Nach langer Aufholjagd wähnen sich die Sozialdemokraten am Ziel
Düsseldorf. Hannelore Kraft musste kämpften, um durchzukommen. Sie schüttelte Hände, sie umarmte Freunde. Kameras und Fotografen stellten sich ihr in den Weg, als sie endlich bei ihren Anhängern im Saal der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag ankam. Im Jubel kam sie gar nicht dazu, etwas zu sagen. Das Ergebnis sprach für sich. Kraft hat bei dieser viel Wahl gewonnen, und das ist eine Sensation, denn vor noch einem Jahr war sie in der politischen Szene fast unbekannt. Und chancenlos gegen den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers.
Doch die Sensation hatte sich angekündigt, Woche für Woche und Umfrage für Umfrage. "Wir haben eine rasante Aufholjagd gestartet und liegen jetzt knapp vorne. Wir wollen und wir werden dieses Land regieren", sagte Kraft danach dann aber gleich mehrmals.
Die CDU dagegen stürzte ab - drastisch - um mehr als zehn Prozentpunkte. Es ist ihr bislang schlechtestes Ergebnis in Nordrhein Westfalen: Die schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Rüttgers könnte nun von einem rot-grünen Bündnis abgelöst werden. Bis in den späten Abend lieferten sich SPD und CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit leichten Vorteilen für die Sozialdemokraten. Vor Monaten wäre dieses Szenario undenkbar gewesen.
Als Jürgen Rüttgers vor die Kameras im Landtag trat, war sein Gesicht regungslos. Er verzog keine Miene, nur mit dem Zeigefinger tippte er unruhig auf den Tisch im Fernsehstudio. "Es ist ein bitterer Abend", sagte er. "Ich persönlich trage die politische Verantwortung für dieses Ergebnis", so der 58-Jährige. Er soll im Landesvorstand am Wahlabend sogar seinen Rücktritt angeboten haben. Der Vorstand ermunterte ihn offenbar zum Weitermachen. Doch für wie lange noch?
Der Wahlkampf hätte für Rüttgers kaum schlechter laufen können. Er wurde vom unangefochtenen Amtsinhaber zum Wackelkandidaten. Und daran war er mit schuld.
Als er über "faule Rumänen" hergezogen hatte, geriet er das erste Mal öffentlich scharf in Kritik. Dann folgte die Sponsoring-Affäre. Und gerade als "Rent-a-Rüttgers" ausgestanden war, enthüllte der "Spiegel" die nächste Affäre: Eine Woche vor der Wahl nahm die Bundestagsverwaltung ihre Ermittlungen wegen des Verdachts der illegalen Parteienfinanzierung auf.
Die Wahl, das hatte Jürgen Rüttgers in den vergangenen Wochen gebetsmühlenartig wiederholt, stehe auf "Messers Schneide". Er nannte sie "Schicksalswahl für Nordrhein-Westfalen". Es waren Worte, in denen auch immer sein eigenes politisches Schicksal mitklang. Rüttgers kämpfte ums politische Überleben. Diesen Kampf hat er jetzt verloren. Dabei waren die Affären und Skandälchen nie groß genug für seinen politischen Knock-out, aber der Ministerpräsident taumelte. Ausgerechnet Rüttgers, der sich selbst als "Arbeiterführer" inszenierte, immer akkurat auf das Bild achtete, das sich die Öffentlichkeit von ihm macht. Ausgerechnet der vorsichtige und schon berüchtigt-misstrauische Rüttgers verlor die Kontrolle über sein Image. Er büßte einen seiner größten Trümpfe in diesem Wahlkampf ein: seine Glaubwürdigkeit. Jürgen Rüttgers verließ den Landtag durch einen Nebeneingang. Er sagte Interviews ab, er trat spät vor die Kameras. Und konnte dann doch noch auf Schwarz-Grün hoffen.
Als Hannelore Kraft an diesem Abend das erste Mal vor ihren Mitstreitern der SPD auf das Podium stieg, wurde ihre Stimme vor allem bei einem Satz laut: "Die SPD ist wieder da", freute sich die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten und rief sich selbstbewusst schon mal zur Ministerpräsidentin aus.
Die ehemalige Unternehmensberaterin war im Wahlkampf unermüdlich in die Ortsverbände gereist, hatte Altenpfleger, Handwerker, Chemiker an ihrem Arbeitsplatz besucht, die SPD wieder zu einer Kümmerpartei gemacht. Kraft hatte das Bild der Arbeitertochter gepflegt - ihr Vater war Straßenbahnfahrer, die Mutter Verkäuferin. Ihre Politik war geerdet. Sie hatte jetzt das, was Jürgen Rüttgers am Ende seines Wahlkampfes fehlte: Glaubwürdigkeit.
Doch auch der Wahlkampf könnte Kraft in den kommenden Tagen wieder einholen. Eine Regierung gemeinsam mit den Grünen ist Krafts Wunschoption. Doch reicht es dafür nicht, bleibt ihr die Große Koalition - oder ein Bündnis mit den Grünen und den Linken. Monatelang hatten CDU und FDP von ihr die klare Aussage gefordert, ob sie mit der umstrittenen Partei ein Bündnis eingehen wird. Und stets antwortete die gebürtige Mülheimerin mit denselben Worten: Die SPD wolle die Linke aus dem Landtag heraushalten und suche deshalb die Konfrontation. Programm und Personal der NRW-Linken belegten, dass diese "weder regierungs- noch koalitionsfähig" seien.
Diese bisherige Sprachregelung im Verhältnis zur Linkspartei gelte weiter. "Wir halten sie nicht für regierungs- und koalitionsfähig", sagte Kraft am Abend in der ARD. Wie in der Vergangenheit schloss sie aber eine rot-grün-rote Landesregierung auch nicht ausdrücklich aus.