Berlin. FDP-Chef Christian Lindner über seinen Rauswurf aus der Ampel, den Kampf um AfD-Wähler – und die Frage, wann eine Auszeit angemessen wäre.
Angespannt, etwas müde, aber kämpferisch: So erscheint Ex-Finanzminister Christian Lindner zum Interview. Dieses Mal nicht mehr im Chefzimmer des gigantischen Bundesfinanzministeriums, sondern im Büro des FDP-Vorsitzenden im Berliner Hans-Dietrich Genscher-Haus. Lindner nimmt am Besprechungstisch Platz, greift nach einer Cola Zero und stellt sich den Fragen, die das Land an ihn hat.
Herr Lindner, ist die Ampel die schlechteste Regierung, die es je in der Bundesrepublik gab?
Christian Lindner: Nein, das sagt Markus Söder, und der ist nicht objektiv. Wir haben die Inflation bekämpft. Wir haben nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Energieversorgung und unsere Wirtschaft geschützt. Wir haben Rekordinvestitionen ermöglicht und die Vernachlässigung der Bundeswehr beendet. Aber für die Herausforderungen, vor denen wir stehen – Wirtschaft auf Erfolgskurs bringen, irreguläre Migration konsequent abwenden und die Staatsfinanzen stabilisieren –, hatten wir nicht mehr die nötigen Gemeinsamkeiten.
Sie sind einer der erfahrensten Politprofis im Geschäft. Wie konnte es kommen, dass der Kanzler Sie so überraschte?
Lindner: Es war seit Monaten sichtbar, dass Einigungen schwerer wurden. Das Ende der Koalition hat mich also nicht überrascht. Das stand mehrfach im Raum. Auch bei den Haushaltsberatungen im Sommer schon. Inzwischen wissen wir übrigens, dass es damals Separatgespräche zwischen Rot-Grün ohne FDP zu einer Vertrauensfrage gab. Aus staatspolitischen Gründen hätte ich aber erwartet, dass Olaf Scholz unser Angebot annimmt, gemeinsam, geordnet und in Würde Neuwahlen herbeizuführen. Aufgrund seiner Wahlkampftaktik musste dann aber die Entlassung her. Damit hat er ein Vakuum ohne handlungsfähige Regierungsmehrheit geschaffen.
Ist Olaf Scholz ein gescheiterter Kanzler?
Lindner: Seine Regierung ist gescheitert.
Sind Sie ein gescheiterter Finanzminister?
Lindner: Das werden die Bürgerinnen und Bürger beurteilen. Ich habe erfolgreich gegen die Inflation gearbeitet, ich habe Rekordinvestitionen und Steuersenkungen erkämpft, ich habe die Schuldenbremse im Interesse der jungen Generation verteidigt und auf meine Initiative wurden 100 Milliarden für die Bundeswehr mobilisiert. Diesen Kurs sollte man beschleunigen, aber nicht ändern.
Wann kam es zum Bruch mit ihrem Parteifreund Volker Wissing?
Lindner: Ich werde nichts Schlechtes über einen ehemaligen Parteifreund sagen und ich wünsche ihm einfach alles Gute.
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Es heißt, Volker Wissing sichert sich mit dem Verbleib in der Regierung eine 5000-Euro-Pension …
Lindner: Dazu will ich nichts sagen.
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Blicken wir nach vorne: Wie hat sich die Mitgliederzahl der FDP in der vergangenen Woche entwickelt?
Lindner: Wir nehmen vermutlich bald das 2000. Neumitglied auf …
… und wie viele Liberale sind aus der Partei ausgetreten?
Lindner: Ich weiß von etwa 200 oder 300.
Sie haben im Bundestag gesagt: „Unser Land muss jetzt in die Mitte geführt werden.“ Glauben Sie, dass es noch eine bürgerliche Mehrheit gibt?
Lindner: Wir haben in allen Umfragen eine Mitte-Rechts-Mehrheit. Da wäre eine Mitte-Links-Regierung wie Schwarz-Grün kein guter Rat. Ich kämpfe jedenfalls für eine Regierung, die das Land in die Mitte rückt. Mitte heißt für mich mehr Vertrauen auf die Eigenverantwortung der Menschen, Respekt vor ihren freien Entscheidungen, das Eintreten für Eigentum und ein Staat, der die Menschen bei den großen Lebensrisiken nicht im Stich lässt, aber im Alltag in Ruhe. Es müsste für Union und FDP eine gemeinsame Aufgabe sein, von der AfD erreichbare Wähler für die Mitte zurückzugewinnen. Anders gesagt, wer die AfD wählt, der erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen regieren.
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Das heißt, Sie umwerben im Wahlkampf gezielt das Publikum der AfD?
Lindner: Das ist zu viel gesagt. Aber ich unterscheide zwischen der Partei und ihren Funktionären und deren Wählern. Deshalb gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass man von der AfD Stimmen zurückgewinnen kann. Unter deren Wählerinnen und Wählern sind Menschen, die eine andere Politik wollen, aber kein anderes System. Die regen sich auf, dass es Gendersternchen gibt und eine von ihnen als linksgrün empfundene Medienöffentlichkeit, während bei Migration, Bürokratismus und Wirtschaft die Probleme nicht gelöst werden.
Gibt es eine Schnittmenge zwischen FDP und AfD?
