Kaum hatte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung seine 95 Seiten starke Studie veröffentlicht, war die Debatte über mögliche...
Hamburg/Berlin. Kaum hatte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung seine 95 Seiten starke Studie veröffentlicht, war die Debatte über mögliche Integrationsdefizite von Zuwanderern in Deutschland schon entfacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab zu, sie sei erschrocken gewesen über die harten Botschaften der Studie.
Sie warnte jedoch davor, sich von schlechten Nachrichten entmutigen zu lassen. "Deutschland kann das Potenzial, das in den Zuwanderern liegt, auf gar keinen Fall brachliegen lassen", sagte die Kanzlerin. Ungeachtet der Wirtschaftskrise sieht sie die Förderung von Migranten als Schwerpunktaufgabe.
Laut Merkel sollte die Studie ein Ansporn sein, die bestehenden Probleme bei der Integration von Ausländern zu diskutieren und anzugehen. Die Integration sei "eine der Zukunftsfragen" für die Bundesrepublik, sagte Merkel. Besonders die Bildung und frühe Sprachförderung von Menschen mit Migrationshintergrund seien wichtig. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), rief zu mehr Anstrengungen bei der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt auf. Angesichts der Wirtschaftskrise sei es "noch wichtiger, dass es für Migranten möglich ist, beruflich aufzusteigen", sagte Böhmer. Die CDU-Politikerin verwies auf die 6,5 Milliarden Euro, die im Konjunkturpaket der Bundesregierung für Bildung vorgesehen seien.
Das Zentrum für Türkeistudien (ZfT) warnte davor, die Ergebnisse als Folge mangelnder Integrationsbereitschaft zu interpretieren. Auch dessen Leiter Andreas Goldberg sieht vor allem die Bildung als "Schlüssel" für eine erfolgreiche Integration. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, betonte, dass es sich um ein gesellschaftliches und nicht um ein ethnisches Problem handele. Viele Beispiele zeigten, dass auch für Türken Integration möglich sei. Kolat beharrte auf der doppelten Staatsbürgerschaft.
In der Hamburgischen Bürgerschaft gibt es mittlerweile in jeder Fraktion Abgeordnete mit Migrationshintergrund - was an sich als Beispiel gelungener Integration gelten kann. Gegenüber dem Abendblatt zeigten sich die Befragten jedoch besorgt ob der Ergebnisse der Erhebung. Bülent Ciftlik (SPD) sagte: "Die Studie spiegelt eine bittere Wirklichkeit wider und zeigt, dass gesellschaftlicher Aufstieg und Integration nur durch Bildung gelingen." Laut Ciftlik fangen gute Schulen in den Elternhäusern an. "Aber sehr viele türkischstämmige Elternhäuser sind enorm bildungsfern. Wir müssen in diese Familien hinein Brücken bauen." Generell gelte: "Der deutsche Staat muss mehr Mut haben, Defizite auch konkret zu benennen. Das ist nicht ausländerfeindlich, sondern stellt eine wichtige empirische Grundlage dafür dar, etwas gegen Fehlentwicklungen tun zu können. Türkische oder türkischstämmige Bürger sind viel selbstkritischer als gemeinhin vermutet."
Nebahat Güclü (GAL) verwies auf die "Kettenreaktion" aus Sprachproblemen, schlechtem oder fehlendem Schulabschluss und Arbeitslosigkeit. Eine "früh einsetzende Sprachförderung", wie Hamburg sie inzwischen praktiziert, sei daher unerlässlich, sagte Güclü. Doch "auch wenn Hamburg bei der Integration gut abschneidet, heißt das noch lange nicht, dass wir am Ziel sind". Ein großes Problem für die Menschen, die aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland kommen, sei, dass ihre Berufs- und Bildungsabschlüsse "nichts mehr wert" sind. "Damit wird ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt weitgehend versperrt. Sie müssen dann mit einem Hochschuldiplom putzen gehen."
Aygül Özkan (CDU) nannte die Ergebnisse "erschreckend" und etwas verallgemeinert, begrüßte aber, "dass diese Daten erhoben werden". Sie müssten nun vertieft werden, "damit jedes Bundesland seine Hausaufgaben machen kann". Auch die 37-Jährige betonte die Notwendigkeit frühkindlicher Förderung, sieht aber auch Ansatzpunkte in den Betrieben: Dass Unternehmer mit Migrationshintergund bewegt werden konnten, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft türkischer Unternehmer und selbstständiger Migranten.
Ganz wichtig sei: "Man muss aktiv auf die Leute zugehen und darf nicht warten, dass sie zu einer Beratungsstelle kommen", so Özkan.