Laut Hochrechungen Sieg für Spar-Befürworter. Die Auflagen bleiben, aber die neue Regierung kann mit leichten Zugeständnissen beim Reformtempo rechnen.
Athen/Berlin. Nach der Parlamentswahl in Griechenland ruft die Bundesregierung die künftige griechische Regierung auf, sich zu den Sparvereinbarungen zu bekennen. Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte dem Vorsitzenden der Partei Neue Demokratie, Antonis Samaras, am Sonntagabend zum Wahlsieg und betonte, sie gehe davon aus, dass das Land sich an seine europäischen Verpflichtungen halte. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler lobte: „Die vernünftigen Kräfte haben sich gegen die radikalen Kräfte durchgesetzt.“
Er hoffe, dass sich die Wahlsieger zu einer neuen Regierung zusammenfänden, sagte Rösler in Washington. Diese müsse sich „klar bekennen auch zu dem Anpassungsprogramm“ der EU. Ein Nachgeben der Eurogruppe bei diesem Programm lehnte er ab. „Es kann keine Rabatte auf Reformen geben“, sagte er. Auch Außenminister Guido Westerwelle sagte im Deutschlandfunk, die Reformen müssten ohne Abstriche weitergeführt werden. Die Vereinbarungen dazu stünden nicht zur Disposition. Am Sonntag hatte Westerwelle bereits Bereitschaft signalisiert, dass die Reformschritte nach dem Stillstand im Wahlkampf zeitlich gestreckt werden könnten.
Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), sieht im griechischen Wahlergebnis eine Chance für das Land, mit einer stabilen Regierung zurück auf den Weg zu Wachstum zu kommen. Die Wahl sei ein Votum pro Reform, sagte er am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Griechenland sollte seine Chance jetzt nutzen, sagte Kampeter. Er betonte: „Wir erwarten auch Vertragstreue, das muss jetzt abgearbeitet werden.“ Europa dürfe Hilfen nur bei Verhaltensänderungen geben. „Gleichzeitig ist uns klar, Griechenland darf nicht überfordert werden“, fügte der Staatssekretär hinzu.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, schließt aus, dass Griechenland zusätzliche Finanzspritzen erhält. „Das Hilfspaket von 130 Milliarden Euro ist ja schon eine beträchtliche Menge Geld. Da wird sicher nichts draufgesattelt“, sagte der SPD-Politiker am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Schulz forderte, dass die EU Griechenland nun entgegenkommen und dem Land mehr Zeit für die Rückzahlung der Kredite geben müsse. Bestimmte Raten seien bis Oktober vereinbart, „von denen jeder weiß, dass das Geld nicht da ist.
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth betonte, die Reformen müssten ohne Wenn und Aber umgesetzt werden. Wenn die Griechen dafür mehr Zeit bräuchten, müsse aber darüber geredet werden. Auch müssten die Reformlasten gerecht verteilt werden. Die Maßnahmen dürften nicht zur Spaltung der griechischen Gesellschaft führen, mahnte Roth im Nachrichtensender n-tv. Der Linke-Parteichef Bernd Riexinger sagte dem Sender, mit der Belastung von Löhnen und Renten könne man kein Wirtschaftswachstum generieren. Riexinger brauche auch dringend ein Zinsmoratorium.
Der Wirtschaftsrat der CDU lehnte zeitliche Streckungen von Reformmaßnahmen in Griechenland ab. Das sei nur Augenwischerei und würde im Ergebnis nur teuer, sagte der Präsident des Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, im Deutschlandradio Kultur. Die EU müsse auf den bisher unterzeichneten Verträgen bestehen und die Reformen in Griechenland beaufsichtigen, forderte Lauk.
Die Griechen sollen für die Reformen mehr Zeit erhalten
Der Ausgang der Wahlen in Griechenland hat die Beantwortung der Frage, ob das Land in der Euro-Zone bleibt oder nicht, zunächst einmal verschoben. Sicher ist, dass weder Neue Demokratie noch Syriza allein regieren können und auf Koalitionspartner angewiesen wären. Da Koalitionsvereinbarungen stets Kompromisse beinhalten, wird es möglicherweise auch noch eine Weile dauern, bis die konkreten politischen Positionen einer neuen Regierung absehbar sind. Die Neue Demokratie bekennt sich zu dem Rettungspaket und zu den darin festgelegten Bedingungen, die harte Sparmaßnahmen vorsehen. Die Linkspartei Syriza will die internationalen Bedingungen für die Finanzhilfen dagegen grundlegend neu aushandeln.
