Berlin. Bund und Länder streiten darüber, was Sicherheitsbehörden dürfen sollen. Experten haben eine klare Vorstellung, was bei der Arbeit helfen würde.
Der entscheidende Tipp kam aus dem Ausland – wieder einmal. Dass ein Mann aus Libyen einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin plante, erfuhren die deutschen Sicherheitsbehörden von einem ausländischen Nachrichtendienst. Nur deshalb konnten Polizeibeamte den mutmaßlichen IS-Anhänger Omar A. am Freitag festnehmen. Er ist seitdem in Untersuchungshaft.
Immer wieder kommt es vor, dass befreundete Nachrichtendienste Gefahren in Deutschland identifizieren, bevor es die deutschen tun. Der aktuelle Fall heizt nun die laufende Debatte über die Fähigkeiten der deutschen Behörden an: Was müssen Ermittler dürfen, um effektiv gegen Gefahren vorgehen zu können? Als Reaktion auf den Anschlag von Solingen im Sommer hatte die Ampel-Koalition in der vergangenen Woche Änderungen auf den Weg gebracht. Die Union stellte sich im Bundesrat dagegen. Worum es geht und was für mehr Sicherheit sorgen würde – ein Überblick.
Was umfasst das Sicherheitspaket?
Am Freitag hatte der Bundestag mit der Mehrheit der Ampel-Parteien zwei Gesetze beschlossen, die die Koalition unter der Überschrift des Sicherheitspakets zusammengefasst hat. In einem der Gesetze wurden Änderungen im Asyl- und Waffenrecht geregelt. So sollen Messer auf Volksfesten, an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten und im öffentlichen Nahverkehr künftig verboten sein. Geflüchtete, für deren Asylverfahren ein anderes Land zuständig ist, sollen bis zu ihrer Ausreise in dieses Land keine Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz mehr bekommen. Und wer in Deutschland einen Schutzstatus hat, aber ohne zwingenden Grund in sein Herkunftsland reist, soll seinen Schutzstatus verlieren.
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Das zweite Gesetz, dem der Bundestag zugestimmt hat, soll den Ermittlungsbehörden mehr Möglichkeiten einräumen: Staatsanwaltschaften, BKA und Bundespolizei dürfen danach in Zukunft öffentlich zugängliche Daten aus dem Internet biometrisch abgleichen mit Daten von Verdächtigen. So soll es möglich sein, Fotos von Zielpersonen etwa mit IS-Propagandamaterial und Informationen aus sozialen Medien abzugleichen. Auch automatisierte Datenanalyse, also der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, soll möglich sein. Damit dieses Gesetz in Kraft treten kann, braucht es aber die Zustimmung des Bundesrats – und die haben die unionsgeführten Länder verweigert. Über diesen Teil des Pakets soll deshalb jetzt im Vermittlungsausschuss beraten werden.
Warum hat die Union das gestoppt?
Weil die Maßnahmen der Ampel-Koalition nach Ansicht von CDU und CSU nicht weit genug gehen. Sie wollen noch weitere Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, vor allem beim Thema Gesichtserkennung und bei der Speicherung von Kommunikationsdaten.
Das Paket sei „halbherzig“, kritisiert Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Messerverbote seien „Regulierungswut, die keinen weiterbringt“. Denn Verbote seien nur so gut, wie man sie auch kontrollieren kann.
„Was uns wirklich weiterbringt, steht nicht im Sicherheitspaket“, sagte Reul dieser Redaktion. Stattdessen müsse man sich damit beschäftigten, wie man die Polizei ausstatten wolle. „Wir müssen uns die Frage stellen, welche Rechte Sicherheitsbehörden brauchen, um frühzeitig an Informationen zu kommen. Bei terroristischen Anschlägen brauchen wir Wissen über potentielle Täter und was konkret mit wem wo geplant ist.“ Ein Messerverbot halte keinen Terroristen von einem Anschlag ab.
