Berlin. Zwischen Israel und der Hisbollah schweigen die Waffen. Die Feuerpause war von den USA vermittelt worden. Ist sie von Dauer?
Aufatmen im Libanon: Nach mehr als einem Jahr Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz gilt seit dem frühen Mittwochmorgen (4 Uhr Ortszeit bzw. 3 Uhr MEZ) eine Waffenruhe. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (75) richtete eine Warnung an die vom Erzfeind Iran unterstützte Miliz: „Die Dauer der Waffenruhe hängt davon ab, was im Libanon geschieht.“ Die Feuerpause war von den USA und Frankreich vermittelt worden, um auf Sicht eine „dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten“ zu erreichen, wie US-Präsident Joe Biden (82) sagte. Von der Hisbollah selbst gab es zunächst keine Reaktion auf die Verkündung der Waffenruhe.
In den Stunden nach Inkrafttreten der Waffenruhe hat das israelische Militär mehrere Zwischenfälle verzeichnet. Ob diese als Verstöße gegen die vereinbarte Feuerpause gewertet werden, wurde nicht deutlich. In einer Mitteilung hieß es, das Militär habe im Südlibanon Verdächtige identifiziert und Schüsse in ihre Richtung abgegeben.
Ein Militärvertreter sagte, es habe mittlerweile mehrere Zwischenfälle gegeben. „Dies sind isolierte Vorfälle, die in den ersten Stunden oder Tagen passieren, bis die Menschen verstehen, was vor Ort geschieht.“ Gleichzeitig betonte er: „Wenn unsere Truppen bedroht werden, werden sie schießen.“
Gazastreifen: Berichte über 17 Tote bei israelischen Angriffen
Der israelische Kan-Sender berichtete, acht Fahrzeuge und ein Motorrad mit Hisbollah-Mitgliedern seien in das Gebiet von Kafr Kila nahe der Grenze zu Israel gekommen. Die Armee habe sie mit Warnschüssen vertrieben.
Währenddessen sind bei neuen israelischen Angriffen im Gazastreifen nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Zivilschutzes mindestens 17 Palästinenser getötet worden. Zehn Menschen seien bei dem Beschuss eines Schulgebäudes in der Stadt Gaza ums Leben gekommen, teilte ein Sprecher mit. Sieben weitere seien bei einem Angriff auf ein Wohngebäude in dem Viertel Al-Saitun im Norden des Küstenstreifens getötet worden.
Waffenruhe im Nahost-Konflikt: Freudenschüsse in Beirut
Kurz nach Inkrafttreten der Feuerpause waren im Raum der libanesischen Hauptstadt Beirut Freudenschüsse zu hören. Die ersten aus dem Süden des Libanons geflohenen Menschen machten sich in Autos auf den Weg zurück in Dörfer, wo keine israelischen Truppen stationiert sind. Ein israelischer Militärsprecher hatte in arabischer Sprache auf X geschrieben, Bewohner von Gegenden, für die es Aufforderungen zur Evakuierung gegeben habe, dürften vorerst nicht in ihre Dörfer zurückkehren. „Mit dem Inkrafttreten der Waffenruhe und ihren Bestimmungen zufolge werden (die israelischen Streitkräfte) an Positionen im Süden des Libanon stationiert bleiben“, schrieb der Sprecher.
Die israelische Luftwaffe flog bis kurz vor dem Inkrafttreten der vereinbarten Kampfpause noch besonders massive Angriffe auf Beirut und die südlichen Vororte der Stadt. Das libanesische Gesundheitsministerium teilte mit, bei den Angriffen in zentralen Vierteln von Beirut seien mindestens zehn Menschen getötet worden.
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Überall in der Hauptstadt waren schwere Explosionen zu hören, wie eine Reporterin der dpa in der Nacht schilderte. Um 4 Uhr seien die Explosionen und das Donnern der Kampfflugzeuge dann verstummt. Auch die Hisbollah hatte zuvor weiter Raketen auf den Norden Israels abgefeuert, wo erneut die Sirenen heulten.
Endlich - Hisbollah und Israel haben sich auf eine Waffenruhe im Libanon verständigt, die unsere Partner USA und Frankreich vermittelt haben. Wichtig ist, dass sich alle an das Vereinbarte halten, damit die Menschen auf beiden Seiten der Grenze wieder in Sicherheit leben können.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) 27. November 2024
Nahost-Konflikt: Hält die Waffenruhe?
Die Schiiten-Miliz soll sich laut unbestätigten Medienberichten über die Abmachung zunächst hinter den Litani-Fluss etwa 30 Kilometer nördlich der faktischen israelisch-libanesischen Grenze zurückziehen. Danach sollten sich Israels Bodentruppen binnen 60 Tagen aus dem Libanon zurückziehen. Um eine Rückkehr von Hisbollah-Kämpfern zu verhindern, sollen Soldaten der libanesischen Armee, die am Krieg eigentlich nicht beteiligt ist, parallel zum israelischen Abzug im Grenzgebiet stationiert werden, wie ein ranghoher Vertreter der US-Regierung berichtete.
Die USA hätten nicht mit der Hisbollah über die Waffenruhe verhandelt, sondern mit der libanesischen Regierung, hieß es. Diese müsse nun die Verantwortung dafür übernehmen, was in ihrem Land passiere. Ob sie dazu angesichts der Schwäche des libanesischen Staates in der Lage sein wird, ist fraglich. Libanons geschäftsführender Ministerpräsident Nadschib Mikati forderte die sofortige Umsetzung der Abmachung.
Überwachen soll die Waffenruhe Medien zufolge eine von den USA angeführte Staatengruppe mit Frankreich, dem Libanon, Israel und der UN-Friedenstruppe Unifil, die seit Jahren im Libanon stationiert ist.