Während die Menschen in Griechenland an die Wahlurnen gingen, warfen Unbekannte eine Handgranate des russischen Typs F1 in den Hinterhof des Athener Radio- und Fernsehsenders Skai. Die Demokratie lasse sich nicht terrorisieren, sagte Regierungssprecher Dmitris Tsiodras. Der Sender Skai gilt als proeuropäisch und fordert tiefgreifende Reformen im Staat. Die Granate explodierte nicht, doch der Anschlag zeigt, in welcher aufgeladenen Atmosphäre die Wahl stattfand.
+++ "Die Spareinlagen der Deutschen sind sicher" +++
"Die Menschen haben Angst um ihre Ersparnisse, ihre Jobs, ihre Sicherheit, ihre Zukunft" - so umreißt Stathis Psillos, Philosophieprofessor aus Athen, die Lage. Nach fünf Jahren Rezession und politischem Dauerstreit sei die Zuversicht geschwunden, kollektive Depression mache sich breit. Verzweiflung paart sich mit stolzem Trotz gegen Sparvorgaben von außen.
Ohne die Einhaltung des Sparkurses würde im schlimmsten Fall eine ungeordnete Staatspleite folgen - mit unabsehbaren Konsequenzen für verschuldete Staaten wie Spanien und Italien sowie das globale Finanzsystem. Eine ähnlich unkalkulierbare Kettenreaktion hatte es nach der Insolvenz von Lehman Brothers 2008 gegeben. Zwei Monate später kamen die G20-Staats- und Regierungschefs zusammen, um das Finanzsystem widerstandsfähiger zu machen. Auch diesmal stehen die führenden Volkswirtschaften der Erde bereit, einen Absturz der globalen Konjunktur wegen der Euro-Schuldenkrise zu verhindern. Unmittelbar vor dem G20-Gipfel in Mexiko kamen aus den Hauptstädten entschlossene Signale.
Zur entscheidenden Rolle Deutschlands, die Euro-Zone stabil zu halten, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung gesagt, dass auch die größte Volkswirtschaft Europas an Grenzen stoße: "Auch Deutschlands Stärke ist nicht unendlich. Auch Deutschlands Kräfte sind nicht unbegrenzt." Auf dem CDU-Landesparteitag in Darmstadt wurde Merkel mit Blick auf die griechischen Linken deutlich: "Es kann nicht sein - und das ist jetzt auch die Aufgabe im Zusammenhang mit der griechischen Wahl -, dass zum Schluss herauskommt, wer sich an die Abmachungen nicht hält, der kann jeden anderen sozusagen am Nasenring durch die Manege führen."
Mit dem Absturz Athens hatte im Winter 2009/2010 die Schuldenkrise begonnen. Im April 2010 beschloss der EU-Gipfel das erste Rettungspaket in Höhe von 110 Milliarden Euro für drei Jahre. Im Gegenzug verpflichtete sich Athen zu einem strikten Spar- und Reformkurs, der Privatisierungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst umfasste. Doch die Auflagen wurden von Beginn an nicht planmäßig umgesetzt, die Privatisierung kam überhaupt nicht voran. Parallel schmierte die Wirtschaft weiter ab.
Im Sommer 2011 beschlossen die Regierungschefs deswegen ein zweites Rettungspaket, an dem sich die privaten Gläubiger mit einem Forderungsverzicht beteiligen sollten. Im Oktober wurde mit den Banken ein Schuldenschnitt von 50 Prozent ausgehandelt. Auf die Einzelheiten einigte sich die Euro-Gruppe aber erst im Februar. Das Gesamtvolumen: 172,6 Milliarden Euro (inklusive 24,4 Milliarden aus dem alten Programm) für die kommenden zwei Jahre. 30 Milliarden Euro davon gehen indes nicht an Athen, sondern zur Absicherung an die Banken. Deren Verlust aus dem Schuldenschnitt: 107 Milliarden Euro. Mit dem beispiellosen Paket sollte erreicht werden, dass die Gesamtverschuldung der Griechen von weit über 160 Prozent der Wirtschaftskraft bis 2020 auf 117 Prozent abgebaut wird. Als Gegenleistung mussten die Hellenen Haushaltskürzungen von 3,2 Milliarden Euro und heftige Sparmaßnahmen akzeptieren: einen Abbau von 150 000 Stellen im öffentlichen Dienst, eine Absenkung des Mindestlohns um 22 Prozent, Privatisierungen von 50 Milliarden Euro, Anhebung der Nahverkehrspreise um 25 Prozent. Doch auch das zweite Programm wurde wegen des politischen Chaos bislang nicht ansatzweise umgesetzt.