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Dass etwa der Attentäter von Solingen, der im August auf einem Volksfest drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt hatte, sich wegen eines Messerverbots umentschieden hätte, scheint tatsächlich wenig plausibel. In Zukunft sollen aber dort, wo Messer verboten sind, auch stichprobenartige Kontrollen der Polizei und Durchsuchungen erlaubt sein. Wird bei einer solchen Kontrolle ein Messer gefunden, hätten Beamte die Möglichkeit, einzuschreiten. Auch diese Regelung ist allerdings Teil des Gesetzes, das vorerst gestoppt wurde.
Warum ist der Fall des gestoppten Anschlags auf die Botschaft so heikel?
Der Libyer Omar A. plante nach Erkenntnissen der Ermittler einen „Anschlag mit Schusswaffen“ auf die israelische Botschaft in Berlin. „Zur Planung des Vorhabens tauschte sich der Beschuldigte in einem Messenger-Chat mit einem Mitglied des IS aus“, erklärte der Generalbundesanwalt. Es ist ein übliches Vorgehen der Terrororganisation IS, dass Kontaktleute in Syrien, im Irak, Afghanistan oder Zentralasien mögliche Attentäter in Europa motivieren und anleiten.
Wie der islamistische Attentäter von Solingen war offenbar auch Omar A. ein abgelehnter Asylbewerber, der den deutschen Sicherheitsbehörden bisher nicht als radikalisierter Islamist bekannt gewesen ist. Der Hinweis auf die Pläne zu einem Anschlag auf die israelische Botschaft kam nach Informationen dieser Redaktion wie schon oft in der Vergangenheit von einem befreundeten ausländischen Nachrichtendienst. US-Geheimdienste beispielsweise haben weitreichende Befugnisse, Online-Kommunikation abzufangen und auszuwerten – im Gegensatz zu deutschen Sicherheitsbehörden, die immer wieder auf Tipps aus dem Ausland angewiesen sind.
In diesem Fall griffen die deutschen Sicherheitsbehörden nur kurz nach Eingang des Hinweises zu. Wie dicht der Mann vor der Tat stand, ist noch unklar.
Was fordern Experten und Behörden?
Bei der Gewerkschaft der Polizei ist man genervt von dem Streit zwischen Bund und Ländern. Das müsse aufhören, sagt Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft, dieser Redaktion. Auch er glaubt nicht, dass das, was im Sicherheitspaket angelegt ist, ausreicht im Kampf gegen terroristische Bedrohungen. „Wir brauchen jetzt endlich eine Mindestspeicherpflicht für IP-Adressen, Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten, Cyberabwehrbefugnisse und Mitwirkungspflichten von Anbietern“, sagt Kopelke – mehr Zugriff also auf digitale Spuren.
Die GdP dringt zudem auf mehr Personal und Technik zur Terrorabwehr. „Wir müssen als Sicherheitsbehörden viel stärker in der digitalen Welt agieren“, sagt Kopelke. Kriminalität und Terror würden keine Grenzen kennen. „Darum brauchen wir eine europäische Sicherheitsstrategie im Kampf gegen Desinformationen, Terror und Kriminalität.“
Stephan Kramer, Chef des Landesamts für Verfassungsschutz in Thüringen, begrüßt zwar die gute Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten. Dass Deutschland auf deren Tipps angewiesen ist, hält er aber für problematisch: „Es kann nicht sein, dass wir auf Hinweise aus dem Ausland angewiesen sind, aber selbst unsere Fähigkeiten nicht voll ausschöpfen dürfen, weil ein falsches Datenschutzverständnis uns die Hände bindet“, sagte Kramer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Politik habe die Pflicht, „uns die nötigen Befugnisse und Werkzeuge zu geben, um die Bedrohung unserer offenen Gesellschaft endlich besser abwehren zu können“. „Beim nächsten Mal kommt der Hinweis aus dem ausländischen Partnerdienst vielleicht zu spät“, warnte der Verfassungsschützer.