San Francisco/Washington. Wie viel Rücksicht nimmt Israel noch auf den US-Präsidenten? Ein kompromissloser Vergeltungsschlag gegen den Iran käme für Biden ungelegen.
Auch gegenüber ihrem engsten Partner spielen die Israelis die Karten manchmal eng an der Brust. So haben die USA lange Zeit nicht gewusst, wie ein Vergeltungsschlag gegen den Iran ausfallen wird. Er könnte unmittelbar bevorstehen. Nach einem amerikanischen Medienbericht soll Israels Sicherheitskabinett noch heute darüber beraten.
Eine Reaktion auf den jüngsten iranischen Raketenangriff gilt als beschlossene Sache. Im April – in einer vergleichbaren Situation – hatten sich die Israelis freilich überreden lassen, nur einen weitgehenden symbolischen Angriff durchzuführen, damals ein Schlag gegen die Luftabwehr.
Netanjahu hat seine eigene Agenda
Auch diesmal wollen die USA (mit)entscheiden, vor allem über „Wo“ und „Wie“, also über die konkreten Ziele. Ihr Präsident Joe Biden hat ausdrücklich von Angriffen auf Irans Atomanlagen oder Ölfelder abgeraten.
Die Alternative wären Schläge gegen das iranische Militär und die Revolutionsgarden. Aber Israel verfolgt womöglich andere Pläne – eine Neuordnung der Region – und strebt mit einem Schlag gegen den Iran eine Vormachtstellung an.
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Es wäre nicht der erste Alleingang. In der US-Regierung herrscht Frust. Mehrfach hat Israel sie mit Militäraktionen überrascht. Biden setzt sich für eine Waffenruhe und für eine Politik der Deeskalation im Nahost-Konflikt ein. Seine Unterhändler haben laut „New York Times“ nicht den Eindruck, dass Netanjahu ein Abkommen mit der Hamas im Gazastreifen oder mit der Hisbollah im Libanon tatsächlich anstrebt.
Ein Waffenstillstand und eine Geiselfreilassung würden Bidens Präsidentschaft abrunden. Überdies würde ein solcher Erfolg den Demokraten im Wahlkampf helfen.
Differenzen mit langer Vorgeschichte
Es ist unklar, ob sich Biden und Israels Premier Benjamin Netanjahu bei einem Telefongespräch am Mittwoch über das weitere Vorgehen geeinigt haben. Ein Hinweis darauf wäre, dass Netanjahu danach umgehend sein Sicherheitskabinett einberufen wollte.
Das Verhältnis zwischen den beiden Männern gilt als schwierig. Netanjahu lässt Biden spüren, dass seine Amtszeit ausläuft und dass er bald ein „Has-Been“ sein wird; also kein Machtfaktor mehr sein wird.
Umgekehrt redet Biden Differenzen nicht länger diplomatisch schön. Darauf angesprochen, ob Netanjahu bei der US-Wahl für Donald Trump sei, antwortete Biden: „Ob er versucht, die Wahl zu beeinflussen, weiß ich nicht, aber ich verlasse mich nicht darauf.“
Israel ist auf amerikanischen Waffen angewiesen
Vize-Präsidentin und Spitzenkandidatin Kamala Harris wollte zuletzt in einem Interview Netanjahu partout nicht als engen Verbündeten einstufen. Für eine Frau, die gern im Ungefähren bleibt, trat das Misstrauen ungewöhnlich offen zu Tage.
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Die USA sind der wichtigste Verbündete und größter Waffenlieferant Israels. „Keine Regierung hat Israel mehr geholfen als ich. Keine. Keine“, betonte Biden vor Journalisten. „Und ich denke, Bibi sollte sich daran erinnern.“
USA reden lieber mit dem Verteidigungsminister
Die Differenzen reichen weit zurück, wie das neue Enthüllungs-Buch „War“ von Pulitzer-Preisträger Bob Woodward zeigt, das gerade mitten in den Konflikt platzt. Darin berichtet Woodward aus nächster Nähe über den Frust, den Biden seit Langem schiebt, seit Monaten.
Danach hat der US-Präsident den Premier wegen dessen Kriegsführung in Gaza intern als „Son of a Bitch“ und „verdammt schlechten Kerl“ bezeichnet. 18 von 19 Leuten, die für Netanjahu arbeiteten, seien Lügner. „Bibi“ denke einzig und allein an sein politisches Überleben, glaube Biden mit Blick auf seit Langem bestehende Bestechlichkeitsvorwürfe.
Biden schimpft über Netanjahu
Auf der Zielgeraden seiner Präsidentschaft, so schreibt es Woodward, habe Biden aufgehört, Netanjahu für bare Münze zu nehmen. Als der Premier erklärte, dass die umstrittene Offensive gegen die radikal-islamische Hamas in Rafah im Süden des Gazastreifens „nur drei Wochen“ in Anspruch nehme, sei Biden wütend geworden: „Es wird Monate dauern.“
An anderer Stelle habe der Demokrat ihm vorgeworfen, gar keine Strategie im Kampf gegen die Hamas zu haben. Gegenüber seinen Berater soll Biden gesagt haben, Netanjahu sei die Hamas „scheißegal“, „nur er selbst“ sei ihm wichtig.
Spannungen auch in Netanjahus Kabinett
Als eine israelische Bombe Ismail Haniyeh, den politischen Führer der Hamas, während eines Besuchs im Iran tötete, habe Biden den Premierminister am Telefon angeschrien. „Bibi, was zum Teufel? Sie wissen, dass Israel weltweit zunehmend als Schurkenstaat, als Schurkenakteur wahrgenommen wird.”
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Wenn die Amerikaner richtig informiert werden wollen, klingen sie in Tel Aviv oder Jerusalem lieber bei Verteidigungsminister Yoav Gallant an. Er gilt als gemäßigt, abwägend und rücksichtsvoll gegenüber den Amerikanern. Er und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin haben sich im vergangenen Jahr Dutzende Male getroffen.
Bleiben Pläne für einen großen Schlag in der Schublade?
Dieser enge Draht wird Netanjahu suspekt. Es führte in dieser Woche zur skurrilen Situation, dass Gallant kurzfristig einen Flug zu seinem US-Amtskollegen in Washington absagen musste. Begründung: Erst wollte Netanjahu mit Biden telefonieren.
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Es gibt also nicht nur Spannungen zwischen beiden Regierungen, sondern auch zwischen Netanjahu und Gallant. Innerpolitisch kommt erschwerend hinzu, dass Gallant als künftiger Rivale um den Parteivorsitz gilt. Netanjahu ist auf der Hut.
Wer wem aus dem Weg geht, Biden dem Israeli oder umgekehrt, ist schwer zu beurteilen. Netanjahu sorgt sich offensichtlich, dass er umgangen wird. Abhängig ist er von den USA allein schon wegen der Waffen und sonstigen Rückendeckung, politisch wie militärisch. Die Pläne für einen großen Schlag sollten bis nach den US-Wahlen unter Verschluss bleiben. Allein, weiß man das bei Benjamin Netanjahu so genau? Biden fragt sich das auch.
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