Funktionäre mit Designerbrillen, weinende Frauen vor dem Sarg des Vaters von Kim Jong-il. Egbert Nießler in einem verbotenen Land.
Pjöngjang. Der Aufschwung ist da!" Das behauptet zumindest Ri Yong-chol. "Alle Kräfte werden auf den Wirtschaftsaufbau konzentriert." Und im kommenden Jahr, wenn sich der Geburtstag des Großen Führers Kim Il-sung zum 100. Mal jährt, werde Nordkorea in die Riege der starken Nationen aufrücken. Die Pläne seien schon übererfüllt. Ri Yong-chol ist stellvertretender Direktor der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Partei der Arbeit Koreas.
Alles dank der weisen und kraftvollen Führung des großen Generals Kim Jong-il, dank des starken Willens und der weltweit einzigartigen Geschlossenheit von Volk und Partei. Da kann ja gar nichts mehr schiefgehen.
Kann doch. Denn auch die Verschlossenheit des Landes ist weltweit einzigartig, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dem Regime in Pjöngjang nun gelingen sollte, was es seit dem Ende des Koreakrieges vor fast 60 Jahren nicht geschafft hat. Noch immer verfolgt die Partei ihre Juche-(sprich Dschutsche)Ideologie, nach der das Land ganz allein und gegen den Rest der Welt den Kommunismus aufbaut. Das hat Nordkorea schon zum Sonderling gemacht, als es noch ein sozialistisches Lager gab, und seit Ende der Sowjetunion endgültig isoliert.
Dass es sich um ein ganz besonderes Staatswesen handelt, wird schon beim Boarding in Peking klar. Die Presseauswahl im Flieger beschränkt sich auf zwei Hochglanzbroschüren, die angebliche wirtschaftliche Erfolge feiern, und die "Pyongyang Times", deren Aufmacher sich mit einem gemeinsamen Konzertbesuch Kim Jong-ils mit einer chinesischen Delegation befasst. Bordjournale mit Landkarten oder Informationen über die Flotte von Koryo-Air sucht man in der russischen TU 204 vergeblich, die Monitore zeigen stattdessen ein Orchester, das patriotische Weisen intoniert - unterbrochen nur von der Durchsage, dass soeben die Landesgrenze überflogen worden sei.
Am Flugplatz werden die fürsorglichen Helfer tätig, die dem Gast aus dem Ausland bis zum Ende seiner Visite nicht mehr von der Seite weichen. Sie übernehmen die Einreiseformalitäten und damit die Pässe und das Handy. Obwohl es ein Netz, mit dem man ins Ausland telefonieren könnte, gar nicht gibt.
In flotter Fahrt geht es zum Stadtzentrum, ins Koryo-Hotel. Vorkasse in bar, der Staat braucht Devisen. Die Zimmer sind überheizt, die Auswahl an Speisen und Getränken ist reichhaltig. Im Gegensatz zum Rest des Landes, das seit Monaten unter dem strengsten Winter seit Jahrzehnten leidet. Noch im März ist alles tiefgefroren. Die Stromversorgung bricht oft zusammen, was für die Bewohner der bis zu 30 Stockwerke hohen Wohnblöcke Treppensteigen statt Lift bedeutet - um dann in einer kalten Wohnung wenig zu essen. Getreu dem Motto: Keiner soll hungern, ohne zu frieren.
Nun droht auch noch das Saatgut für das neue Jahr zu erfrieren, die Vorräte sind weitgehend aufgebraucht, und nach unterschiedlichen Berechnungen Nordkoreas, der Welternährungsorganisation und der Welthungerhilfe fehlen dem Land zwischen 350 000 und einer Million Tonnen Getreide. Zudem grassiert die Maul- und Klauenseuche. Ohne Hilfe von außen wird es nicht gehen, soll sich nicht die Hungerkatastrophe der Jahre 1995 bis 1999 wiederholen, die bis zu 2,5 Millionen Menschenleben gekostet hat.