Die Überwachungskommission soll zudem sicherstellen, dass sich die Miliz nicht neu bewaffnet. Israel reklamiert für sich das Recht, jederzeit im Libanon militärisch einzugreifen, falls die Hisbollah die Übereinkunft brechen sollte und die libanesische Armee sowie die internationale Staatengruppe untätig bleiben. „Mit dem vollen Einverständnis der USA behalten wir die volle militärische Handlungsfreiheit“, sagte Netanjahu.
„Wenn die Hisbollah das Abkommen verletzt und versucht, sich zu bewaffnen, werden wir angreifen.“ Nach Angaben eines hochrangigen US-Regierungsvertreters behält neben Israel auch der Libanon das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Völkerrecht.
Baerbock: „Lichtblick für die ganze Region“
Der französische Präsident Emmanuel Macron (46) sprach von einer Chance für den Libanon. „Es ist wichtig, dass diese Waffenruhe eingehalten wird und das auf Dauer“, sagte Macron in einem auf X veröffentlichten Video. Das Abkommen unterstütze die Souveränität des Landes und läute „einen Neuanfang für den Libanon“ ein, sagte auch US-Präsident Biden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem „Lichtblick für die ganze Region“. Hunderttausende Frauen, Kinder und Familien im Libanon könnten nun neue Hoffnung schöpfen, ebenso Zehntausende Menschen aus dem Norden Israels, sagte die Grünen-Politikerin am Abend.
Gaza-Krieg geht weiter
Die Hisbollah beschoss Israel bislang nach eigenen Angaben zur Unterstützung der islamistischen Hamas im weiterhin umkämpften Gazastreifen. Die Hamas hatte mit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 auf Israel den Gaza-Krieg ausgelöst, kurz darauf begann der Beschuss aus dem Libanon. Ursprünglich wollte die mit der Hamas verbündete Hisbollah ihre Angriffe auf Israel nach eigenen Angaben erst beenden, wenn eine Waffenruhe in Gaza erreicht ist. Auf die Erfüllung dieser Bedingung verzichtete sie jetzt offenbar.
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Ein Ende des Kriegs mit der Hisbollah lasse die Hamas im Gazastreifen isoliert zurück, sagte Netanjahu. „Wir werden den Druck auf die Hamas erhöhen“, kündigte er am Abend an. Dies könne den Weg zu einer Vereinbarung über die Freilassung der rund 100 Geiseln ebnen, die noch immer im Gazastreifen vermutet werden – wobei unklar ist, wie viele von ihnen noch am Leben sind.
Kurz vor Beginn der Waffenruhe im Krieg gegen die Hisbollah gab Israels Armee die Tötung eines weiteren ranghohen Mitglieds der Hamas bekannt. Mumin al-Dschabari habe der Scharfschützen-Einheit der Hamas-Brigade in der Stadt Gaza angehört. Er sei bei einem präzisen Angriff auf ein Gebäude getroffen worden, das früher als Schule genutzt worden sei. Die Angaben des israelischen Militärs ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
USA hoffen auch in Gaza auf Waffenruhe, Hamas besteht auf Bedingungen
US-Präsident Biden setzt sich auch für eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ein. „Genauso wie das libanesische Volk eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand verdient, verdienen auch die Menschen in Gaza eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand. Auch sie verdienen ein Ende der Kämpfe“, sagte er.
Die Hamas hat nach der Waffenruhe ihre grundsätzliche Bereitschaft für ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen bekräftigt. Ein Hamas-Vertreter sagte der dpa gleichzeitig, die Organisation bestehe auf ihren Bedingungen für eine Waffenruhe. Man respektiere die Entscheidung der Hisbollah, aber das palästinensische Volk sei trotz des Leidens im Gazastreifen nicht bereit, seinen Widerstand gegen Israel aufzugeben, sagte er.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs sind die Bedingungen der Terrororganisation unverändert. Sie fordert unter anderem im Gegenzug für eine Freilassung von rund 100 Geiseln eine umfangreiche Haftentlassung palästinensischer Gefangener und einen vollständigen Rückzug der israelischen Armee. Israel will seine Truppen in strategischen Positionen in dem abgeriegelten Küstenstreifen belassen.
Die USA drängten seit Wochen auf eine Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel. Auf der libanesischen Seite wurden bei Angriffen der israelischen Armee viele Dörfer und Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt. Insgesamt seien etwa 12.000 Ziele im Libanon bombardiert worden, teilte die Armee mit.
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Dabei gab es nach libanesischen Angaben – die sich nicht unabhängig überprüfen lassen und keinen Unterschied machen zwischen Zivilisten und Bewaffneten – mehr als 3.700 Tote und etwa 15.500 Verletzte. Schätzungsweise mehr als 800.000 Menschen wurden durch die Kämpfe im Land vertrieben, Hunderttausende wähnten sich selbst im benachbarten Krisenstaat Syrien sicherer und flüchteten dorthin.
In Israel gab es im selben Zeitraum durch Angriffe der Hisbollah 76 Tote, die Mehrheit davon Zivilisten, über 700 Verletzte und große Sachschäden. Israels Raketenabwehr fing aber die meisten Geschosse der Miliz ab. Etwa 60.000 Bewohner Nordisraels wurden evakuiert.
Mehrere Staaten der arabischen Welt haben die Waffenruhe begrüßt. Unter den ersten Ländern, die sich positiv dazu äußerten, waren unter anderem der Irak, Jordanien und Ägypten. Die Außenministerien von Irak und Jordanien erklärten, die Waffenruhe biete eine Gelegenheit, die Gewalt gegen Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland zu beenden. Ägyptens Regierung teilte mit, die Waffenruhe könne zu einer regionalen Deeskalation beitragen.