Nordkoreanisches Militär nimmt südkoreanische Insel nahe der umstrittenen Seegrenze unter Feuer. Präsident in Seoul droht mit Vergeltung.
Hamburg/Pjöngjang. Um 14.34 Ortszeit brach auf der kleinen südkoreanischen Insel Yeonpyeong im Gelben Meer die Hölle los. Bis zu 200 nordkoreanische Artilleriegranaten detonierten auf dem Eiland und in dem umgebenden Gewässer. Zwei südkoreanische Soldaten starben, rund 15 wurden zum Teil schwer verletzt. Bis zu 70 Häuser gingen in Flammen auf, die Bewohner flüchteten in Fischerbooten Richtung Küste oder krochen in Bunkeranlagen. Auf der Insel leben rund 2600 Menschen, davon 1000 südkoreanische Marineangehörige.
Südkoreas Militär feuerte rund 80 Artilleriegranaten auf die mutmaßlichen nordkoreanischen Stellungen, verlegte F-16-Kampfflugzeuge in das Gebiet und rief für die eigenen Streitkräfte den höchsten Alarmzustand seit Ende des Koreakrieges 1953 aus. Südkoreas Präsident Lee Myung-bak berief das Kabinett zu einer Krisensitzung ein. Lee drohte, sollte Nordkorea noch einmal angreifen, werde es einen "enormen Gegenschlag" geben.
Der Angriff auf Yeonpyeong ist einer der schwersten Zwischenfälle seit Ende des Krieges zwischen den beiden koreanischen Staaten vor fast sechs Jahrzehnten. Auslöser war offenbar das südkoreanische Manöver "Hoguk" mit rund 70 000 Soldaten in der Region. Nordkoreas Streitkräfte hatten den Süden gestern ultimativ aufgefordert, die Übung abzublasen. Bereits im Juni hatte Nordkorea 130 Artilleriegranaten auf Yeonpyeong abgefeuert. Sie richteten jedoch keinen Schaden an. Die Insel liegt nur wenige Kilometer südlich der Seegrenze "Northern Limit Line" (NLL), die 1953 von der US-geführten Kommission der Uno festgelegt worden war. Die NLL ist nicht Teil des Waffenstillstandsabkommens von 1953 und wird von Nordkorea bis heute nicht anerkannt. In den vergangenen drei Jahren ist es an dieser Seegrenze zu drei militärischen Zwischenfällen gekommen. Im März hatte ein mutmaßlich nordkoreanischer Torpedo die südkoreanische Korvette "Chonan" versenkt. 46 Seeleute ertranken. Die "Chonan" hatte an der "Ersten Seeschlacht von Yeonpyeong" 1999 teilgenommen, eine zweite fand 2002 statt. Ein nordkoreanischer Kommandeur drohte weitere "unbarmherzige Schläge" an, sollten Südkoreas Marinekräfte die Seegrenze auch nur "einen tausendstel Millimeter" überschreiten. Der südkoreanische General Lee Hong-ki warf Nordkoreas Militär "eine unmenschliche Gräueltat an wehrlosen Zivilisten" vor.
Die USA verurteilten ebenso wie Nato und EU den nordkoreanischen Angriff scharf. Das Weiße Haus erklärte, Pjöngjang müsse sein aggressives Vorgehen stoppen. Der Uno-Sicherheitsrat plante eine Krisensitzung. Peking zeigte sich besorgt über die Eskalation. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, die Umstände des Zwischenfalls müssten untersucht werden. Der Diplomat forderte beide Seiten zur Zurückhaltung auf, um dem "Frieden und der Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel" zu dienen. Im Gegensatz zu den USA will China ungeachtet des Vorfalls die Sechs-Parteien-Gespräche der beiden Koreas mit den USA, Japan, Russland und China über atomare Abrüstung in Korea fortsetzen. Der amerikanische Sonderbotschafter für Nordkorea, Stephen Bosworth, traf gestern in Peking ein und erklärte, eine Fortsetzung der Verhandlungen könne "nicht in Erwägung gezogen werden, während aktive Programme laufen".
Bosworth will die Regierung in Peking über neue amerikanische Erkenntnis zum nordkoreanischen Atomprogramm unterrichten. Der in der US-Atomforschungsanlage Los Alamos arbeitende Atomwissenschaftler Siegfried Hecker hatte kürzlich eine neue Urananreicherungsanlage in Nordkorea besuchen dürfen und hatte danach Alarm geschlagen. Hecker hatte sich verblüfft über den Fortschritt der nordkoreanischen Atomtechnik gezeigt. Er sagte, er habe "Hunderte und Hunderte" Uran-Zentrifugen und einen "ultramodernen Kontrollraum" gesehen. Pjöngjang, das mit rund 1,2 Millionen Soldaten eine der größten Armeen der Welt unter Waffen hält, hatte bereits im Oktober 2006 und im Mai 2009 Atomwaffen getestet.