Berlin. Der CDU-Chef fordert die Zurückweisung von Asylbewerbern an deutschen Grenzen, doch sein Plan hat Tücken – und er gefährdet die Ampel.
Kommt es jetzt doch zu einer Lösung der Migrationskrise? Ampelkoalition und Union haben bei ihrem Gipfeltreffen den großen Krach vermieden, nächste Woche wollen sie weiterreden. Gut so. Deutschland bräuchte dringend einen neuen Anlauf zur Begrenzung der irregulären Migration. Der Druck ist groß, die Kommunen ächzen unter der Belastung. Koalition und Opposition tragen also eine große Verantwortung. Aber ob sie ihr gerecht werden?
CDU-Chef Merz pokert hoch, wenn er jetzt ultimativ auf eine radikale Wende pocht: Er fordert die Zurückweisung der irregulären Migranten an den deutschen Landgrenzen, was die Zahl der Asylbewerber drastisch reduzieren, aber umfassende Grenzkontrollen voraussetzen würde – und zu einem politischen Erdbeben in der EU führen dürfte. Taktisch ist das clever von Merz: Der Oppositionsführer hat nach dem Attentat von Solingen die Initiative übernommen und inszeniert sich als entschiedener Macher.
Aber was wird daraus? Schon der markige Merz-Vorwurf an den Kanzler, er habe die Kontrolle über das Land verloren, auch der künstliche Zeitdruck lassen Zweifel am Einigungswillen der Union zu.
Schließung der Grenzen würde politisch enormen Schaden anrichten
Rechtlich bewegt sich der Vorstoß in einer Grauzone. Auch Juristen irren durch das Dickicht deutscher und europäischer Gesetzesregelungen – die Union räumt selbst ein „Prozessrisiko“ ein. Für das Ausrufen einer Notlage, mit der Merz europäische Regeln zeitweise aushebeln möchte, dürfte Deutschland die Voraussetzungen nicht erfüllen. Aber gut: Dass hemdsärmelige Krisenmanager in großen Problemlagen an rechtliche Grenzen gehen oder auch darüber hinaus, muss nicht verwerflich sein.
Viel entscheidender als juristische Zweifel ist der enorme politische Schaden, den die einseitige Schließung der deutschen Grenzen in Europa anrichten würde. Deutschland würde sich mit einem Paukenschlag aus der gemeinsamen Asylpolitik, aus der europäischen Solidarität verabschieden und das Ende des Schengen-Raums einläuten.
Gut möglich, dass die Nachbarstaaten unter Druck dem Beispiel folgen würden – Europas Flüchtlingspolitik stünde vor dem Kollaps, womöglich ginge in dem folgenden Chaos in der Europäischen Union noch weit mehr zu Bruch. Der Migrationsexperte Knaus spricht zu Recht von einer „Atombombe“. Meint Merz das ernst? Er müsste schnell abrüsten, wenn er wirklich zu einer Verständigung kommen will.
EU-Staaten müssen sich fairer verhalten, um Deutschland zu entlasten
Die Koalition andererseits muss sich eingestehen, dass ihre bisher vorgelegten Initiativen die Probleme nicht lösen. Die Ampel könnte stattdessen zusammen mit der Union mit Nachdruck eine europäische Lösung vorantreiben: Statt Migranten in der EU hin- und herzuschieben, muss die illegale Migration in die gesamte EU reduziert werden – über Asylverfahren in sicheren Drittstaaten mit Kontingenten, die jedes EU-Land aufnimmt. Über konsequenten Schutz der Außengrenzen.
Und ja, andere EU-Staaten müssen sich fairer verhalten, um Deutschland zu entlasten: Bei der Aufnahme von Asylbewerbern und von Ukraine-Flüchtlingen. Dass als allerletzte Notlösung auch die Grenzschließung möglich wäre, darauf könnte die Bundesregierung als Druckmittel durchaus verweisen.
Die Union könnte gute Dienste leisten, wenn sie die CDU-Politikerin und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ins Boot holt. Aber der deutsche Ausstieg aus einer humanitären europäischen Asylpolitik, wie er Merz offenbar vorschwebt, dürfte in dieser Koalition kaum durchsetzbar sein – mit Teilen der SPD nicht und schon gar nicht mit den Grünen, für die hier wohl eine rote Linie erreicht wäre. Die FDP aber liebäugelt jetzt mit dem Merz-Manöver.
Da droht bei der Asylpolitik mehr als nur neuer Streit: Es tut sich ein gefährlicher Riss in der Koalition auf. Ist es das, worauf Merz abzielt? Wer die Ampel sprengen will, wie es mancher Liberale jetzt ganz offen diskutiert, fände in der Migrationspolitik einen populären Ausstiegsgrund.
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