Washington. Im TV-Duell lässt der Vize-Kandidat seinen „Boss“ humaner erscheinen. Trump aber redet von Weltkrieg und Untergang der USA. Eine Analyse.
You can‘t put lipstick on a pig, sagt der amerikanische Volksmund. Du kannst ein Schwein nicht schminken. Genau das hat J.D. Vance in der TV-Debatte gegen seinen demokratischen Widersacher Tim Walz 100 Minuten lang versucht. Eine Veranstaltung, die wegen ihrer selten zivilisierten, zwischendurch sogar beinahe männerfreundschaftlichen Tonlage als lang ersehnte Abwechslung zum destruktiven Gekeife à la Donald Trump gewertet wurde.
Vance‘ rhetorische Verrenkung, sich und vor allem seinen Herrn und Meister humaner und gar-nicht-so-schlimm-wie-viele-denken erscheinen zu lassen, war der rote Faden, der den Ein-Mann-Polit-Zirkus aus Ohio ihm zusammenhielt.
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TV-Duell vor US-Wahl: Vance lügt völlig unbeschwert
Schaut man auf die Haltungsnoten, die nach der im Kern herzlichen unwichtigen Veranstaltung (Amerika wählt einen Präsidenten, keinen Vize-Präsidenten) von manchen Kommentatoren vergeben wurden, muss der sprachlich wendige Yale-Absolvent einen ordentlichen Job gemacht haben.
Was daran lag, dass weder Tim Walz noch die Moderatorinnen den Versuch unternahmen, das lange Sündenregister Trumps zu erörtern. In einer vital-gesunden Demokratie wäre es wohl ausgeschlossen, dass jemand wie der verurteilte Straftäter-Staatsumstürzler-Hütchenspieler-Lügenbaron-und-Möchtergern-Autokrat Trump nach 2017 noch einmal in die engere Auswahl für das Weiße Haus gelangen kann.
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Stattdessen wurde unter Umgehung der Wirklichkeit weichgezeichnet und geschichtsgeklittert, dass es beinahe weh tat. Vance, man muss es so sagen, lügt so unbeschwert wie er atmet; aber er kann dabei leutselig aus blauen Augen lächeln.
Etwa bei der absurden Behauptung, Amerikas Schusswaffen-Gewalt-Elend sei mexikanischen Ursprungs. Oder bei der von Trump geborenen Unwahrheit, 25 Millionen illegale Einwanderer (es sind knapp elf Mio.) hätten die Krise auf dem Wohnungsmarkt zu verantworten.
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Vance zum Streitthema Abtreibung: Man wolle „es Müttern leichter machen, Babys zu bekommen“
Beim Streitthema Abtreibung, wo Trump und Vance von mehrheitsfeindlichen Extrem-Positionen (Verbot von Schwangerschaftsbabbrüchen) zu Fristen-Regelungen schon so ziemlich alles im Angebot hatten, kleidete Vance das Bemühen des 78-Jährigen in den Satz, man wolle „es Müttern leichter machen, Babys zu bekommen“. Wie bitte? Mütter in Amerika sterben im Jahr 2024 auf erbärmliche Weise, weil der Trump mehrheitlich ergebene Supreme Court einen bundesstaatlichen Flickenteppich erzeugt hat, wo „abortion“ entweder radikal (meist für die behandelnden Ärzte) unter Strafe gestellt oder liberal erlaubt ist.
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Beim Dauerbrenner Krankenversicherung tat Vance allen Ernstes so, als sei Trump der Schutzpatron des von seinem Vor-Vor-Gänger Barack Obama gegen viele Widerstände durchgesetzten „Obamacare”-Modells, das Millionen Amerikanern zum ersten Mal eine bezahlbar und verlässliche Versorgung im Krankheitsfall beschert hat und entsprechend beliebt ist.
Dass Trump in seiner Amtszeit ab 2017 alles versucht hat, das Gesetz zu sabotieren und aus intellektueller Faulheit nur davon abließ, weil ihm bis heute keine bezahlbare und politisch durchsetzungsfähige Alternative eingefallen ist (nur „das Konzept eines Plans”), fiel ebenfalls unter den Tisch.
Vance hat seine Seele an einen Verbrecher verkauft
Wie J.D. Vance Trumps staatszersetzendes Verhalten vor und nach dem 6. Januar 2021 (Sturm aufs Kapitol) in den Satz verschachtelte, Trump habe den Machtwechsel hin zu Joe Biden 2020 doch anstandslos gewährleistet und damals lediglich „friedlich” über Zweifel an der Integrität der Wahl habe diskutieren wollen, war der Mount Everest der Tatsachen-Umkehr.
Auf hunderten Seiten in den Akten mehrerer Strafprozesse gegen Trump wegen Verschwörung und versuchter Wahl-Manipulation ist das Gegenteil zu lesen. Vance hat seine Seele an einen Verbrecher verkauft. Sich dazu zu bekennen, dass Trump die Wahl 2020 fair und mit Ass und König verloren hat, würde für ihn politisch die Todesstrafe bedeuten.
Aber geschenkt. Die Aktion „Reinwaschen”, der sich noch jeder Vize-Präsidentschaftskandidat in den USA unterzogen hat, weil es gewissermaßen zur Berufsbeschreibung gehört, sich für die Nr. 1 wenn nötig schmutzig zu machen, wäre vielleicht noch so eben durchgegangen. Wenn nicht Vance im normalen Kandidaten-Leben ein extremer, gegen Minderheiten hetzender „Kampfhund“ wäre, der dieselbe Tiraden vorträgt wie sein „Herrchen”; nur eben sprachlich drei Stockwerke eloquenter. Und wenn, was am wichtigsten ist, die Hauptperson nicht in einer völlig anderen Umlaufbahn rotieren würde.
Vance hat Trump mit seinem Auftritt keinen Gefallen getan
Während Vance krampfhaft Trump zu normalisieren versucht, wird der immer unnormaler und maßloser. Anders ist seine düstere, apokalyptische Erzählung von einer Welt, die ohne einen Wahlsieg für ihn bald im „nuklearen Holocaust“ enden werde und von einem Amerika, das aufhören werde zu existieren, weil es dank nachlässiger demokratischer Türsteher von mordbrennenden Einwanderern überrannt sei, nicht zu werten.
Vance‘ Mogelpackung über einen Trump, den es so nur fiktional gibt, mag den einen oder anderen unentschlossenen Wähler vielleicht in Versuchung bringen. Der große Rest wird den Betrug vor laufender Kamera erkannt haben und sich abwenden.
Dass Vance sehr gute Noten bekam (und sein eigenes ramponiertes Image aufbesserte), wird Trump zusätzlich fuchsen. Prognose: J.D. Vance hat Donald Trump mit seinem rosigen Rehabilitationsversuch am Ende keinen Gefallen getan. Der wahre Trump ist anders. You can‘t put lipstick on a pig.