Bernburg. Er soll Wissenslücken im Job gehabt haben, musste sich Sprüche anhören: Was ein Kollege über den Attentäter von Magdeburg berichtet.
Zwei Kleinwagen stehen vor dem Haus mit der hellblauen Tür, in dem der Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt, Taleb A., zuletzt lebte. In der Straße der Kleinstadt Bernburg in Sachsen-Anhalt ist nichts auffällig. Die Wohnhäuser haben höchstens drei Stockwerke. In dem Haus von A. haben einige Bewohner Weihnachtsschmuck in ihre Fenster gestellt. Lediglich die Vehemenz, mit der sich Taleb A. gegen Wurfsendungen von Postboten gewehrt hat, verwundert ein wenig. Gleich fünfmal klebt auf seinem Briefkasten der Hinweis, doch bitte keine Werbung einzuwerfen.
Von hier in das Stadtzentrum Bernburgs sind es gut zehn Minuten zu Fuß. Die Gegend rund um den Wasserturm gilt als ruhig, viele Familien, aber auch Rentnerinnen und Rentner leben hier. Schnell ist man am Schloss, einer in der Region bekannten Sehenswürdigkeit. Taleb A., aus Saudi-Arabien stammend und seit 2006 in Deutschland, lebte im Hochparterre des Gebäudes, die Fenster sind mit milchig-gelben Jalousien zugezogen. Bewohner, die mit A. im selben Haus wohnten, schweigen zu ihrem ehemaligen Nachbarn. Seit Freitagabend, seitdem Taleb A. mit einem Fahrzeug in den Magdeburger Weihnachtsmarkt steuerte, fünf Menschen tötete und 200 zum Teil schwer verletzte, ist hinter der grauen Hauswand wohl nichts mehr so wie es mal war.
Taleb A. soll ein unscheinbares Leben geführt haben
Bereits kurze Zeit nach der Tat durchsuchten Beamte die Wohnung von A., der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt. Am Sonntagmittag stehen noch einige Reporter vor der Haustür, eine Frau spricht in eine Fernsehkamera, ein Fotograf macht Aufnahmen vom Klingelschild. Glaubt man Aussagen von Anwohnern, muss der Amokfahrer von Magdeburg ein unscheinbares Leben geführt haben. Ein Nachbar, der gegenüber von A. im Hochparterre wohnt, öffnet seine Wohnungstür. „Ich habe den nie gesehen. Ich weiß auch gar nicht, wie der aussieht. Die Fenster waren fast immer verrammelt. Es war auch nichts zu hören“, sagt er dann. Auch eine andere Anwohnerin erklärt, A. nie begegnet zu sein. „Das ist alles schrecklich, eine furchtbare Tat“, sagt sie lediglich.
Anders war sein Auftreten im Netz: In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Islamkritiker, gab sich als Fan von Elon Musk und der AfD aus, bezeichnete sich gleichzeitig aber als politisch links. Der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wünschte er den Tod und ließ offenbar über die Frage abstimmen, ob man ihn schelten würde, wenn er „willkürlich 20 Deutsche“ töten würde wegen des deutschen Umgangs mit der saudischen Opposition. Gleichzeitig engagierte er sich aus dem Exil für Frauenrechte in Saudi-Arabien. Ein Auftreten voller Widersprüche. Und fern von der beschaulichen Realität in Bernburg.
Bernburg, die Stadt im Salzlandkreis, ist ein überschaubarer Ort. Gut 32.000 Menschen leben hier. Es gibt das Schloss, einen Tierpark, einen Bahnhof und ein Theater. Die Bäcker haben sonntags entweder zu oder nur vormittags auf. Bernburg ist beschaulich, aber gerade so groß, dass man auf dem Fußweg auch wortlos aneinander vorbeigehen kann, ohne gleich ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
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Taleb A. soll durch „lückenhaftes Wissen“ aufgefallen sein
Taleb A., der seine Facharzt-Ausbildung in Stralsund absolvierte, hatte es von seinem Wohnort aus nicht weit bis zu seinem Arbeitsplatz. Er musste nur ein paar Schritte die Straße runtergehen. A. arbeitete als Psychiater im Maßregelvollzug des Salus-Klinikums Bernburg. Ein Mann, der auf seinem Fahrrad unterwegs ist, hält an. Er sagt, er sei ein Kollege von A. gewesen. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, aber er weiß über A. zu erzählen. A. sagt er dann, sei im medizinischen Bereich durch lückenhaftes Wissen aufgefallen. „Das hat dazu geführt, dass Kollegen ihn lieber gar nicht mehr gefragt haben. Er dufte zuletzt auch keine Dienste mehr machen“, erzählt der Mitarbeiter des Klinikums weiter. A., sagt er, habe sich auch Witze über seine fachlichen Defizite anhören müssen. Ein Spruch sei so gegangen: „Kann man in Saudi-Arabien den Doktortitel beim Kamelreiten gewinnen?“ Dann steigt er wieder auf sein Rad.
Am früheren Arbeitsplatz von A., dem Maßregelvollzug, hängt vor dem Eingang die schwarz-gelbe Sachsen-Anhalt-Flagge auf Halbmast. Am Sonntagmittag stehen dort zwei Mitarbeiter, sie rauchen. Sagen wollen sie zu ihrem Kollegen lieber nichts. A. soll Ende Oktober hier zum letzten Mal gearbeitet haben. Seitdem habe er freie Tage und Urlaub gehabt und offenbar zeitweise auch eine Krankschreibung.
Zuvor hatte sich der Saudi, der der 2016 Asyl als politisch Verfolger erhalten haben soll, um Straftäter gekümmert, die „im Zusammenhang mit einer Suchtmittelabhängigkeit straffällig geworden sind“, so eine Sprecherin der Einrichtung gegenüber unserer Redaktion. Nach der Tat von A. seien die Kolleginnen und Kollegen am Klinikum „tief betroffen“. „Unsere ganze Kraft gilt jetzt der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden“, sagt sie. Gleichzeitig habe man auch eigenen Mitarbeitern Gesprächsangebote gemacht, um verarbeiten zu können, was A. getan hat.
Ärzteschaft zeigt sich fassungslos
Fassungslos zeigte sich auch die Ärzteschaft in Sachsen-Anhalt. „Wir sind bestürzt darüber, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen Arzt handelt. Er hat sinnlos Menschenleben ausgelöscht und bedroht“, sagte Uwe Ebmeyer, Präsident der Landesärztekammer, am Samstagmittag in einer Erklärung. Taleb A. gehört zu den knapp 2000 ausländischen Ärzten, die aktuell in Sachsen-Anhalt arbeiten.
Zuletzt war die Zahl der ausländischen Mediziner in dem Bundesland stark gestiegen: Während es im Jahr 2015 noch 1.028 Mediziner aus dem Ausland gab, waren es Ende 2023 bereits insgesamt 1.833, wie aus einer Aufstellung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt hervorgeht. Die häufigsten Herkunftsländer sind Rumänien, Syrien, Aserbeidschan, Russland und die Ukraine. Ärzte aus Saudi-Arabien dagegen sind eher selten.
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