Vizepräsident Suleiman will die Proteste gegen Mubarak nicht mehr lange hinnehmen. Ziviler Ungehorsam “gefährlich für die Gesellschaft.“
Kairo. Ist die Geduld aufgebraucht? Omar Suleiman, ehemaliger Geheimdienstchef und Vizepräsident Ägyptens, sagte, die Regierung könne die seit zwölf Tagen andauernden Massenproteste gegen Staatschef Husni Mubarak nicht mehr lang hinnehmen. Die Krise müsse sobald wie möglich beendet werden, erklärte Suleiman am Dienstag. Es werde „kein Ende des Regimes“ und keinen sofortigen Abgang Mubaraks geben, wurde der Vizepräsident von der amtlichen Nachrichtenagentur MENA zitiert. Die Regierung wolle die Forderungen der Demonstranten nach demokratischen Reformen über einen Dialog lösen und keine Polizeigewalt gegen „die ägyptische Gesellschaft“ einsetzen.
Die Alternative zu einem Dialog sei ein Putsch, und das würde hektische Entscheidungen und viele Unvernünftigkeiten bedeuten, erklärte Suleiman weiter. Auf Nachfrage der Medienvertreter erklärte der Vizepräsident, er spreche nicht von einem Militärputsch, sondern davon, dass „eine Macht, die nicht bereit ist für die Herrschaft“, die staatlichen Institutionen umstürzen könnte. Die Rufe von Demonstranten nach zivilem Ungehorsam seien „sehr gefährlich für die Gesellschaft“, sagte Suleiman.
Die Ankündigung einer Machtübergabe hat den Zorn der Ägypter auf die Regierung nicht mildern können. Hunderttausende Demonstranten strömten am Dienstag auf den Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo, um den Rücktritt des seit 30 Jahren regierenden Präsidenten Husni Mubarak zu erzwingen. Es war eine der größten Demonstrationen seit Ausbruch der Proteste vor zwei Wochen. Die überwiegend jüngeren Teilnehmer warfen der Regierung ein Spiel auf Zeit vor. Auf dem Platz wurde der Schwur laut, es nicht bei einer „halben Revolution“ zu belassen.
Zum dritten Mal seit Beginn der Revolte vor zwei Wochen füllten die Menschen den zentralen Platz. Viele waren am Dienstag erstmals dabei. „Mubarak ist ein sehr sturer Mann, er kann nicht erkennen, dass seine Zeit vorbei ist“, sagte die 71-jährige Afaf Naged, ehemals im Direktorium der staatlichen Nationalbank. Angefacht wurden die Proteste von dem Google-Manager Wael Ghonim, der im Fernsehen unter Tränen von seiner Festnahme durch den Geheimdienst berichtet hatte und nun vor die Menge trat. „Nicht ich, sondern ihr seid die Helden“, rief er. Der Marketing-Chef für den Nahen Osten war zwölf Tage lang festgehalten worden. Zwei Stunden nach der TV-Übertragung am Montag hatten auf Facebook bereits 70.000 Menschen ihre Unterstützung zugesagt.
Deutschland und die EU boten Ägypten konkrete Hilfe an, sollte sich der Wunsch der Demonstranten erfüllen und ein Prozess zur Demokratie eingeleitet werden. Freie und faire Wahlen könnte die Bundesregierung ebenso unterstützen wie den Aufbau demokratischer Parteien und einer unabhängigen Justiz, sagte Außenminister Guido Westerwelle.
Ägyptens Regierung hat nach den Worten von Vizepräsident Omar Suleiman einen Zeitplan für eine friedliche Machtübergabe ausgearbeitet. Die jahrzehntelang autoritär regierende Staatsführung gelobte, die Demonstranten in Frieden zu lassen. Mubarak habe betont, dass die Jugend des Landes die Wertschätzung der Nation verdiene, sagte Suleiman nach einem Gespräch mit dem Präsidenten. Es sei eine Verfügung erlassen worden, die vorsehe, die Protestierenden vor Verfolgung sowie Bedrohung zu schützen und ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren. Zudem kam die Regierung zumindest formal ihrem Versprechen nach, Änderungen an der Verfassung vorzunehmen. Nach einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur Mena erließ Mubarak ein Dekret zur Gründung eines Ausschusses, der Änderungsvorschläge machen soll.
USA fordern Freilassung von Gefangenen
Die US-Regierung forderte Ägypten auf, unverzüglich alle politischen Gefangenen zu freizulassen. Nachdem bereits 34 Gefangene auf freien Fuß gesetzt wurden, sagte ein Sprecher in Washington, die Regierung müsse aufhören, Demonstranten und Journalisten zu verhaften. Schikane und Prügel dürften nicht fortgesetzt werden. Wie viele Menschen aus politischen Gründen eingesperrt sind, ist nicht bekannt. Menschenrechtsgruppen gehen von Tausenden Häftlingen aus.
Auf dem Tahrir-Platz fürchteten Demonstranten, selbst bei einem Rücktritt Mubaraks werde erneut ein autoritärer Machthaber die Kontrolle übernehmen – und die ersehnte Demokratie auf der Strecke bleiben. Die Verhandlungen der Opposition mit der Regierung betrachten viele jüngere Menschen skeptisch: „Der Dialog verlängert das Leben des Regimes und haucht ihm wieder Leben ein“, stand auf dem Schild eines Mannes geschrieben. (Mit Material von dapd)