Die Notlage macht die Genossen in Pjöngjang gesprächsbereiter, als sie es an etwas besseren Tagen sind. Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke, 62, darf neben Genosse Ri auch den stellvertretenden Außenminister Kung Sok-ung, den Vizepräsidenten der Obersten Volksversammlung Yang Hyong-sop und andere hochrangige Repräsentanten treffen. Immer wieder werden die vor zehn Jahren aufgenommenen diplomatischen Beziehungen mit Deutschland gelobt. Und wenn Klimke, der Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und im Ausschuss für Menschenrechte ist, Probleme anspricht, werden die blitzschnell gelöst. Theoretisch zumindest. Die Zusammenführung der Familie Hong etwa, die der Vater einst in der DDR gründete und aus der er in den 60ern plötzlich zurückbeordert wurde, sei Sache des Roten Kreuzes. Das versprochene Anbringen einer Plakette am historischen Wohnhaus des Königs Taejo in Kaesong, die den deutschen Beitrag zu Restaurierung würdigt, quasi schon erledigt. Davon, dass man die deutsche Telekommunikationsfirma KCC im Rahmen eines Joint Ventures um 3,5 Millionen Euro an Investitionen erleichtert hat, habe man noch nie etwas gehört, werde das aber umgehend regeln.
Und daran, dass das milliardenteure Atomprogramm unbedingt notwendig sei, seien nur die Amerikaner schuld. "Wenn der Gegner uns mit Atomwaffen bedroht, können wir uns nicht mit einer Holzstange wehren", meint Außenpolitiker Ri. Sein Adlatus, der während seines Italienaufenthalts Geschmack am guten Stil gefunden hat, Montblanc-Brille und modische Krawatte trägt, nickt beifällig.
Die Bombe dient als Druckmittel gegen die internationale Gemeinschaft, hält das Regime der Familie Kim und ihrer Verwandten an der Macht - und ist dank ihrer immensen Kosten und der Uno-Sanktionen neben der allgemeinen Misswirtschaft auch Teil des Versorgungsproblems. Damit das nicht völlig außer Kontrolle gerät, wird mittlerweile ein bescheidener Kleinhandel am Straßenrand und auf Märkten geduldet. Vor allem aber wird die Bevölkerung auf Trab gehalten, damit sie in der spärlichen Zeit, in der sie nicht mit Überleben beschäftigt ist, nicht auf dumme Gedanken kommt. Allgegenwärtig sind Trupps mit Bauarbeiten, Straßenausbesserung und Pflanzaktionen beschäftigt, damit nächstes Jahr zum Hundertsten des Großen Führers alles schick aussieht - und die Alleebäume ersetzt werden, die im Winter verheizt wurden.
Der Sonnabend gehört der politischen Schulung und der Rest des Lebens einem einzigartigen Führerkult. Unbestreitbarer Höhepunkt für jeden Nordkoreaner ist der Besuch am gläsernen Sarg des 1994 gestorbenen Kim Il-sung. In einem ungewöhnlichen Anfall von Pragmatismus wurde durch einen Erlass seines Sohnes und Nachfolgers Kim Jong-il, der "Sonne des 21. Jahrhunderts", der Präsidentenpalast der Vaters in ein Mausoleum verwandelt, in dem er jetzt als immerwährendes Staatsoberhaupt ruht.
Vor dem Betreten des Hunderte Meter langen unterirdischen Zugangs gelten strengere Sicherheitskontrollen als am Flughafen. Seriöse Kleidung ist erforderlich, keinerlei Metallgegenstände, nicht einmal ein Kugelschreiber, sind erlaubt, Fotografieren streng verboten. Laufbänder erleichtern den langen Anmarsch und verhindern Erschütterungen, die die Totenruhe stören könnten. Auf halbem Weg reinigen rotierende Bürsten die Schuhe vom Straßenschmutz, am Ende des Ganges eine Gebläsekammer die Kleidung von Staubpartikeln.
Dann geht es mit dem Fahrstuhl hinauf in den ehemaligen Palast, die hohen Hallen sind ganz mit Marmor verkleidet, die Türen mit Gold verziert, in einen Raum, in der eine gedämpft farbig illuminierte, überlebensgroße Statue Vater Kims auf Kommendes einstimmt. Die sich anschließende "Tränenhalle" ist mit Bronzereliefs verziert, die trauernde Arbeiter, Soldaten und Intellektuelle zeigt. Zehn Tage lang habe das ganze Land geweint, als der Große Führer, die Sonne der Welt, aus dem Leben schied, und der gesamte Planet habe mitgetrauert, verheißt die Stimme aus dem elektronischen Führer.
