Assads Truppen sollen 200 Menschen getötet haben. Aber wie zuverlässig sind die Informationen der untereinander zerstrittenen Widerstandsgruppen?
Kairo/Berlin. In Syrien sollen regierungstreue Kämpfer der Opposition zufolge das schlimmste Massaker an der Zivilbevölkerung seit Beginn des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad verübt haben. Mehr als 200 Menschen seien in dem Dorf Tremse getötet worden, erklärte der Revolutionäre Führungsrat in der Provinz Hama. Das Staatsfernsehen machte dagegen Terroristen verantwortlich. Die USA verlangten angesichts der Ereignisse erneut harte Maßnahmen gegen Syrien. Die Bundesregierung forderte Syrien auf, Uno-Beobachtern Zugang zum Ort des Verbrechens zu gewähren.
Unmittelbar vor dem Massaker am Donnerstagmorgen sei der Ort von Soldaten und Sicherheitskräften umstellt und beschossen worden, berichteten Oppositionelle. "In Angst und Panik geratene Einwohner versammelten sich auf den Straßen. Sie konnten nicht fliehen wegen der Blockade von allen Seiten", hieß es auf einer von Aufständischen betriebenen Internetseite. Danach seien schwere Kämpfe zwischen der Freien Syrischen Armee und den Assad-Truppen ausgebrochen: "Assads Banden griffen die Dorfschule an und zerstörten sie vollständig." In einem im Internet verbreiteten Video waren die blutüberströmten Leichen von 15 jungen Männern zu sehen. Die meisten trugen Jeans und T-Shirts. Der Chef der Uno-Beobachter, Robert Mood, sagte, er könne Kämpfe in der Nähe von Tremse bestätigen. Daran seien auch Hubschrauber beteiligt gewesen.
Fast täglich kommen solche Berichte aus Syrien. Stets begleitet von neuen Horrorzahlen: 30, 50, 100 oder sogar 200 Menschen sind ums Leben gekommen. Seit Beginn des 16-monatigen Konflikts sollen es bereits mehr als 17 000 Opfer sein. Darunter rund 12.000 Zivilisten, 4400 Soldaten und knapp 1000 Deserteure aus der syrischen Armee. Zahlen, die schrecklich sind, aber letztendlich 'plausibel' erscheinen. Denn das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad ist barbarisch und nimmt keinerlei Rücksicht auf das eigene Volk, das Freiheit und Demokratie möchte.
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Die Frage ist aber: Woher stammen diese Zahlen, und wie verlässlich sind sie? Der überwiegende Teil der internationalen Medien veröffentlicht die Statistiken des Syrischen Observatoriums für Menschenrechte (SOHR). Ein vertrauensvoll klingender Name, der an angesehene Organisationen wie Amnesty International oder Human Right Watch denken lässt. Das SOHR ist aber in Wirklichkeit kein institutionalisierter Betrieb mit vielen Mitarbeitern, sondern nur ein Ein-Mann-Betrieb. Ein Projekt von Rami Abdul Rahman, das er aus seinem Zweizimmerappartement im britischen Coventry heraus führt. Nachdem er in Syrien als Regimekritiker mehrfach verhaftet worden war, lebt er seit 2000 in Großbritannien im Exil. Abdul Rahman macht alles in Eigenregie und kommt für die entstehenden Kosten selbst auf. Er ist Besitzer eines Bekleidungsgeschäfts. Seine Informationen will der Oppositionelle von einem Netz aus 200 Mitarbeitern erhalten, die über ganz Syrien verteilt sein sollen. Amnesty International arbeitet mit ihm seit einigen Jahren zusammen und hält ihn für vertrauenswürdig. Doch ganz unumstritten ist der syrische Menschenrechtsaktivist nicht. Im November 2011 wurde bekannt, dass Abdul Rahman nicht sein richtiger Name ist und er in Wirklichkeit Ossame Suleiman heißt. Er wurde zudem beschuldigt, den Namen SOHR im August 2011 gestohlen (über das Passwort der Webseite) und sich widerrechtlich als Vorsitzender installiert zu haben. Heute gibt es zwei SOHR, die sich gegenseitig bekämpfen. Der Unterschied zwischen beiden liegt in den Endungen der Webadressen: .org und .net. Hintergrund der Rivalität ist die Anhängerschaft zu verschiedenen Oppositionsgruppen. Der eine SOHR steht zum Syrischen Nationalenübergangsrat (SNC), der andere zum Nationalen Koordinationsgremium für Demokratischen Wandel (NCB) in Syrien. Und beide sind sich zunehmend uneins, was die Zukunft Syriens anbelangt. Beim letzten Oppositionstreffen in Kairo Anfang Juli schlug man mit Fäusten aufeinander ein.
