Bethlehem. Der Nahe Osten versinkt in Gewalt. Eine Israelin und eine Palästinenserin geben die Hoffnung auf Frieden nicht auf. Was ihnen Mut macht.
„Wie in den Computerspielen, die mein Bruder spielt.“ So hat Rana Salman die ersten Nachrichten vom 7. Oktober 2023 wahrgenommen. „Diese Bilder von Palästinensern aus Gaza, die die israelische Blockade einfach überfliegen. Ich konnte nicht aufhören, sie anzuschauen.“ Rana sitzt an einem Tisch in einem schlicht eingerichteten Büro nahe Bethlehem im Westjordanland. Sie erzählt von der Freude, die viele Palästinenser empfanden, als die Nachricht vom 7. Oktober kam. Gegenüber von ihr sitzt Eszter Koranyi. Die jüdische Israelin hört still zu, als Rana erzählt. Sie kennt ihn bereits, diesen völlig anderen Blick auf den Horror, der Israel binnen wenigen Stunden zu einem anderen Land gemacht hat. Inzwischen kann Eszter damit umgehen. Leicht sei es aber immer noch nicht.
Eszter und Rana stehen an der Spitze der israelisch-palästinensischen Friedensorganisation Combatants for Peace. Seit mehreren Jahren engagieren sie sich gemeinsam für Dialog, für das Durchbrechen der ewigen Gewaltzyklen. Und dann kam der 7. Oktober.
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„Da erlebte ich zum ersten Mal, dass jemand die Verbrechen des 7. Oktober leugnete“
Eszter war an jenem Samstagmorgen in Tel Aviv, als die Sirenen gar nicht mehr aufhörten zu heulen, und damit beschäftigt, ihre beiden kleinen Kinder zu beruhigen, als sich mehrere junge Israelis aus dem Umfeld ihrer NGO bei ihr meldeten. „Sie waren schockiert, weil ihre palästinensischen Freunde so gar nicht besorgt oder traurig waren, nach allem was passiert ist.“ Auch Eszter selbst war entsetzt, als sie am Tag danach zu einem Treffen der NGO ging. „Da erlebte ich zum ersten Mal, dass jemand die Verbrechen des 7. Oktober leugnete“ – die Vergewaltigungen, die Folter. „Das war sehr, sehr schwierig für viele von uns.“
Trotzdem sitzt die Israelin heute in Bethlehem an einem Tisch mit Rana. Und Rana, die als Palästinenserin im Westjordanland erlebt, dass Israels Armee auch hier fast täglich Luftschläge vornimmt und radikale israelische Siedler in palästinensischen Dörfern brandschatzen – auch sie glaubt weiter an einen gemeinsamen Kampf mit den Israelis.
Das war aber nicht immer so.
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Nach dem 7. Oktober brachen auch bei den Friedensaktivisten Konflikte aus
Rana ist nur wenige Kilometer entfernt von Jerusalem aufgewachsen. Trotzdem war es ausgerechnet in Europa, dass sie zum ersten Mal mit Israelis sprach. Auf einem Outdoor-Camp in Kroatien verbrachte sie viel Zeit mit israelischen Frauen. „Wir schliefen im Freien, machten Feuer, suchten nach Quellwasser.“ Nach der Rückkehr blieben sie in Kontakt. „Sie besuchten mich in Bethlehem, um das Leben unter Besatzung zu sehen. Ich besuchte sie in ihren Häusern.“ Die Freundschaft wurde für sie zu „einer Erfahrung, die mich von Grund auf veränderte“.
Einige Jahre später begann sich Rana bei den Combatants for Peace zu engagieren. Dort lernte sie Eszter kennen.
Unter den Aktivistinnen waren die Konflikte nach dem 7. Oktober anfangs scheinbar unüberbrückbar. Es brauchte Zeit, um auch die andere Seite hören zu können. „Heute wissen wir, dass die arabischen Medien diese Geschichte ja ganz anders erzählen, als wir sie kennen“, sagt Eszter. „Aber so kurz danach war das sehr belastend, der Schock war ja so frisch.“
Der 7. Oktober durchbrach die eingeübten Rollenmuster
In arabischen Medien werden die Gräuel des 7. Oktober oft als israelische Erfindung dargestellt. „Wir wussten anfangs nichts von der Gewalt, von dem Massaker am Festival“, erklärt Rana. „Die Medien haben das ja vor allem als Befreiungsaktion für Palästinenser dargestellt.“ Erst durch Tiktok-Beiträge habe sie das wahre Ausmaß der Gewalt erfasst. „Das war schockierend und auch beschämend, weil es der palästinensischen Sache nicht hilft – das ist nicht die Art von Freiheit, die wir erlangen wollen, und nicht auf diese Weise“.
Dass es vielen Palästinensern schwerfiel, Mitgefühl mit den Israelis zu zeigen, erklärt sich Rana nicht mit Hass oder Antisemitismus, sondern mit eingeübten Rollenmustern. „Plötzlich hat sich alles umgedreht. Auf einmal waren sie nicht mehr die Opfer. Sie waren es nicht gewohnt, in dieser ganz anderen Position zu sein – der Position des Stärkeren.“
Beide Aktivistinnen werden von der eigenen Seite angefeindet
Mit dem Fortschreiten des Krieges und der rasant ansteigenden Opferzahl in Gaza waren es dann die Palästinenser, die von den Israelis Empathie erwarteten. Einige der Mitglieder der NGO, die im Westjordanland leben, haben Angehörige in Gaza. „Vor jedem Telefonat bin ich nervös“, sagt Eszter. „Weil es immer sein kann, dass es traurige Nachrichten gibt.“
Beide Aktivistinnen kennen das Gefühl, von der jeweils eigenen Seite angefeindet zu werden. Rana hört oft den Vorwurf der „Normalisierung“, des Kollaborierens mit dem Besatzer. Von israelischer Seite kommt der Vorwurf des Verrats, des Kooperierens mit dem Feind. Was Rana und Eszter antreibt, sind die gemeinsamen Ideale. „Wir Palästinenser gehen nicht weg, und auch die Israelis gehen nirgendwohin“, sagt Rana. „Also müssen wir einen Weg finden, zusammenzuleben und dafür zu kämpfen, dass beide Gesellschaften in Sicherheit, Würde und Gerechtigkeit leben können.“
So utopisch das klingt: Ausgerechnet im Krieg scheinen sich mehr Menschen von dieser Erzählung angesprochen zu fühlen. Eine Crowdfunding-Aktion in Israel brachte so viele Spenden wie nie zuvor. Und auf palästinensischer Seite gebe es vor allem unter den Jungen viele neue Mitglieder, erzählt Rana. „Es hat mich überrascht, das zu sehen – schließlich lesen wir in den Statistiken immer vom starken Zulauf für die Hamas. Aber an der Basis spüren wir, dass sich etwas tut.“
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
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