Spitzenergebnisse für die Spitzenkandidaten Künast und Trittin, Dämpfer für Fraktionschef Kuhn und Hamburgs Senatorin Hajduk.
Erfurt. Es war ein Parteitag der Gegensätze, der Gewinner und Verlierer: Auf der einen Seite präsentierten die Grünen am Wochenende in Erfurt ihre Zugpferde für den Wahlkampf 2009 und wählten mit sehr guten Ergebnissen ihre Spitze: den Realo Cem Özdemir als neuen Parteivorsitzenden an der Seite der Linkspolitikerin Claudia Roth und die erfahrenen Ex-Minister Renate Künast und Jürgen Trittin als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2009. Kräftige Watschen gab es für den Fraktionschef Fritz Kuhn, der nicht wieder in den Parteirat gewählt wurde, und auch für Hamburgs Umweltsenatorin Anja Hajduk, die bei der Wahl das schlechteste Ergebnis aller Frauen bekam.
Cem Özdemir, der sich nach seiner Flugmeilen- und Kreditaffäre seit 2004 mit einem Einsatz als Europaparlamentarier rehabilitiert hatte, war die Anspannung bei seiner Bewerbungsrede anzumerken. Doch schnell fand der türkischstämmige Politiker seine Linie: Die Grünen müssten die Dinge weniger kompliziert darstellen. Er wolle "eine Gesellschaft, die alle mitnimmt, egal ob sie aus Anatolien kommen oder ob ihre Vorfahren schon im Teutoburger Wald gegen die Römer gekämpft haben." Der begeisterte Parteitag dankte es ihm mit 79,2 Prozent der Stimmen. Türkische Medien vefolgten die Wahl. Die größte Zeitung der Türkei "Hürriyet" wählte sogar die Schlagzeile: "Ist das der türkische Obama?", und sprach sogar von einer "Migranten-Revolution" in Deutschland.
Renate Künast und Jürgen Trittin traten als Duo zur Wahl als Spitzenkandidaten der Partei an - und gingen mit 92 Prozent der Stimmen als Sieger hervor. Sie lieferten gleich den Kick-off für den Wahlkampf, als sie Bälle mit den Worten "Freiheit", "Klimaschutz" und "Gerechtigkeit" in den Saal warfen. Trittin kündigte gegenüber dem Abendblatt an: "Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, wo der Staat alles über seine Bürger weiß: Wo er auf der Autobahn ist. Wo er mit seinem Handy telefoniert. Welche Internetseiten er besucht. Deshalb wollen wir im Grundgesetz das Recht auf Privatheit festschreiben."
Fraktionschef Kuhn wurde bei der Wahl zum Parteirat vor allem zum Verhängnis, dass er nicht eingegriffen hatte, als Özdemir im Oktober in Baden-Württemberg bei der Wahl für einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl durchfiel. Özedmir und Kuhn kommen aus dem Landesverband Baden-Württemberg. Außerdem wurden ihm seine liberale Wirtschaftspolitik sowie die Unterstützung von Auslandseinsätzen während der Regierungszeit angekreidet.
Hamburgs Umweltsenatorin Hajduk erhielt nur 68,9 Prozent für den Parteirat. Offenbar nimmt die Basis der Grünen auf Bundesebene ihr ihre Zustimmung zum Neubau des Hamburger Kohlekraftwerks Moorburg übel. Hajduk zieht als Nachfolgerin für die Hamburger Bundestagsabgeordnete Krista Sager in den Parteirat.