Jerusalem. Nicht nur Israel arbeitet im Nahost-Krieg mit Geheimdiensten. Auch der Iran wirbt zunehmend Spione an. Was das geheime Wissen bringt.
Mit wenigen Handgriffen verdienten sie Tausende Euro, und sie hatten die verlockende Aussicht auf noch viel mehr Geld: Dutzende Israelis ließen sich für iranische Agenten als Spione anwerben. Nun ist der israelische Inlandsgeheimdienst mindestens zwanzig von ihnen auf die Spur gekommen, sie wurden festgenommen. Sollten sie wegen Kollaboration mit dem Feind im Krieg verurteilt werden, müssen sie hohe Haftstrafen befürchten – bis hin zu lebenslangem Arrest. In den nächsten Wochen könnte es noch weitere Festnahmen geben. Die Ermittler hoffen, im Lauf der Verhöre sachdienliche Tipps für weitere Mitglieder der Spionagenetzwerke zu erhalten.
In Israel erregt es besonders großes Aufsehen, wenn Bürger Sicherheitsgeheimnisse ausplaudern, die die Existenz des eigenen Staates gefährden könnten. Das Bewusstsein, dass Juden und Jüdinnen nur einen einzigen Staat auf der Welt haben, in dem sie sicher sind, festigt den Zusammenhalt. Lange war man daher der Meinung, dass Israelis tendenziell immun sind gegenüber der Verlockung, für hohe Geldsummen mit dem Feind zu kollaborieren – noch dazu, wenn es um das iranische Regime geht, dessen Ziel es ist, Israel von der Landkarte zu radieren.
Israel: Diese Ziele sollten die Agenten ausspionieren
Doch die Zeiten haben sich geändert. Wie zahlreiche Umfragen zeigten, ist der Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich schwächer geworden. Am Höhepunkt der Verfassungskrise im Jahr 2022 sprach der Inlandsgeheimdienst sogar davon, dass die Spaltung der israelischen Gesellschaft das größte Sicherheitsrisiko des Landes sei. Diese innerisraelischen Konflikte könnten von Israels Feinden ausgenutzt werden, warnten die Sicherheitsexperten. Und sie hatten recht.
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Nicht nur Israel hat in den vergangenen zwanzig Jahren seine Geheimdienstarbeit professionalisiert und kann erstaunliche Erfolge vorweisen – etwa die zeitgleichen Explosionen Tausender Funkempfänger im Libanon im September, oder die gezielte Tötung der obersten Führer von Hisbollah und Hamas.
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Auch der Iran hat dazugelernt. Und in diesem Krieg zeigt sich, dass das Regime es versteht, seine Fortschritte in militärische Erfolge umzusetzen.
Die Spione bekamen von ihren Agenten, die zum Teil von der Türkei und von Aserbaidschan aus operierten, Auftragslisten mit sensiblen Zielen, die sie auskundschaften sollten. Dabei handelte es sich um Militärbasen, die Wohnsitze hochrangiger Politiker und Generäle, aber auch um Familienangehörige wichtiger Personen in Israel. Alle Informationen und Fotos wurden verschlüsselt an die Agenten übertragen. Dafür gab es Tausende Schekel als Belohnung.
Das Haus von Netanjahu stand auch auf der Liste möglicher Ziele
Eines der Ziele, die ausspioniert werden sollten, war das Privathaus der Familie Netanjahu in Caesarea. Israels Ministerpräsident und seine Frau Sara ziehen sich vor allem am Wochenende und an Feiertagen an das Haus an der Mittelmeerküste zurück. Am 19. Oktober wurde das Haus von einer Kamikazedrohne getroffen. Die Netanjahus waren zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht vor Ort, niemand wurde verletzt. Direkt nach dem Angriff sprach die Armee nur von einem „Einschlag in Caesarea“, Details standen unter Zensur. Erst mehrere Stunden später war von einem versuchten Mordanschlag auf Netanjahu die Rede – der erfolgreiche Einschlag war erst einige Tage danach zur Veröffentlichung freigegeben. Die strenge Zensur zeigt, wie sensibel das Thema für Israels Sicherheitsapparat ist. Auch nach dem letzten iranischen Angriff auf Israel wurden die entstandenen Schäden an Israels Luftwaffenbasen zuerst geheim gehalten und danach kleingeredet.
Netavim im Süden Israels und Ramat David im Norden wurden mit Dutzenden ballistischen Raketen angegriffen, beide Luftwaffenbasen hatten auch auf den Target-Listen der Spione gestanden. Ein weiterer Ort, der den Spionen zum Auskundschaften vorgegeben war, war die Golani-Basis in Binyamina – jene Basis, auf der sich der verheerende Einschlag in einen Speisesaal ereignete, bei dem am 13. Oktober vier 19-jährige Soldaten getötet und Dutzende weitere teils schwer verletzt wurden.
Nahost-Krieg: Wofür der Iran das Wissen der Spione nutzt
Der Iran verknüpft das gesammelte Geheimdienstwissen mit Angriffstechniken, die es schaffen, Israels ausgeklügelte Luftraumabwehr zu überfordern: Die Drohnen der Hisbollah sind zu klein und wendig, um von Israels Luftwaffe ähnlich effektiv abgewehrt zu werden, wie das bei Raketenangriffen gelingt.
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Nun ist zu befürchten, dass nach Israels Ministerpräsident auch weitere hochrangige Persönlichkeiten aus Politik und Militär ins Visier solcher iranischen Drohnenangriffe geraten. Aus den Auftragslisten der Spione geht hervor, dass es der Iran unter anderem auf den Bürgermeister einer Stadt im Zentrum Israels, einen Nuklearwissenschaftler des Weizmann-Instituts sowie den ehemaligen Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad abgesehen hatte.
Schon im Vorjahr war durch eine Meldung des Inlandsgeheimdiensts Shin Beit bekannt geworden, dass der Iran seine Anstrengungen, in der israelischen Gesellschaft nach Spionen zu fischen, intensiviert. Die iranischen Agenten nutzen diverse Social-Media-Plattformen, um Kollaborateure zu rekrutieren. Nicht immer wussten die Spione, was sie tun: Die Agenten verschleierten ihre Identität und trugen den Israelis auf, bestimmte Orte, Szenen oder Personen zu fotografieren und das Foto gegen Bezahlung eines Geldbetrags zu übermitteln. In den Fällen der nun festgenommenen Spione soll hingegen klar gewesen sein, dass die Informationen dem Iran zugutekommen.
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