Berlin. Der Vizekanzler wendet sich in einer Video-Ansprache an das Land – es geht um die Opfer, Online-Lügen und die Zerstörungskraft von Hass.
Wenn Robert Habeck ausführlich über ein emotionales Thema sprechen möchte, dann nutzt er dafür häufig Social Media: In langen Videos, direkt in die Kamera gesprochen, direkt an die Menschen adressiert, meldet er sich so zu Wort.
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 etwa hatte er ein solches Video hochgeladen, auch gut ein Jahr später nach dem Messerattentat in Solingen.
Habeck: Bilder von Magdeburg erinnern an Solingen, Hanau, Halle
Jetzt ist es der Anschlag von Magdeburg, der Habeck umtreibt. Am Sonntag wurde auf den Kanälen des Vizekanzlers und Grünen-Kanzlerkandidaten eine zehnminütige Videoansprache hochgeladen, in der er versucht einzuordnen, was am Freitagabend auf dem Weihnachtsmarkt geschah und wie die Gesellschaft damit umgehen kann. Es geht um die Opfer, um die öffentliche Reaktion auf das Grauen, um Lügen im Internet und die zerstörerische Kraft von Hass.
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Zu Beginn beschreibt der Vizekanzler, wie die Nachricht von dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt ihn erreicht habe, als er gerade „zu Hause in Flensburg zur Tür reingekommen war“, voller Vorfreude auf Zeit mit der Familie und die Feiertage. „In diese Vorfreude schlug die Nachricht mit voller Wucht. Traf ins Mark, traf ins Herz. Und ich dachte nur: Nein, nein, nein!“ Einen Tag später, vor Ort in Magdeburg, habe er die Lähmung und den Schock der Menschen gespürt, die Trauer, die Fassungslosigkeit. „Auch den Zorn, überall.“
Er erinnert an ähnliche Taten in der Vergangenheit: Die Bilder von Magdeburg würden sich vermischen, sagt Habeck, mit denen anderer Anschläge, auf dem Breitscheidplatz in Berlin, in Solingen, in Hanau, Halle und München.
„Brutale, widerwärtige Anschläge von Islamisten, Antisemiten, Rassisten, Islamhassern“, sagt der Vizekanzler. „In den Motiven mögen sie sich unterscheiden, in ihrem Hass sind Extremisten alle gleich.“ Und sie würden auch auf das Gleiche zielen: „Das Herz unserer freien Gesellschaft. Die Anschläge zielen mitten in unser normales Leben, den Alltag. Sie reißen Menschen aus dem Leben und sie zerstören die Normalität unser aller Leben.“
Der Hass und das, was eine Gesellschaft ihm entgegensetzen kann, das ist das zentrale Thema dieser Ansprache. Doch bevor es darum geht, erinnert Habeck an die Opfer. Ein neunjähriger Junge und vier erwachsene Frauen waren bei der Fahrt des Attentäters über den Weihnachtsmarkt getötet worden, mehr als 200 Menschen verletzt, darunter 40 schwer bis sehr schwer.
Habecks zentrale Thema: Die zerstörerische Kraft von Hass
„Im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit müssen die Opfer stehen“, fordert der Grünen-Politiker in seinem Video, jetzt und auch in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren. Menschen, die diesen „Horror“ durchgemacht hätten, würden die Erinnerung ihr Leben lang tragen. Der Verlust eines neunjährigen Kindes sei „eine Wunde, die sich nie, niemals schließt“. Auch die Rettungskräfte würden die Erinnerung mit sich tragen, sagt Habeck. „Auch Helfer brauchen Hilfe.“
Erst dann kommt Habeck auf die gesellschaftliche Dimension der Tat von Taleb A. zu sprechen. Unmittelbar nach dem Anschlag, sagt er, habe sich online „eine Welle des Islamhasses“ ausgebreitet. Doch die Informationen, die seitdem zutage getreten seien, würden ein anderes Bild zeichnen. Der mutmaßliche Täter, das ist inzwischen bekannt, stammte aus Saudi-Arabien, war Arzt, hasste den Islam und stand der AfD nahe.
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Habeck richtet eine Bitte an die Stadt Magdeburg und das Land
Vieles sei noch unklar. Trotzdem fürchtet Habeck nach eigener Aussage, dass sich das im Netz sofort propagierte Misstrauen gegenüber Muslimen, Ausländern, Menschen mit Migrationsgeschichte weiter in die Gesellschaft eingraben werde. Und das sei das Ziel derer, die das propagieren: „Misstrauen, Angst und Zorn schüren. Die Gesellschaft kirre machen mit Desinformation, mit Lügen, mit Halbwahrheiten.“
Habeck appelliert deshalb an die Bevölkerung. „Glauben Sie nicht jenen, die immer gleich alles wissen. Glauben Sie nicht, was Ihnen Propagandisten im Netz weismachen wollen.“ Die Lüge sei schneller als die Wahrheit. „Nehmen Sie sich Zeit für die Wahrheit. Nehmen Sie sich Zeit für Skepsis, für Zweifel, nachzufragen. Lassen Sie sich nicht vom Hass anstecken.“
Hass habe die größte Zerstörungskraft für unsere Gesellschaft, sagt er. „Dem zu widerstehen, ist das Schwerste. Der Kampf gegen den Hass ist das Schwerste.“ Und dann bittet er noch darum, dass man sich unterhaken möge und einander daran erinnern, „dass wir stärker sein wollen als der Hass.“ Es ist eine Bitte an eine Stadt und ein Land, die noch immer unter Schock stehen.
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