In Brüssel wurde eine grundsätzliche Einigung über ein neues Sparprogramm für Griechenland erzielt. Doch die Euro-Finanzminister sind skeptisch.
Athen. Drastische Kürzungen von Mindestlohn und Arbeitslosengeld, vorerst keine Gehaltssteigerungen in der Privatwirtschaft und Entlassung von 150.000 Staatsbediensteten, 15.000 davon noch in diesem Jahr - auf die Griechen kommt ein neues hartes Sparprogramm zu. In einem 13-stündigen Verhandlungsmarathon einigte sich Ministerpräsident Lucas Papademos mit den Vorsitzenden der Parteien, die seine Regierung stützen, auf weitere Einschnitte, um die Staatspleite vorerst abzuwenden. Bis zum Jahr 2015 soll der Staat nun 14 Milliarden Euro einsparen, allein dieses Jahr sollen es 3,1 Milliarden Euro sein.
Die Stimmung der Griechen, die schon mehrere Sparrunden hinter sich haben, schwankt zwischen Verzweiflung und Wut. "Wir, immer wir müssen zahlen", sagt Ilias Zissimatos, ein 78 Jahre alter Rentner. Der frühere Maurer bekommt 480 Euro Rente. Davon zahlt er 230 Euro Miete. Künftig könnte er 15 Euro monatlich weniger bekommen. "Um unseren Staat zu retten. Das sagen die Geldgeber - na, genial", sagte er sarkastisch. Die Maßnahmen stürzten Rentner, Arbeitslose und Jugendliche ins Elend, beklagte der Chef der Gewerkschaft der Staatsbediensteten, Ilias Iliopoulos. "Wir werden das nicht akzeptieren, das gibt einen sozialen Aufstand", sagte er. Bereits gestern aber gab es Demonstrationen in Athen. Die Gewerkschaften haben für heute und morgen zum Generalstreik aufgerufen. Demonstrieren wollen sie auch am Sonntag, wenn das Parlament in Athen voraussichtlich über das neue Sparpaket abstimmt.
Die Kommunistische Partei ruft bereits zu einem Aufstand gegen die Regierung auf. Andere marxistische und linksgerichtete Parteien wollen sie gleich ganz stürzen. Der politische Staatssekretär im Arbeitsministerium trat aus Protest gegen die harten Kürzungen zurück.
Am Donnerstag veröffentlichte Zahlen belegen das Ausmaß der Not in der Bevölkerung: Demnach kletterte die Arbeitslosenquote im November auf den Rekordwert von 20,9 Prozent. Jeder fünfte Grieche ist arbeitslos - so viele wie noch nie. Besonders schlimm sieht es bei den Jüngeren aus: Fast die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen hat keinen Job. Das sind mehr als doppelt so viele wie 2008 vor der Zuspitzung der griechischen Schuldenkrise und dem Niedergang der Wirtschaft. Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit im Land etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Euro-Länder. Düster sieht es auch für die Konjunkturentwicklung aus. Die griechische Industrieproduktion fiel im Dezember um 11,3 Prozent. Damit beschleunigte sich der Rückgang deutlich.
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Mit der grundsätzlichen Einigung auf das Sparpaket nach einem tagelangen Poker und mehrfach angekündigten "entscheidenden" Sitzungen, die dann doch nicht stattfanden, nahm die Regierung eine wichtige Hürde für weitere Finanzhilfen über 130 Milliarden Euro von Europäischer Union und IWF. Offiziell bestätigen konnte das Büro des Regierungschefs in Athen die Einigung allerdings erst eine Stunde nachdem EZB-Präsident Mario Draghi sie in Frankfurt verkündet hatte.
Grund für die Zeitverzögerung: Papademos habe sich zwar mit den beiden Vorsitzenden der großen Parteien Nea Dimokratia, Antonis Samaras, und der Sozialisten, Giorgos Papandreou, über die Annahme des Sparpakets verständigen können. Doch der Chef des kleinen Partners in der Regierung, der rechtsgerichteten Laos-Partei, Giorgos Karatzaferis, sei zunächst nicht zu erreichen gewesen, hieß es in höchsten Athener Regierungskreisen.
Schon am Abend kamen die Finanzminister der Euro-Zone in Brüssel zusammen, um die Zusagen aus Athen zu bewerten. Griechenland braucht bis Mitte März frisches Geld, andernfalls ist der Staat pleite. Finanzminister Evangelos Venizelos sagte, er hoffe auf ein Ja seiner Kollegen zum neuen Kreditpaket. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker sagte dagegen: "Es gibt viele Unklarheiten. Ich denke nicht, dass wir zu definitiven und endgültigen Beschlüssen kommen." Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellte unmissverständlich klar: "Es wird keine Ergebnisse geben." Er verlangt, dass die Griechen zunächst die in früher vereinbarten Sparprogrammen festgeschriebenen Reformen anschieben, bevor es neue Hilfen gibt.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ermahnte die Regierung in Athen, die Sparvereinbarungen mit den internationalen Geldgebern tatsächlich und vollständig umzusetzen. Manche dringend notwendige Maßnahme sei zwar auf dem Papier angenommen, aber bei Weitem noch nicht umgesetzt worden, sagte sie der "Passauer Neuen Presse".
Beim Finanzministertreffen in Brüssel sollte Griechenland aber grünes Licht erhalten, um in der kommenden Woche mit privaten Gläubigern wie Banken und Hedgefonds einen Schuldenschnitt zu vereinbaren. Das Land könnte durch einen solchen Forderungsverzicht um rund 100 seiner über 350 Milliarden Euro Schulden entlastet werden. Ob diese Summe erreicht wird, gilt aber als fraglich. Denn es ist unklar, ob sich alle Gläubiger zum Forderungsverzicht bereit erklären.
Die EZB könnte sich auf Umwegen am Schuldenschnitt beteiligen. Notenbank-Präsident Draghi betonte zwar, er lehne "jeden rechtlichen Trick" ab, die EZB-Verträge zu umgehen. Sie verbieten der Notenbank die direkte Finanzierung von Staatsschulden. Doch könnte die EZB ihren gigantischen Bestand an griechischen Staatsanleihen im Schätzwert von 45 Milliarden Euro zu Geld machen und die Gewinne über die Euro-Länder - gemäß deren Anteil am EZB-Kapital - an Athen weiterreichen. Nach Angaben von Finanzminister Venizelos hingen die Verhandlungen mit den privaten Gläubigern zuletzt an der Frage, ob die EZB und nationale Notenbanken beim Forderungsverzicht ins Boot steigen.