Ein gutes Licht wirft das nicht auf eine Institution, die ihre Zahlen völlig unparteiisch und extrem zuverlässig erstellen sollte.
Die Medien sind in einer Zwickmühle. Visa für Journalisten werden von der syrischen Regierung nur in limitierter Anzahl ausgestellt. Aber auch vor Ort ist der Zugang für die Presse meist strikt reglementiert. Informationen aus dem Bürgerkrieg werden ausschließlich von der Opposition in großem Umfang geliefert, ob es sich um Opferzahlen, Videos, Augenzeugenberichte, Massaker oder militärische Operationen handelt. Verlautbarungen des syrischen Regimes gelten als unglaubwürdig. Wer sein eigenes Volk hinschlachtet, dem ist nicht zu glauben. Aber wie ernst nehmen es die Rebellen selbst mit der Wahrheit? Im Januar und Februar starben im Dauerbombardement der syrischen Armee in der Stadt Homs viele Hunderte von Menschen. Darunter auch die beiden Journalisten Mari Colvin und Remi Ochlik. Sie hatten vom ungeheuerlichen Elend der Zivilbevölkerung berichtet. Von Operationen der Freien Syrischen Armee (FSA) durften sie aber nicht berichten. Und die bekämpfte nicht nur die syrische Armee. Sie vertrieb, zum Teil mit brutaler Gewalt, Tausende von Christen aus ihren Häusern und Wohnungen, exekutierte vermeintliche Verräter oder Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Aleviten, zu der auch Präsident Assad gehört.
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Die Medienverantwortlichen der Rebellen hatten sich entschlossen, ihre Informationen zu filtern: möglichst viel an zivilem Elend, so wenig wie möglich an militärischen Aktivitäten. "Manchmal muss man bestimmte Nachrichten unterschlagen", sagte damals Omar Schamir vom Medienzentrum im umkämpften Stadtteil Baby Arm. Die nach Homs eingeschleusten Journalisten hatte man offensichtlich für eigene Zwecke missbraucht.
Aus verschiedenen syrischen Städten gibt es Augenzeugen, die von fingierten Antiregierungsdemonstrationen berichten. "Am Freitag wurden Fahnen und Plakate verteilt", erzählte ein Mann aus der Nähe von Homs. "Es waren nie mehr als 30, 40 Leute, die nach fünf oder zehn Minuten wieder verschwanden. Alles wurde mit dem Handy aufgenommen und dann im Internet veröffentlicht oder an Sender wie al-Dschasira verschickt." Auch Todesopfer, die auf Kosten der Rebellen gingen, sollen gefilmt und das Video als Beweis der Grausamkeit des Regimes veröffentlicht worden sein.
Der Zweck heiligt die Mittel und lässt die Wahrheit unwichtig werden? Wie weit die Rebellen bereit sind, die Realität nach ihrem Gutdünken zu fabrizieren, zeigt eindringlich das Beispiel des britischen Journalisten Alex Thomson. Er und sein Team vom TV-Sender Chanel 4 wurden, "von den Rebellen absichtlich in eine Situation gebracht, um von der syrischen Armee erschossen zu werden".