San Francisco. Versöhnlich, vage, vorsichtig: Kamala Harris gibt seltsam nichtssagende Auskünfte. Sie erinnert an eine deutsche Konsenspolitikerin.

Ihrem Vize Tim Walz gab sie einen guten Rat: „Etwas vorsichtiger zu sein, wie er Dinge sagt.“ Darin kennt sich Kamala Harris aus. Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten geht selten aus der Deckung.

In der beliebten TV-Sendung „60 Minutes” von CBS wich sie fast allen innenpolitischen Fragen aus. Dieser Methode blieb sie in der Interview-Offensive der vergangenen Tage treu. Harris bleibt in der Sache oft im Ungefähren und ist im Still überwiegend versöhnlich, auch um die Gunst von Republikanern bemüht. Europäern, vor allem Deutschen, wird ihr Politikstil vertraut vorkommen: Sie ist konsensorientiert.

US-Wahl 2024: Kamala Harris will versöhnen statt spalten

In vielen Fragen hat sie im Laufe der Jahre ihre Positionen gewechselt, wie ein Chamäleon, das seine Farbe jeweils dem Umfeld anpasst. „Ich habe den Leuten zugehört und nach möglichen Gemeinsamkeiten gesucht“, verteidigt sie sich. „Ich glaube an Konsensbildung.“ Das hohe Lied auf den Kompromiss erinnert an das Amtsverständnis der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Kamala Harris will versöhnen statt spalten. Sie glaubt, dass eine Mehrheit der Amerikaner sich genau danach sehnt. Sie ist nicht nur formal, sondern tatsächlich der Gegenentwurf zum lauten und unlauten Donald Trump.

Gute Nachrichten für die Ukraine

Der Moderator der Sendung, Bill Whitaker, ließ wie zum Beweis die ehemalige republikanische Abgeordnete Liz Cheney zu Wort kommen. Sie will nach eignen Worten Harris unterstützen, weil Harris „den Rechtsstaat verteidigen wird“; und hätte es schon vor vier Jahren getan, wenn sie damals nur gewusst hätte, dass „unsere Verfassung in Gefahr sein würde“.

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Am klarsten ist Harris in der Außenpolitik. Anders als Trump will sie zum Beispiel nicht mit Kremlchef Wladimir Putin über die Ukraine verhandeln. „Die Ukraine muss bei der Zukunft der Ukraine ein Mitspracherecht haben.“ Trump dagegen wolle die Kapitulation.

Als Whitaker nachfragt, ob sie eine NATO-Ausweitung um die Ukraine unterstützen würde, gibt sie eine Antwort, die sie mehrfach und in vielen anderen kritischen Punkten variieren wird: Damit werde sie sich befassen, „wenn und falls es so weit kommt“.

Differenzen zu Netanjahu

Die „Nichts-genaues-weiß-man-nicht-Antwort“ wiederholt sie beim Thema Iran. Sie würde als Präsidentin verhindern wollen, dass das Mullah-Regime befähigt werde, eine nukleare Bombe zu entwickeln. Aber als sie gefragt wird, was sie militärisch unternehmen würde, antwortet sie: siehe oben.

Bei der Frage, ob sie sicher sei, dass Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ein enger Verbündeter der USA sei, erwidert sie, sie sei sicher, dass das amerikanische und das israelische Volk eng verbündet seien.

Das war mal eine Antwort, die zumindest zwischen den Zeilen Differenzen offenlegte: Die Amerikaner wollen den Krieg im Nahen Osten beenden, eine Feuerpause für humanitäre Hilfe und eine Freilassung der Geiseln. Netanjahu hat seine eigene Agenda.

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Eine Antwort für die reale Welt

Es sind nicht die Themen, die den Durchschnittsamerikaner umtreiben. Der will eher wissen, wie Harris Zuwanderung begrenzen will. Sie antwortet banal, das sei ein „lang bestehendes Problem“. Whitaker will wissen, ob es Fehler der Regierung Biden/Harris gewesen sei, „die Einwanderungspolitik so weit zu lockern?“ Sie sagt, es gebe Lösungen, sie seien vom ersten Tag angeboten worden, „wir brauchen die Handlungsfähigkeit des Kongresses, um das Problem tatsächlich zu lösen“.

Schuldig bleibt sie auch eine Antwort auf die Frage, wie sie die versprochenen Steuersenkungen und sonstigen Wohltaten finanzieren will, unter anderem ein Kinderfreibetrag von 6000 Dollar für Familien mit Kindern unter einem Jahr. Sie verspricht, die Steuern für Spitzenverdiener zu erhöhen. Whitaker mahnt sarkastisch eine andere Antwort an: „Wir haben es hier mit der realen Welt zu tun.“

Eine Antwort bleibt sie immerhin nicht schuldig. Was sie für eine Waffe habe? Sie besitze seit langer Zeit eine Pistole des Typs „Glock“. Ob sie damit schon gefeuert habe? „Natürlich, auf dem Schießübungsplatz.“ Das war mal eine Antwort der Kategorie „reale Welt“.