Die Wahlergebnisse in Schleswig-Holstein, Frankreich und Griechenland stellen die Bundeskanzlerin vor neue Herausforderungen.
Berlin. Auf einmal geht ein Ruck durch den Körper von Angela Merkel. Sie tritt etwas von ihrem Rednerpult zurück, drückt den Rücken durch, zieht die Augenbrauen hoch und lässt ihre Stimme ein paar Dezibel lauter werden. Endlich hat ein Journalist nach ihrem Leib-und-Magen-Thema gefragt, der Euro-Rettung. Wie es denn weitergehe mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande , will er wissen, und ob die Kanzlerin seiner Bitte nachkommen werde, den Fiskalpakt neu zu verhandeln. "Wir in Deutschland sind der Meinung, und ich ganz persönlich, dass der Fiskalpakt nicht zur Disposition steht", sagt Merkel. Und hält ein langes Referat über das Verhältnis von Wachstum und Sparsamkeit in Europa in Zeiten der Krise. Sie tut das mit ihrem ganzen Körper. Die Hände fahren von Geste zu Geste durch die Luft, ihr sonst so starrer Gesichtsausdruck weicht einer Heerschar unterschiedlicher Mimiken.
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Die Kanzlerin ist jetzt in ihrem Element. Eben ging es im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU, noch um den Wahlausgang in Schleswig-Holstein, der den Christdemokraten zwar den Sieg beschert hat, sie aber wohl nicht in die Landesregierung bringen wird. Eher pflichtschuldig hatte Merkel von "einer nicht ganz einfachen Ausgangslage" gesprochen und dem zu ihrer Rechten etwas zerknittert dreinschauenden CDU-Spitzenkandidaten Jost de Jager "ganz herzlich" gratuliert. Die Schleswig-Holstein-Wahl ist an diesem Tag nur eines von vielen neuen Problemen der Kanzlerin - und dabei offenbar nicht das wichtigste. Vor allem die Ergebnisse aus Frankreich und Griechenland stellen sie vor neue, unbequeme Herausforderungen.
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Denn François Hollande, der neue französische Präsident, hat Merkels Verbündeten im Kampf um den Euro, Nicolas Sarkozy, aus dem Élysée-Palast gedrängt und vertraut deutlich weniger auf restriktive Sparpolitik als die Kanzlerin. Im Gegenteil: Er pocht auf eine Wachstumsstrategie, die Geld kosten könnte, und will den mühsam ausgehandelten Fiskalpakt aufweichen - was Merkel vehement ablehnt. Ein einfacher Verhandlungspartner für Deutschland sieht anders aus.
"Schaun mer mal", sagt die Kanzlerin etwas lapidar, als sie ihren Vortrag im Adenauer-Haus zu diesem Thema beendet und ihre Hände wieder auf dem Pult vor ihr ruhen. Hollande jedenfalls, schon in der kommenden Woche auf Antrittsbesuch in Berlin, werde mit offenen Armen empfangen, und dann werde man zusammenarbeiten. "Das haben wir auch im Wahlkampf immer gesagt." Meinungsbildung in Europa, bekennt Merkel, sei eben noch nie ganz einfach gewesen. Unter "Merkozy", wie das bisherige deutsch-französische Duo gern genannt wurde, war es allerdings ein wenig einfacher. "Frau Merkels Alleinherrschaft in Europa ist damit zu Ende", befand SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Morgen im Bayerischen Rundfunk.
Und dann sind da die Griechen. "Das Wahlergebnis ist nicht unkompliziert", sagt Merkel - und hat damit recht, vor allem, wenn man es auf ihre persönliche Lage bezieht. Das Projekt Euro-Rettung hat die Kanzlerin zum wichtigsten ihrer Regierung erkoren, ihre nach wie vor hohen Beliebtheitswerte resultieren vor allem aus ihrem Engagement zum Erhalt der gemeinsamen Währung. Dass die griechische Regierung, die die drastischen Sparmaßnahmen auch gegen Widerstände im eigenen Volk durchgesetzt hat, nun vom Wähler abgestraft wurde, bedroht deshalb nicht nur den europäischen, sondern auch Merkels Pro-Euro-Kurs. Der Vorsitzende der griechischen Linksradikalen, die künftig eine entscheidende Rolle in Athen spielen könnten, warnte die Bundeskanzlerin noch in der Wahlnacht: "Frau Merkel muss verstehen, dass das Sparprogramm eine erschütternde Niederlage erhalten hat."
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Doch nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch wird es für Merkel unsicher. Denn nicht nur wurde am Sonntag eine weitere schwarz-gelbe Landesregierung abgewählt. Die Wahl hat der Kanzlerin gezeigt, dass - obwohl die CDU stärkste Kraft ist - eine Mehrheit für ihr Wunschbündnis nur noch sehr schwer zu erreichen sein wird. Selbst dann, wenn die Liberalen mit einem charismatischen Spitzenkandidaten wie Wolfgang Kubicki antreten. Für die Bundestagswahl 2013 wird auch die Union kräftig aufholen müssen, wenn sie das bisherige Bündnis in Berlin fortsetzen will.
Überhaupt, die FDP. Der Wahlerfolg an der Förde lässt völlig offen, ob es der Partei gelingt, sich wieder zu berappeln. Lohnt es sich für die Union, weiter auf die Liberalen zu setzen, oder sollte sie sich doch weiter in Richtung der SPD und sogar den Grünen öffnen? Lange schien Letzteres der Ausweg für 2013 zu sein. Jetzt sieht es allerdings anders aus. Zumal die Liberalen nach ihrem Wiedererstarken mehr denn je auf einen Flirt mit der Ampel setzen dürften, um sich vom großen Koalitionspartner zu emanzipieren.
Ob sich ihr Dasein als Kanzlerin an diesem Sonntag verändert habe, will ein Journalist zum Schluss noch von Merkel wissen. "Nee, nee", sagt diese, "den Eindruck habe ich nicht." Immerhin verändere sich ihr Dasein täglich, sie werde älter und es kämen neue Probleme hinzu. So ganz vom Tisch wischen will sie die Frage dann aber doch nicht - dafür ist die Lage zu besonders. "Es war ein Sonntag, an dem einiges passiert ist", bekennt sie schließlich, "aber es gab schon viele solcher Tage. Und es werden auch noch einige kommen."