Dann folgt das Allerheiligste. Gedimmtes Licht, getragene Musik, in jeder Ecke der Halle ein Offizier als Posten und in der Mitte der gläserne Sarg. Auch Ausländer sollen sich verneigen, müssen aber nicht. Diese Wahl haben Einheimische nicht. In Viererreihen antreten, verbeugen am Fußende und an den Seiten beim Umschreiten des teuren Toten. Je tiefer, desto besser, allenfalls der Boden kann die Grenze der Verehrung sein. Frauen verdrücken pflichtgemäß ein paar Tränen. Alles andere wäre konterrevolutionär.
Aber nur von Heldenverehrung können die Menschen nicht leben. Linderung der Not versprechen EU-finanzierte Projekte der Deutschen Welthungerhilfe. Karl Fall, ein seit 40 Jahren in der Entwicklungshilfe tätiger Bayer, der in Weihenstephan Gartenbau studiert hat, erläutert in Pongsu bei Pjöngjang sein Gewächshausprojekt. "Da nur 20 Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich nutzbar und die Böden durch ständige Bebauung ausgelaugt sind, hilft nur Intensivierung", erklärt er. Die hat hier die Gestalt von 15 Gewächshäusern angenommen. Fall setzt auf Aquaponics. Das Wort setzt sich zusammen aus Aquakultur, also Fischproduktion, und Hydroponic, Pflanzenproduktion auf Torfmull. Fische reichern das Wasser durch ihre Verdauung mit Nährstoffen an, gefiltert und aufbereitet spart das Kunstdünger. Gurken, Tomaten und Salat wachsen extrem schnell. "Unsere Zielgruppe sind Kindergärten, Krankenhäuser und Schulen", sagt Fall. 500 Tonnen Gemüse habe das Projekt im vergangenen Jahr produziert. Die Stadtbewohner seien von der schlechten Versorgungslage härter betroffen als die Landbevölkerung, die sich zumindest teilweise selbst versorgen könne.
Die Fahrt zu einem zweiten Projekt Karl Falls, einer Saatgutfabrik für Mais, die seit zwei Jahren von einheimischen Genossenschaftern erfolgreich selbst betrieben wird, zeigt die Grenzen dieser Selbstversorgung. Die Menschen wirken ausgezehrt, viele sind mit Fahrrad oder zu Fuß unterwegs, um irgendetwas zu beschaffen. An den Flussufern und teils im eiskalten Wasser graben Menschen nach fruchtbarem Schlamm. Und überall wieder Arbeitseinsätze an den teils maroden Straßen, marschierende Soldaten und Kinder. Szenen, die nicht von Ausländern fotografiert werden sollen. Und so jagt der Fahrer, so schnell er kann, über die holprige Piste.
So wenig wie im Ausland über die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Führungsschicht bekannt ist und ob der zweite Generationswechsel der Kim-Dynastie von Vater Jong-il auf Sohn Jong-un gelingt, so wenig erfährt der Besucher über die Lebensverhältnisse der leidenden Landeskinder. Denn direkte Gespräche mit ihnen gibt es nicht, eine Wohnung zu besichtigen ist unmöglich, nicht einmal Botschaftsmitarbeiter wissen, wo ihre einheimischen Angestellten zu Hause sind.
Auf dem beim Abschlussessen vorgetragenen Wunsch, den Lesern zu Hause vielleicht nach dem nächsten Besuch mitteilen zu können, wie die Menschen hier leben, was sie bedrückt oder erfreut, welche Ziele sie im Leben haben oder was sie denken, antwortet ZK-Abteilungsleiter Ri mit ein paar allgemeinen Floskeln und der Bemerkung: "Wir sind hier alle gleich." Schneidet sich ein schönes Stück von seinem Steak - und verspeist es genüsslich.