Berlin. Neue Berichte zeigen nicht nur die technische Raffinesse der folgendenschweren Attacke. Sie rekonstruieren auch das Täuschungsmanöver des Mossad.

Die Pager geben einen Piepton – als ob sie eine Nachricht anzeigen. Doch urplötzlich explodieren Mitte September die Kommunikationsgeräte der Hisbollah-Kämpfer im Libanon, reißen 39 Menschen in den Tod. Verletzt werden gut 3000 Terroristen und Zivilisten. Schnell ist klar: Bei der zeitgleichen Explosion kann es sich nicht um einen Zufall handeln. Die Aktion wurde über Jahre hinweg vorbereitet. Doch wie konnte der mutmaßliche Geheimdienst-Coup gelingen?

Es gehört zum guten Ton, dass die Dienste ihre Geheimoperationen nicht offiziell bestätigen, geschweige denn Details zu ihren Aktionen preisgeben. Doch der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad hat die Planung der Detonation von Pagern und Walkie-Talkies auch nie dementiert. Am Tag nach den Anschlägen lobte der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant die „sehr beeindruckenden“ Ergebnisse des Auslandsgeheimdienstes, was als ein inoffizielles Eingeständnis gewertet werden kann.

Libanon bezichtigt Israel des "Terrorismus"

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    Zahlreiche Berichte belegen nun einen Monat nach dem folgenreichen Anschlag, wie der die primitiven Geräte – bestehend aus kaum mehr als ein paar Kabeln, einem Plastikgehäuse und Batterien – so präzise zu einer tödlichen Waffe werden konnten. Bereits wenige Tage nach dem Anschlag wurde bekannt, dass die Hisbollah die Pager vom Typ AR924 erst seit Februar an ihre Mitglieder verteilt hatte. Die Walkie-Talkies, die einen Tag später explodierten, waren einem Bericht der „Washington Post“ zufolge hingegen schon seit 2015 im Einsatz – und hätten Israel in Echtzeit Informationen aus der Organisation geliefert. 

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    Pager-Explosion: Auslandsgeheimdienst Mossad soll Geräte entwickelt haben

    Die Zeitung berichtet unter Berufung auf ungenannte israelische, arabische und US-Sicherheitsdienste, dass die Geräte vom israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad entwickelt und heimlich in Israel hergestellt wurden. Die Hisbollah habe die Pager von der Mitarbeiterin einer taiwanesischen Firma gekauft, die nicht wusste, dass die Geräte tatsächlich aus Israel stammten und mit Sprengstoff präpariert waren. Die Spur führte zunächst zu einem ungarischen Subunternehmer, dessen Webseite kurz nach dem Anschlag auf wundersame Weise offline ging.

    Nahostkonflikt - Verletzte bei Explosionen im Libanon
    Chaos im Libanon: Nach der Pager-Explosion Mitte September starben 39 Menschen. © DPA Images | Hassan Ammar

    Das entscheidende Bauteil der Pager sind die Batterien, deren explosiver Inhalt wohl die Detonation der kleinen Kommunikationsgeräte auslöste. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf eine nicht namentlich genannte libanesische Quelle, dass jeweils sechs Gramm des weißen Plastiksprengstoffs Nitropenta zwischen zwei rechteckige Batteriequellen gequetscht wurde. Reuters liegen Fotos vor, die diese These bestätigen sollen.

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    Pager Explosion: So war sie technisch möglich

    Ausgelöst wurde die Detonation dem Bericht zufolge von einem leicht entflammbaren Material, das im Bereich der Batterie neben dem Sprengstoff positioniert wurde. Ein Funke genügte, um das Material und im Anschluss den Sprengstoff zu zünden.

    Der Vorteil des Sprengstoffs und des Zünders: Beide enthielten dem Bericht zufolge keine metallischen Bestandteile, sodass die Hisbollah-Kämpfer auch nach dem Röntgen der neu gelieferten Scanner keinen Verdacht schöpften. Mitnichten ist es so, dass die Terrormiliz die Pager ohne nötige Vorsicht einkauften, wie eine Reuters-Recherche zeigt.

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    Geringe Batteriekapazität machte Terroristen stutzig

    Die Terrormiliz schien bei der Beschaffung eine Vorahnung gehabt zu haben. Denn die Hisbollah schickte die neuen Geräte zunächst durch die Röntgenscanner am Flughafen, die aber wohl nicht anschlugen. Nur die geringe Akkukapazität machte die Terroristen zwar stutzig, schien sie jedoch nicht von der Nutzung der Pager abzuhalten.

    Auch die Beschaffung weckte bei den Terroristen kein Misstrauen. Ein anonymer Ex-Agent sagte gegenüber Reuters, dass die Hisbollah ein strenges Beschaffungsverfahren für neue Gerätschaften hat. Der Mossad musste also ein großangelegtes Täuschungsmanöver vorbereiten, um die wahre Herkunft der Pager-Batterien zu verschleiern. Denn kaum verwunderlich: Die präparierten Batterien des Typs LI-BT783 waren auf dem Markt zuvor nicht erhältlich.

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    Bericht: Dieses Täuschungsmanöver inszenierte der Mossad

    Eine Legende musste her: „Man will sicherstellen, dass sie etwas finden, wenn sie suchen“, sagte der ehemalige Spion gegenüber Reuters. „Nichts zu finden, ist nicht gut.“ Und so brachte der israelische Geheimdienst das Pager-Modell AR-924 mit den präparierten Batterien LI-BT783 über die taiwanesische Firma Gold Apollo in Umlauf. Am Tag nach der Detonation sagte der Vorstandsvorsitzende, dass ihm die tödliche Wirkung des Modells nicht bekannt gewesen sei. AR-924 wurde demnach als Lizenzprodukt von Gold Apollo auf einer Webseite angeboten, wie eine Überprüfung von Internetarchiven und der Metadaten durch Reuters zeigt.

    Gepaart mit zwei Batterieläden, die seit Ende 2023 online gingen, und womöglich fingierten Kommentarbeiträgen, die den Akku LI-BT783 anpriesen, schien das Täuschungsmanöver komplett, sagten ehemalige israelische Geheimdienstmitarbeiter und zwei westliche Sicherheitsbeamte gegenüber Reuters. Die Nachrichtenagentur zitiert aus Ermittlungen der Hisbollah selbst, dass ein Verkäufer schließlich so lange den Preis reduzierte, bis die Terroristen von den explosiven Geräten überzeugt waren.

    mit dpa/lro