler Geschmack an der Vielfalt findet."