Brüssel. Zwei weitere EU-Staaten wollen aus der EU-Migrationspolitik aussteigen. Wie sie das begründen, was jetzt passiert und wie die EU reagiert.
Es sieht aus wie die Asylrevolte von Europas Rechtspopulisten. Erst meldet sich in den Niederlanden der rechtsradikale Islam-Gegner Geert Wilders, der nach seinem Wahlsieg vorigen November jetzt die Fäden in der neuen Regierungskoalition zieht: Die Niederlande hätten bei der EU-Kommission den Ausstieg aus den EU-Asylregeln beantragt, verkündet Wilders im Parlament in Den Haag. Dies sei „ein Mini-Nexit“, also eine Art kleiner Austritt seines Landes aus der EU. „Ein neuer Wind weht in den Niederlanden“, fügt Wilders hinzu. Wenig später erklärt in Ungarn Europaminister Janos Boka, auch sein Land wolle einen Ausstieg aus den EU-Asylregeln beantragen: „Gegen illegale Migration ist hartes Vorgehen notwendig.“
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Der Doppelschlag wirkt, als komme in der EU jetzt das gesamte Asylsystem ins Rutschen. Erst die von der CDU losgetretene Debatte in Deutschland über die umfassende Zurückweisung von Asylbewerbern, jetzt erste Reaktionen in den Niederlanden und Ungarn? Doch der Eindruck täuscht. In Deutschland wird es erst mal keine Zurückweisungsinitiative geben, und auch den Vorstößen aus Den Haag und Budapest fehlt offenkundig die Substanz. Denn: Kein Mitgliedsland kann einfach so aus der gemeinsam vereinbarten EU-Politik aussteigen.
Niederlande und Ungarn wollen aus dem EU-Asylsystem – doch so einfach ist das nicht
Ein solches Opt-out, erläutert ein Sprecher der EU-Kommission, sei nur durch eine Änderung der EU-Verträge möglich – dem müssten in der Regel alle 27 EU-Staaten zustimmen, was bisher nicht absehbar ist. Eine Ausnahme in der Migrationspolitik gilt nur für Dänemark, die hatte sich das Land einst als Bedingung für seine Zustimmung zu den EU-Verträgen ausdrücklich ausgehandelt. Die Niederlande und Ungarn aber seien weiter an die Regeln gebunden, stellt die Kommission klar. Der Sprecher sagt: „Wir erwarten keine unmittelbaren Änderungen an den EU-Vorschriften zu Asyl und Migration.“
So sehen es ja auch die Regierungen in Den Haag und Budapest. Wilders hat es gar nicht eilig. Schon zur Regierungsbildung im Mai versprach der Rechtspopulist „die strengste Asylpolitik, die wir jemals hatten“, und forderte die Einführung einer EU-Ausnahmeregelung für sein Land – allerdings räumte Wilders damals ein, dieser Schritt werde vermutlich Jahre brauchen.
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Ungarn ist de facto längst ausgestiegen
Vorsorglich hat die mehrheitlich proeuropäische Koalitionsregierung jetzt in ihrem Schreiben an die Brüsseler Kommission klargestellt, solange das Opt-out nicht zustande komme, würden die Niederlande weiter an der Umsetzung der erst im April beschlossenen europäischen Asylrechtsreform mitarbeiten. Innenpolitisch allerdings will die niederländische Regierung schnell und entschlossen handeln, etwa durch strengere Regeln für den Familiennachzug oder die Wiedereinführung von Grenzkontrollen. „Wir können den großen Zustrom von Migranten in unser Land nicht länger ertragen“, sagt Ministerpräsident Dick Schoof.
Der Fall Ungarn liegt anders. De facto ist die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán schon vor Jahren aus dem EU-Asylsystem ausgestiegen. Flüchtlingen wird der Zugang ins Land verwehrt, letztes Jahr registrierten die Behörden lediglich 30 Asylbewerber. „Unsere Vorschriften sind in der EU einzigartig“, hatte Orbán kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Asylanträge würden nur in Zentren außerhalb Ungarns geprüft. Migranten müssten sich zuerst an eine ungarische Botschaft wenden, zum Beispiel in Serbien. Nur wenn die ungarischen Behörden grünes Licht geben, „können Migranten einreisen“.
Immer wieder gibt es Strafzahlungen gegen Ungarn
Dass Ungarn mit diesen und anderen Methoden fortgesetzt gegen die EU-Asylregeln verstößt, hat der Europäische Gerichtshof wiederholt festgestellt, zuletzt wurde ein Bußgeld von 200 Millionen Euro verhängt. Wohl vor diesem Hintergrund gibt sich auch die Regierung in Budapest rechtstreu. Man wolle wie die Niederlande den Ausstieg aus der europäischen Asyl- und Migrationspolitik, „falls eine Änderung der EU-Verträge dies zulässt“, erklärt Europaminister Boka höflich.
Angesichts der Rechtslage ist nicht zu erwarten, dass weitere EU-Staaten dem Beispiel Ungarns und der Niederlande folgen wollen. Der politische Druck zur Reduzierung irregulärer Migration steigt aber: Beim nächsten EU-Gipfel Ende Oktober wird die Asylpolitik das Hauptthema sein. Die Staats- und Regierungschefs werden dann beraten, wie die EU-Staaten die Migrationskrise gemeinsam bewältigen können.
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