Sonst gab es heute keine Gespräche über eine Vertiefung der Währungsunion. Deutsch-französischer Streit auf dem EU-Gipfel in Brüssel.
Brüssel. Harte Konfrontation statt deutsch-französischem Gleichschritt: Frankreichs Staatschef François Hollande hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel massiv unter Druck gesetzt, noch bis Jahresende eine Bankenaufsicht einzurichten und so direkte Hilfe aus dem ESM zu ermöglichen. Sonst werde er sich nicht auf die Diskussionen über eine Vertiefung der Währungsunion einlassen, drohte der Élysée-Chef unverhohlen: „Bevor wir über neue Etappen reden, schließen wir die Bankenunion ab.“ Und der Berliner Vorstoß zu einem Sparkommissar? Der stehe „nicht auf der Agenda“.
Nach ihrem kraftvollen Auftritt vor dem Bundestag am Morgen wirkte die Kanzlerin am Abend in Brüssel gereizt. Den Vorwurf der Verzögerung wies sie energisch zurück. „Wir werden noch einmal betonen, dass wir sehr schnell und gründlich arbeiten wollen“, sagte sie. Aber Entscheidungen werde der Gipfel nicht fällen. Die Detailarbeiten zur Bankenaufsicht würden ohnehin von den Finanzministern erledigt.
Für Merkel handelt es sich um ein Reizthema: Die Bundesregierung hält einen Startschuss für die Aufsicht und den Einstieg in die direkte Bankenhilfe schon zum 1. Januar für unrealistisch. „Der bloße Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens reicht dafür nicht aus“, hatte Merkel am Morgen in Berlin klargestellt. Erst müssten die komplexen Fragen „gut“ gelöst sein, zudem müsse die Aufsicht auch „effektiv arbeitsfähig“ sein. Damit stellt sie sich auch gegen EU-Ratschef Herman Van Rompuy, der die Banken schon in der „Aufbauphase“ an den ESM-Tropf legen will.
Viele Krisenstaaten von Spanien bis Irland sehnen das Instrument herbei, damit sie ihre Banken nicht mehr selbst retten müssen und sich von massiven Altlasten befreien können. „Das ist entscheidend, um den Teufelskreis aus Staatsschulden und Banken zu durchbrechen“, betonte EU-Währungskommissar Olli Rehn.
Hollande ging so weit, Merkel indirekt eine Verzögerungstaktik aus Wahlkampfgründen zu unterstellen. Auf eine Frage, warum Frankreich aufs Tempo drücke und Deutschland bremse, sagte er: „Es gibt vielleicht Gründe, die sich im Wahlkalender finden.“ Er komme aus einer Wahl, Merkel habe ihren Termin im September 2013. „Ich kann den Unterschied im Kalender verstehen. Aber Frankreich und Deutschland haben eine gemeinsame Verantwortung, und die ist es, die Eurozone aus der Krise zu bringen.“ Und dafür müssten gemeinsame Entscheidungen „respektiert werden“. Nach seiner Lesart hat der Gipfel im Juni „beschlossen, bis Ende des Jahres eine Bankenunion einzurichten“.
Tatsächlich lautet die Formulierung im Gipfel-Dokument vom Juni, dass die Bankenaufsicht bis Ende des Jahres „vorrangig geprüft“ werden solle, aber nicht schon aufgebaut. Darauf verweist Berlin in dem Streit stets. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker räumte ein, es gebe „erheblichen Gesprächsbedarf“.
Hollande will nun alle deutschen Forderungen nach Vertragsänderungen abschmettern, so lange die Bankenunion nicht steht. Er verwies darauf, dass der Fiskalpakt zur Einführung von Schuldenbremsen noch nicht von allen Ländern ratifiziert worden sei. „Die Zeit ist nicht gekommen, einen weiteren Vertrag über das selbe Thema zu öffnen.“ Das Thema sei jetzt nicht mehr die Haushaltsunion, sondern die Bankenunion. Das war nicht weniger als der Versuch, die eigentliche Gipfelagenda zu torpedieren. Denn das eigentliche Ziel lautete, die Weichen für eine Vertiefung der Währungsunion zu stellen – inklusive Debatte über die von Deutschland geforderte schärfere Haushaltskontrolle durch einen Superkommissar.
Und dafür wollte Merkel in Brüssel auch kämpfen. Sie sei sich der Widerstände gegen ein Durchgriffsrecht für Brüssel bewusst, sagte sie vor dem Bundestag. Aber „das ändert nichts daran, dass wir uns dafür stark machen werden.“
Für Diskussionsstoff auf dem Gipfel sorgten aber nicht nur der Sparkommissar und die Bankenaufsicht. Das Zuckerbrot in Merkels Gepäck ist ein „Fonds zur Unterstützung der Reformen in europäischen Partnerländern“. Der neue Topf könnte etwa aus Einnahmen der Finanztransaktionssteuer gefüllt werden, sagte die Kanzlerin. Geht es nach Van Rompuy, dann kann er doppelt eingesetzt werden: Als Konjunkturspritze, wenn Länder der Eurozone durch Sparzwänge in die Rezession rutschen. Und als „zeitlich begrenzte und gezielte finanzielle Anreize“ für Reformmaßnahmen – wenn sich die Länder, die darauf zurückgreifen wollen, in Verträgen mit Brüssel auf ihre Reformaufgaben verpflichten.
Die Idee stammt aus Berlin – auch, um die leidige Diskussion um Euro-Bonds zu beenden. Doch reicht der „Euro-Soli“ den Franzosen nicht aus. Und auch von Österreichs Kanzler Werner Faymann kam Widerstand: Ein eigenes Budget nur für die Euroländer „entspricht nicht dem Geist einer gemeinsamen politischen Union“ der 27 EU-Länder.
Doch wenn die Staats- und Regierungschefs am Freitagmorgen ganz mit leeren Händen dastehen, werden die Zweifel am Zusammenhalt der Eurozone wieder größer. Das Minimalziel für Van Rompuy: Eine Einigung darauf, welche Kernelemente für eine „echte Wirtschafts- und Währungsunion“ überhaupt weiterverfolgt werden sollen. Und dann der Auftrag, bis zum Dezembergipfel einen konkreten Fahrplan auszuarbeiten.