Lindner: Das Gute im AfD-Programm ist von anderen abgeschrieben. Zum Beispiel die Abschaffung des Solidaritätszuschlags von der FDP. Was aber die AfD exklusiv vertritt, wie den Austritt Deutschlands aus der EU, das wäre fatal für unser Land.
Welchen Ampel-Vorhaben wollen Sie noch zustimmen?
Lindner: Das Gesetz zur Beseitigung der kalten Progression habe ich erkämpft, daher würde mir hier die Zustimmung nicht schwerfallen.
Sie hatten sich mit Hubertus Heil auf eine große Reform der Rente geeinigt. Das Rentenniveau wird auf 48 Prozent festgeschrieben, im Gegenzug erhalten Sie den Einstieg ins Generationenkapital, also eine Art Aktienrente. Ist die Zustimmung zum Rentenpaket jetzt undenkbar?
Lindner: Das Paket war ja noch größer. Zu den Vorhaben der Bundesregierung gehörte vor allem mein Altersvorsorgedepot, das ja sehr gelobt wurde. Das wäre die Revolution der privaten Altersvorsorge, weil alle direkt in ETFs oder Aktien mit staatlicher Förderung investieren könnten. Mein Gesetzesentwurf ist fertig, aber ich rechne nicht damit, dass mein sozialdemokratischer Nachfolger ihn in den Bundestag einbringt. Den nehme ich also mit in den Wahlkampf. In einer nächsten Regierungsbeteiligung der FDP wäre das eines der ersten Projekte.
Muss Ihrer Ansicht nach das Renteneintrittsalter erhöht werden?
Lindner: Wir sollten die Perspektive umdrehen. Ich bin für eine Individualisierung des Renteneintrittsalters. Sobald man über 60 Jahre alt ist und Ansprüche oberhalb der Grundsicherung erworben hat, entscheidet man selbst, wann man in den Ruhestand eintritt. Ganz individuell versicherungsmathematisch wird dann die Rentenhöhe ausgerechnet. Wer länger bleibt, hat mehr.
„Friedrich Merz nähert die CDU nur an Schwarz-Rot und Schwarz-Grün an. Das wäre aber eine ,Ampel light‘.“
Sie sind mit dem Festhalten an der Schuldenbremse untergegangen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schuldenbremse unter einem Kanzler Merz fällt?
Lindner: Ich bin nicht untergegangen, sondern ich habe wegen meiner Überzeugung mein Staatsamt verloren. Daran kann man sehen, dass mir die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wichtig ist. Wir müssen Deutschland modernisieren und investieren, aber eben nicht überwiegend zulasten der jungen Generation. Ich bedauere, dass es in der CDU dazu Lockerungsübungen gibt. Friedrich Merz wird seine ökonomischen Grundüberzeugungen nicht über Nacht geändert habe. Er nähert die CDU nur an Schwarz-Rot und Schwarz-Grün an. Das wäre aber „Ampel light“. Dabei brauchen wir einen Politikwechsel.
Wie will es die FDP wieder in den Bundestag schaffen?
Lindner: Wir wollen nicht nur in den Bundestag, wir bewerben uns um Regierungsverantwortung. Die FDP ist die Partei, die auf den einzelnen Menschen setzt und ihn stärken will, etwa durch Bildung, und die ihn schützen will vor Bevormundung und finanzieller Überforderung. Man traut uns auch zu, dass wir die Wirtschaft in Fahrt bringen können. Die FDP ist zudem eine moderne Partei. Darunter verstehen wir aber nicht, überall einen Genderstern zu machen. Für uns gehören zu einer modernen Gesellschaft wie in anderen EU-Staaten beispielsweise die Öffnung für die Leihmutterschaft oder die Eizellenspende, um unerfüllte Kinderwünsche zu erfüllen. Dieses Profil, also freisinnig, marktwirtschaftlich und gesellschaftlich modern, haben nur wir.
Wer kommt dann als Koalitionspartner infrage? Mit wem könnten Sie richtig regieren – und mit wem nur falsch?
Lindner: Die FDP ist im Prinzip mit allen Parteien des demokratischen Zentrums koalitionsfähig. Mehr kann man sagen, wenn wir die Wahlprogramme kennen. Nur AfD oder BSW sind prinzipiell ausgeschlossen.
Das heißt, es könnte eine neue Ampel geben?
Lindner: Nein, das passte ja nicht.
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Wäre das Ende der Regierung nicht auch der richtige Moment gewesen für eine persönliche Auszeit?
Lindner: Machen Sie mich nicht zu Methusalem! Ich bin erst 45 Jahre. Ich habe noch viel vor. Ich vertrete ja mein eigenes Lebensgefühl in der Politik, wenn ich für die Freiheit, das Aufstiegsversprechen, die Freude an Leistung und Technologie eintrete. Würde ich weichen, dann hätten auch die ganzen linken Trolle nichts mehr zu tun, die mich in Social Media als kapitalistisches Feindbild brauchen und mit Spott begleiten.
Von Ihnen stammt die Aussage: „Liebe, Familie, Freundschaft: Das ist der größte Reichtum.“ Kann man das auch als Minister so genießen?
Lindner: Nein, Minister ist eine großartige Aufgabe, die aber einen Preis verlangt. Es ist kaum möglich, neben dem Ministeramt die eigene Familie, Freundschaften und private Vorlieben so zu pflegen, wie ich mir das wünsche. Das ist also nichts für Jahrzehnte. Aber in der jetzigen Lebensphase ist noch mit mir zu rechnen.
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