Berlin. Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Grundschüler ausgewirkt? So ordnet der Leiter der neuen TIMSS-Studie die Entwicklung ein.

Es wird wenigstens nicht schlechter: Soweit zur guten Nachricht, wenn es um die Leistungen von Schulkindern geht. Das zeigt die aktuelle vergleichende Schulleistungsstudie TIMSS 2023, bei der Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Klasse in Mathematik und Naturwissenschaften ermittelt werden. „Die Kinder, die wir getestet haben, sind voll von der Pandemie erwischt worden“, erläutert Studienleiter Knut Schwippert dieser Redaktion. Andere Bildungstrends ließen befürchten, dass sich die Pandemie klar auf die Leistungen ausgewirkt haben. „Das sehen wir jetzt nicht mehr. Die Ergebnisse entsprechen dem Stand von 2019. Das ist ein gutes Zeichen“, so der Professor der Universität Hamburg, wo die Studie wissenschaftlich begleitet wird. Das sind die Ergebnisse:

Soziale Herkunft und Bildungserfolg

Zwar entscheide nach wie vor die soziale Herkunft über den Bildungserfolg. Aber die Schere sei während der Pandemie nicht noch weiter auseinander gegangen. „Auch das interpretieren wir positiv“, sagte Schwippert. Er lobt die Aufholjagd, die an den Schulen stattgefunden habe. Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler sei erreicht worden. Vor allem die sozial Schwachen hätten davon profitiert. „Das zeigt: Die Hilfe ist angekommen“.

Stefan Düll, Präsident des deutschen Lehrerverbandes, warnt ohnehin davor, allzu starr auf die soziale Herkunft von Schulkindern zu starren. Entscheidend sei schließlich, welche Berufe erlangt werden. „Wir testen Kinder in der vierten Klasse und dann nochmal bei der Pisa-Studie, wenn sie 14 Jahre alt sind. Wir stellen aber nie die Frage: Wo stehen sie mit 25?“, kritisiert Düll. Es werde Zeit, mal die jungen Erwachsenen anzuschauen. „Haben sie eine Lehre gemacht? Abitur? Wie ist der Verdienst?“ Vor allem aber: „Sind sie in der Gesellschaft als vollwertige Mitglieder angekommen?“

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Der Einfluss der Familie

Wo viele Bücher sind, erreichen die Kinder bessere Leistungen: Auch dieser alte Zusammenhang besteht trotz Digitalisierung. „Bücher im Elternhaus sind ein robuster Indikator für den kulturellen und ökonomischen Hintergrund“, sagt Bildungsforscher Schwippert. So habe die Studie ermittelt, dass Kinder aus Haushalten mit weniger als 100 Büchern in Mathematik einen Lernrückstand von etwa einem Jahr haben. In den Naturwissenschaften sei das Gefälle zu Kindern aus Haushalten mit vielen Büchern noch größer. Stefan Düll bestätigt: „Schule baut immer darauf auf, was Kinder in der Familienkultur lernen, erleben und begreifen.“

So wirkt sich der Migrationshintergrund aus

Kinder mit zwei deutschen Elternteilen haben die besten Chancen. Ist ein Elternteil nicht in Deutschland aufgewachsen, sinkt im Schnitt die Leistung um 20 Prozent. Bei zwei nicht-deutschen Eltern sind es sogar 70 Prozent, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Allerdings wird aus Datenschutzgründen nicht nach Herkunftsland differenziert. Schwippert: „Es gibt Kinder mit Migrationshintergrund, die brauchen keine Förderung und Kinder ohne Migrationshintergrund, die haben Förderbedarf.“ Eine Förderung nach Herkunftsland mache keinen Sinn, denn auch innerhalb der Gruppen gebe es große Leistungsunterschiede.“

Für Lehrerpräsident Stefan Düll sind die Deutschkenntnisse entscheidend, und zwar auch mit Mathematik-Unterricht. Klassische Rechenaufgaben würden seltener, in den Fokus rückten immer stärker Textaufgaben. Deutschkenntnisse müssten daher bereits vor der Einschulung erfasst werden, fordert Düll. Daran müssten Sprachförderungen anknüpfen und gegebenenfalls auch Rückstellungen bei der Einschulung. „Hamburg  macht das seit einem Jahr mit sehr guten Erfolgen“. Bayern und Thüringen wollen nachziehen. Düll: Kein Bundesland kann es sich leisten, nicht die Sprachdefizite schon vor der Einschulung zu beheben.“

Zahlenspirale Pi im Mathematikum Giessen (Foto vom 03.03.2022). Am 14. Maerz feiern Mathefans aus aller Welt den Pi-Day
Zahlenspirale Pi im Mathematikum Giessen. Beim Mathematik-Unterricht kommt es aber auch gute Deutschkenntnisse an. © imago/epd | IMAGO stock

Wie Mädchen und Jungen lernen

Jungs sind in Naturwissenschaften besser als Mädchen? Das stimmt immer weniger. Die Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern haben laut Studie abgenommen. Allerdings nicht, weil die Mädchen besser geworden sind, sondern weil die Jungen schlechter werden. Auch das sei ein Grund zur Sorge.

Tablets für Grundschüler – darum ist das wichtig

Laut Studienleiter Schwippert gehen die positiven Einstellungen zu den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften bei den Grundschulkindern zurück, und zwar systematisch seit 2007. Der Erziehungswissenschaftler erklärt sich das mit der zunehmenden Digitalisierung. Er könne sich vorstellen, dass digitale Endgeräte zu selten genutzt werden, obwohl sie – auch das ist ein Ergebnis der Studie – zur Verfügung stehen. „Möglicherweise halten Kinder, die mit digitalen Endgeräten aufwachsen, den traditionellen Unterreicht für weniger interessant.“ Für Lehrerpräsident Düll ist die Grundschule zwar nicht der Ort, „an dem jedes Kind ein Tablet braucht“. Allerdings müsse die Schule Rücksicht darauf nehmen, dass Kinder zu Hause immer früher ein digitales Endgerät zur Verfügung haben. „Viele Eltern benutzen es als digitalen Schnuller.“ Schulen aber könnten zeigen, was man Sinnhaftes mit einem Tablet machen kann.

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Wenig starke, viele schwache Schüler

Die obersten Kompetenzstufen erreichen bei der aktuellen Studie nur wenige Kinder. Zu viele allerdings liegen unterhalb der Kompetenzstufe 3. „Sie laufen Gefahr, in der Sekundarstufe den Anschluss zu verlieren“, sagt Schwippert. Seine Schlussfolgerung aus der Studie: Schwache Schülerinnen und Schüler brauchen eine gute Förderung, die starken eine besondere Aufmerksamkeit. Lehrerpräsident Stefan Düll blickt auf die Grenzen der Förderung. Nicht alle könnten erreicht werden. „Schule ist ein großer Kompromiss.“

TIMSS wird seit 1995 alle vier Jahre von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) durchgeführt. Die Universität Hamburg erstellt den Berichtsband für Deutschland am Arbeitsbereich Evaluation von Bildungssystemen.