Dorfbewohner wollten angeblich von den stecken gebliebenen Tanklastern Benzin zapfen. Dann kamen die Nato-Flugzeuge.
Kundus. Die Gesichter haben sie mit schwarzen Schals verhüllt, ihre Kalaschnikow-Sturmgewehre geschultert. Mit strengem Blick beobachten Taliban die Dorfbewohner, die einen Tag nach dem folgenschweren Bombenangriff im Befehlsbereich der Bundeswehr bei Kundus am Sonnabend ihre Toten begraben. Weinende und betende Bewohner von Jakubi, einem Dorf aus Lehmhütten, knien vor etwa 50 Gräbern. "Jede Familie hat Opfer zu beklagen. Ganze Familien wurden ausgelöscht", sagt der Dorfälteste Sahar Gul. Wie viele Menschen bei der vom deutschen Oberst Georg Klein veranlassten Nato-Bombardierung zweier von den Taliban entführten Tanklastzüge ums Leben gekommen sind, ist noch immer unklar. Angeblich waren viele Dorfbewohner gekommen, um Treibstoff aus den Tanklastzügen abzuzapfen.
Nach einem Bericht der "Washington Post", deren Reporter mit dem siebenköpfigen Nato-Untersuchungsteam unter dem amerikanischen Nato-General Stanley McChrystal vor Ort war, habe der Entscheidung zur Bombardierung neben der Luftaufklärung nur eine einzige Quelle - ein über Telefon verbundener Afghane - zugrunde gelegen. Eine neue Anordnung McChrystals für das Vorgehen in Afghanistan aber lautet, dass bebaute Gebiete nur bombardiert werden dürfen, wenn durch mehr als eine Quelle zweifelsfrei belegt ist, dass keine Zivilisten betroffen sind. Dies soll künftig auch für unbebaute Gebiete gelten. Ministeriumssprecher Raabe wehrte sich in Berlin gegen die Vorwürfe. Die Situation sei längere Zeit beobachtet, "mehrere Aufklärungsmittel" seien verwendet worden.
Die von zwei F-15-Kampfjets ins deutsche Hauptquartier gelieferten Bilder hätten neben den auf einer Sandbank im Fluss stecken gebliebenen Lastern eine größere Zahl "schwarzer Punkte" gezeigt. Der afghanische Informant habe am Telefon versichert, dabei handele es sich nur um Aufständische. Klein sagte dem Nato-Aufklärungsteam später, die Angaben der Luftaufklärung und der afghanischen Quelle hätten sich "zu 100 Prozent" gedeckt. Er habe die Gefahr gesehen, dass die Taliban die entführten Tanklaster als Sprengwaffe nutzen und Polizeistationen oder sogar das deutsche Feldlager damit angreifen könnten. Um 2.30 Uhr in der Nacht zum Freitag habe Klein den Befehl zum Angriff gegeben, zwei Minuten später hätten die F-15-Piloten die 500-Pfund-Bomben abgeworfen. Einer Empfehlung der Piloten, 2000-Pfund-Bomben zu verwenden, sei das deutsche Kommando nicht gefolgt.
Nach dem Bericht der "Washington Post" seien die Bundeswehr-Soldaten selbst nicht noch in der Nacht zum Ort des Bombenabwurfs im Kundus-Fluss geeilt, um mögliche Überlebende zu bergen. Das galt als zu gefährlich. Stattdessen hätten sie nach Sonnenaufgang ein unbemanntes Flugzeug geschickt, um Fotos zu machen. Erst gegen Mittag seien die ersten deutschen Soldaten am Fluss eingetroffen, als die Leichen schon beerdigt waren. Der Nato habe zu diesem Zeitpunkt nur ein sechszeiliger Bericht des deutschen Wiederaufbauteams vorgelegen, notierte der "Post"-Reporter aus eienr Besprechung im deutschen Feldlager.
Die Menschen in Kundus schwanken zwischen Wut und Trauer. "Es ist eine Tragödie, und die Menschen sind sehr, sehr aufgebracht", sagt Mohammed Din. "Die internationale Gemeinschaft kam hierher, um zu helfen. Aber sie werfen nur noch Bomben auf uns." Gleichzeitig wächst aber die Wut auf die Taliban, die sich Richtung Norden ausbreiten. "Die Taliban haben das Benzin für sich selbst gestohlen", sagt Hadschi Amanullah. "Sie konnten es nicht mehr gebrauchen. Es ist nicht so, dass sie irgendeinem von uns helfen."